Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Monsun verschärft die Lage geflüchteter Rohingya
Hunderttausende harren nach Flucht aus Birma in Bangladesch aus – Unicef warnt vor „verlorener Generation“
RAVENSBURG - Ein Jahr nach ihrer Flucht aus Birma sitzen etwa 920 000 Angehörige der Rohingya-Minderheit in Flüchtlingslagern in Bangladesch fest, mehr als die Hälfte von ihnen sind Kinder. In einem Lagebericht, der an diesem Donnerstag offiziell vorgestellt wird, warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef vor dem Entstehen einer „verlorenen Generation“. Der Monsunregen erschwert die Lage der Geflüchteten zusätzlich.
Allein im größten Lager Kutupalong direkt an der Grenze zu Birma, leben mehr als 600 000 muslimische Rohingya, die meisten waren im August 2017 vor der Gewalt buddhistischer Milizen nach Bangladesch geflohen. Wo vor einem Jahr noch Urwald war, stehen heute Behausungen aus Wellblech und Zeltplanen. Das Gelände ist hügelig, viele Hütten sind an Hängen gebaut. Das wird in dieser Jahreszeit zum Problem, denn der Monsunregen überflutet Teile des Camps, Hänge drohen zu rutschen. Ende Juli sind innerhalb von vier Tagen 800 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen. Zum Vergleich: In Stuttgart liegt der Durchschnitt bei 675 Litern – im Jahr. „Die Tage Ende Juli haben uns eine Ahnung gegeben, welchen Schaden der Monsun noch anrichten kann“, sagt der Brite Simon Ingram, Autor des neuen Unicef-Lageberichts, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Monsunsaison geht bis zum Jahresende.
Latrinen überflutet
Bislang wurden 40 000 Menschen innerhalb der Camps umgesiedelt. Eigentlich müssten 100 000 Menschen an sicherere Orte gebracht werden, so Ingram. „Aber viele Leute zögern, umzuziehen.“Nach der traumatischen Flucht vor einem Jahr ist es für viele Menschen schon wertvoll, dass sie überhaupt eine Bleibe haben, und die wollen sie nicht aufgeben.
Hinzu kommen hygienische Probleme. Als das Camp vor einem Jahr entstand, mussten auf die Schnelle Wasserpumpen und Latrinen gebaut werden. „Nun wurden Toiletten überflutet und das Schmutzwasser in die Brunnen gespült“, berichtet Ingram. Jede fünfte der 8000 Trinkwasserstellen in den Camps ist außer Betrieb. Unicef und die Armee von Bangladesch versuchen, möglichst viele Latrinen in gutem Zustand zu erhalten – sie bezahlen Männer dafür, den Toiletteninhalt eimerweise in kleine Wasseraufbereitungsanlagen außerhalb der Camps zu tragen. „Wir bräuchten dafür eigentlich Lastwagen und größere Pumpen“, sagt Ingram dazu. Es gibt aber keine Flächen mehr für den Bau leistungsfähigerer Aufbereitungsanlagen. Zudem fehlt Geld. Unicef veranschlagt für 2018 einen Bedarf von 129,1 Millionen Euro für die verschiedenen Programme, hat aber bislang nur knapp zwei Drittel davon zur Verfügung.
Dabei müsste insbesondere für die Bildung mehr getan werden, drängt die Hilfsorganisation. Schulen gibt es in den Camps nicht, nur informelle Lernzentren, deren Qualität nun verbessert werden soll. 140 000 Kinder sind dort eingeschrieben. Wird für sie nicht besser gesorgt, droht nach Einschätzung von Unicef eine Generation ohne jede Perspektive heranzuwachsen. Denn ob die Rohingya irgendwann in ihre Dörfer in Myanmar zurückkehren können, ist ungewiss.