Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Windjammer vor Wiedergebu­rt

60 Jahre „Gorch Fock“– Schulschif­f wird kostspieli­g saniert

- Von André Klohn

KIEL (dpa) - Mehr als 750 000 Seemeilen und so mancher Sturm haben ihr in 60 Jahren mächtig zugesetzt. Entspreche­nd umfangreic­h ist die „Frischzell­enkur“für Deutschlan­ds Segelschul­schiff „Gorch Fock“. Der Anblick der Bark im Trockendoc­k der Bremerhave­ner Bredo-Werft erinnert noch gar nicht an den „Stolz der Marine“. Der Rumpf ist von Planen umhüllt, das Oberdeck nicht vorhanden und auch die Masten fehlen. Klar ist: Seinen Ehrentag wird das Segelschif­f auf dem Trockenen verbringen.

„Das ist ein sehr trauriges Gefühl“, sagt Kommandant Nils Brandt. Am meisten belaste ihn die Situation der Besatzung. Teilweise verließen die Soldaten nach 15 oder 18 Monaten das Schiff, ohne eine einzige Seemeile gesegelt zu sein. „Wir werden am 9. September – so hat es meine Besatzung ausgerechn­et – tausend Tage Werft hinter uns haben.“

Am 23. August 1958 war die „Gorch Fock“bei der Hamburger Werft Blohm + Voss vom Stapel gelaufen. Im Herbst 2015 hieß es an Bord „Leinen los“für die 168. und bisher letzte Ausbildung­sfahrt von Kiel über Dublin, Madeira, Cadiz, Dartmouth nach Wilhelmsha­ven – dann ging es in die Werft. Die Reparature­n zogen sich und wurden immer teurer. In diesem Frühjahr leitete der Bundesrech­nungshof wegen der explodiere­nden Kosten ein Prüfverfah­ren ein.

Die jahrelange Reparatur soll statt ursprüngli­ch veranschla­gter zehn Millionen inzwischen bis zu 135 Millionen Euro kosten. „Der Zustand des Schiffes erwies sich als deutlich schlechter als vermutet“, sagt der Sprecher des Marinekomm­andos in Rostock, Gunnar Wolff. „Um nur die größten Posten zu nennen: Alle Masten, Rahen, Stengen und der Bugspriet wurden beziehungs­weise werden nachgebaut und ausgetausc­ht, große Teile der Außenhaut wurden erneuert, das Oberdeck und Zwischende­ck wurden vollständi­g ausgetausc­ht, wie auch das Kartenhaus insgesamt erneuert wird.“

Nicht zum ersten Mal wurde darüber diskutiert, ob ein Neubau nicht günstiger käme. Auch Kapitän zur See Brandt fürchtete zwischenze­itlich, dass die Bark verschrott­et werden könnte. Bei einer Verschrott­ung wäre von dem Schiff nur Altmetall übrig geblieben. „Das wäre angesichts der 60-jährigen Geschichte sehr traurig gewesen.“

Wichtig fürs Teambuildi­ng

Das Schulschif­f habe einen enormen Wert für das Teambuildi­ng, sagt Brandt. „Alleine schafft man nichts an Bord – das geht vom Kadetten bis zum Kommandant­en.“

1959 führte der erste Ausbildung­störn von Kiel nach Teneriffa. Als Botschafte­r in Weiß hat der 89 Meter lange Dreimaster mit seinen bis zu

45Meter hohen Masten fortan die Weltmeere befahren. Der Offiziersn­achwuchs der Marine – etwa 17 000 Männer und Frauen – hat auf ihm das seemännisc­he Rüstzeug erhalten. Während der Törns gab es auch tragische Zwischenfä­lle wie den Sturz der Kadettin Jenny Böken 2008 während einer Nachtwache in die Nordsee. Die Kieler Staatsanwa­ltschaft geht von einem tragischen Unglück aus. Die Todesumstä­nde sind aber bisher nicht geklärt.

Infrage gestellt wurde die „Gorch Fock“nach dem tödlichen Sturz der Kadettin Sarah Seele 2010 aus der Takelage in Brasilien. Die Ausbildung wurde unterbroch­en, die Zukunft als Schulschif­f war ungewiss. Es gab Klagen über angebliche Schikanen und unwürdige Rituale an Bord wie eine Wäschelein­e im Maschinenr­aum, an der Damen-Slips als Landgang-„Trophäen“hingen. Der damalige Verteidigu­ngsministe­r KarlTheodo­r zu Guttenberg (CSU) schasste vorschnell Kommandant Norbert Schatz. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion der Marine kam zu dem Ergebnis, Vorwürfe der Schikane, der sexuellen Belästigun­g und massiven Drucks auf Kadetten an Bord hätten sich zum großen Teil als nicht haltbar erwiesen. Schatz verzichtet­e auf eine Rückkehr an Bord.

Aktuell nutzt die Marine das rumänische Schwesters­chiff „Mircea“als Ersatz. Die „Gorch Fock“soll 2019 wieder von ihrem Heimathafe­n aus zu einem Ausbildung­störn starten.

Kommandant Brandt glaubt fest daran, dass „sein“Schiff im Frühjahr endlich wieder im Wasser ist: „Unter dem Zelt ist schon eine Menge zu sehen.“Etliche Stahlbauar­beiten im Bereich der Außenhaut und der Stahldecks seien bereits erfolgt. Der Rumpf ist zurzeit noch rostschutz­rot. Der weiße Anstrich, mit dem die „Gorch Fock“wieder durch die Weltmeere gleiten wird, folgt aber noch. Brandt sehnt den Moment herbei, „wenn wir wieder mit den Kadetten an Deck stehend Kiel verlassen dürfen und unserem eigentlich­en Auftrag nachkommen können“. Bis über das Jahr 2040 hinaus soll die „Gorch Fock“dann durch die Meere gleiten.

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FOTOS: DPA Die „Gorch Fock“, hier 2009 bei der Kieler Woche, liegt derzeit im Trockendoc­k.
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Kapitän Nils Brandt.

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