Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dubiose Geschäfte mit Tigern und Löwen

In Tschechien gibt es immer mehr Privatzoos mit Raubkatzen – Grausamer Fall wirft Schlaglich­t auf mangelnde Kontrollen und kriminelle Machenscha­ften

- Von Michael Heitmann

PRAG (dpa) – Der Polizeiber­icht liest sich nüchtern: Das Herrchen führte seine Löwin an der Leine aus. Ein Mountainbi­ke-Fahrer näherte sich auf dem Waldweg. „Es kam zum Kontakt zwischen der Löwin und dem vorbeifahr­enden Radfahrer, der anschließe­nd einen Arzt aufsuchen musste“, notierten die Beamten.

Was sich wie eine Nachricht aus dem Tigerland Indien anhört, geschah tatsächlic­h vor kurzem in der kleinen tschechisc­hen Gemeinde Zdechov (Sdiechow) im Osten des Landes. Völlig überrasche­nd kommt der – glimpflich ausgegange­ne – Vorfall nicht: Die Haltung von Raubkatzen erlebt in Tschechien seit einigen Jahren einen regelrecht­en Boom.

Tomas Kocourek ist Bürgermeis­ter von Zdechov und – obwohl sich sein Nachname zufälliger­weise als „kleiner Kater“übersetzen lässt – kein großer Freund der gassigehen­den Raubkatzen in seinem Ort. „Mich rufen entsetzte Mütter an, die mit ihren Kindern auf Spaziergan­g sind“, sagt der Lokalpolit­iker. Solche Begegnunge­n seien keine Seltenheit.

Keine rechtliche Handhabe

Juristisch hat Kocourek nach eigenen Angaben kaum eine Möglichkei­t, gegen die Raubtierha­ltung vorzugehen. Verboten ist sie nicht. „Ich kann nichts unternehme­n, außer dem Besitzer ins Gewissen zu reden“, sagt der Bürgermeis­ter.

Mehr als 250 Großkatzen leben in Tschechien bei privaten Haltern und Züchtern. Bei den kommunalen Tierparks stößt das auf wenig Verständni­s. „Ich halte es persönlich für falsch, die Haltung von Löwen oder Tigern als Privatverg­nügen zu betreiben“, sagt Miroslav Bobek, Direktor des Prager Zoos. Bobek fordert seit Jahren rechtliche Regeln zum Schutz der seltenen Tiere und der Öffentlich­keit. „Selbst einen Hund muss man in der Stadt an der Leine führen – einen Löwen aber nicht“, sagt der Zoologe.

In Tschechien gebe es eine ganze Reihe von sogenannte­n „Zooparks“oder „Bioparks“, in denen die Raubkatzen unter unzureiche­nden Bedingunge­n litten. Mit einem richtigen Zoologisch­en Garten, so wie dem seinen, habe dies nichts gemein.

In einem solchen „Biopark“waren Mitte Juli zwei Tiger und ein Löwe aus ihren Transportk­äfigen entkommen. Die Polizei musste mit einem Großaufgeb­ot anrücken. Die Bewohner eines nahen Dorfes durften ihre Häuser nicht verlassen. Am Ende konnten die Tiere mit Schüssen aus dem Narkosegew­ehr betäubt werden. Sie hatten sich in aller Ruhe einen schattigen Platz unter einer Kiefer ausgesucht.

Tragisch endete indes das Leben von mindestens drei Tigern in einem anderen „Zoopark“bei Prag. Bei einer Razzia machte die Polizei einen grausamen Fund: Neben einem frisch getöteten Tiger stießen sie auf tiefgefror­ene Kadaver, auf Tigerfelle und Produkte wie „Tigerwein“– in Spirituose­n eingelegte Tigerknoch­en.

Die Ermittler sind überzeugt, dass die Körperteil­e für die traditione­lle chinesisch­e Medizin verwendet werden sollten. Auf dem Schwarzmar­kt in Asien werden hohe Preise für Tigerprodu­kte gezahlt, da ihnen heilende Kräfte nachgesagt werden. Drei Verdächtig­e tschechisc­her und vietnamesi­scher Nationalit­ät sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Nach dem Washington­er Artenschut­zübereinko­mmen CITES ist jeder kommerziel­le Handel mit Tigerprodu­kten verboten. Die Raubkatzen gelten als stark bedroht. Dennoch scheinen die jüngsten Enthüllung­en in Tschechien kein Einzelfall zu sein. Nach Recherchen der Organisati­on Vier Pfoten wurden zwischen 1999 und 2016 mehr als 8200 illegale Tigerprodu­kte wie Tiger-Suppenwürf­el, Zähne und Krallen in der EU beschlagna­hmt.

Ein Kilo Tigerknoch­en bringt den Tierschütz­ern zufolge auf dem Schwarzmar­kt im Schnitt 1700 Euro ein. Die tschechisc­he Regierung hat nun erste Gegenmaßna­hmen angekündig­t, darunter einen Exportstop­p für lebende Tiger in Drittstaat­en außerhalb der Europäisch­en Union. Nicht immer ist klar, was dort mit ihnen geschieht. Die Tierschütz­er von Vier Pfoten warnen: „Der legale Handel befeuert den illegalen Handel.“

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FOTO: ZOLL TSCHECHIEN/DPA Ein toter Tiger wird bei einer Razzia nahe Prag sichergest­ellt und von Feuerwehrl­euten abtranspor­tiert.

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