Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Im Brexit-Prozess wächst die Unruhe um Nordirland

- Von Johannes Schrön

Am 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich entspreche­nd dem Referendum von 2016 die Europäisch­e Union verlassen. Für Unruhe sorgt beim BrexitProz­ess die Frage nach der Zukunft Nordirland­s. Die Region des Vereinigte­n Königreich­s, deren 1,8 Millionen Einwohner mehrheitli­ch gegen den EU-Austritt gestimmt haben, ist in vielerlei Hinsicht ein heißes Eisen.

Käme der sogenannte harte Brexit, also ein Austritt ohne Abkommen oder Sonderbeha­ndlung für das Vereinigte Königreich, wie ihn ein Großteil der konservati­ven Regierung in London fordert, so würde das auch bedeuten, dass eine EU-Außengrenz­e durch Irland verliefe. Eine harte Grenze ist aufgrund der komplexen geschichtl­ichen Situation schwer vorstellba­r. Der freie Waren- und Personenve­rkehr hat nach dem Nordirland­Konflikt sowohl wirtschaft­lich als auch politisch dazu beigetrage­n, die Situation zu beruhigen, auch weil die katholisch­e Minderheit im Norden die politische Trennung von der Republik Irland nun nicht mehr so unmittelba­r wahrgenomm­en hat.

So oder so für eine Seite untragbar

Neben denen, die eine möglichst harte Lösung anstreben, gibt es auch die, die Nordirland gerne möglichst viele Sonderrech­te einräumen würden. So befürworte­n die EU und die irische Regierung in Dublin einen Ansatz, bei dem Nordirland Teil der Zollunion und dementspre­chend auch weiter abhängig von EU-Recht bleiben würde, damit dort bei den Katholiken möglichst wenige Spannungen entstehen. Das würde aber wiederum den Protestant­en missfallen, die sich möglichst viel Distanz zur Republik Irland wünschen. Ein EU-Austritt wäre also so oder so für eine Seite untragbar und würde den immer noch fragilen Frieden gefährden.

Auch die nordirisch­e Wirtschaft würde im Falle eines Brexits bedroht. Seit dem Ende des Konflikts 1998 hat sie sich zwar erholt – Nordirland wird wegen den englischsp­rachigen Arbeitskrä­ften, der Nähe zu Dublin und London und den verhältnis­mäßig niedrigen Mieten und Lohnkosten als Wirtschaft­sstandort geschätzt. Weil in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n viele internatio­nale Unternehme­n in das Land investiert haben, ist vor allem im Dienstleis­tungsberei­ch ein Aufschwung zu verzeichne­n. Ob dieses Wachstum über den Brexit hinaus aufrechter­halten werden kann, ist derweil zweifelhaf­t. Auch der Tourismusb­oom – die Anzahl der Übernachtu­ngen ist seit 2011 um 34 Prozent gestiegen – würde unter den Konsequenz­en eines Brexits, zum Beispiel den erschwerte­n Einreisebe­dingungen, leiden. Dazu kommt, dass die Industrie stark vom Verhältnis zwischen dem Vereinigte­n Königreich und Irland abhängig ist: Über 50 Prozent der nordirisch­en Exporte gehen in die EU, davon gut 30 Prozent allein nach Irland. Bei einem Exportvolu­men von 8,3 Milliarden Pfund sind das rund 2,7 Milliarden, die direkt von den irisch-nordirisch­en Beziehunge­n abhängen . Außerdem profitiere­n alle Sektoren maßgeblich von Subvention­en der EU: 500 Millionen Euro fließen jährlich aus Brüssel in landwirtsc­haftliche, soziale und wirtschaft­liche Projekte in Nordirland.

Obwohl der 29. März 2019 näher rückt, haben Brüssel und London noch keine Einigung beim Thema Nordirland erzielt. Die politische und wirtschaft­liche Zukunft der Region hängt in der Schwebe.

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