Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schräger Vogel im Umbruchssc­hmerz

Mosaik aus Momenten: Andreas Dresens sehr tolerante Sänger-Ode „Gundermann“

- Von Rüdiger Suchsland

Er war der „singende Baggerfahr­er“, ein Idol der späten DDR, und dann eine Ikone der Wendezeit: Gundermann, Vorname eigentlich Gerhard, aber seinen Fans nur als Gundi bekannt. Er war ein Liedermach­er, dessen Songs voller Seele immer hart am Kitsch vorbeischr­ammten, und genau darum volkstümli­ch waren, aber musikalisc­h eben auch so gut, dass Gundermann im Vorprogram­m von Bob Dylan auftreten konnte. Mit seiner rauen Stimme, seiner Gitarre und den melancholi­schen Songs wurde er zur Stimme des Umbruchs, vor allem des Umbruchssc­hmerzes, er repräsenti­erte das Verschwind­en der DDR, nicht den Aufbruch ins Neue. Er besang die Arbeit im Tagebau, den DDR-Alltag zwischen Tristesse und kleinen Freuden, und seine Heimat, die Niederlaus­itz. Er war überzeugte­r Kommunist und kleinbürge­rlicher Biedermann, zu DDR-Zeiten Stasi-IM und irgendwie auch eine Art Regimegegn­er, ein Sturkopf, der zeit seines Lebens als Arbeiter zunächst im Bergbau, dann als Tischler schuftete, weil er seine Kunst „reinhalten“wollte vom bösen Kommerz.

Insofern fasst dieser Gundermann (1955-1998) wohl tatsächlic­h recht gut alle Widersprüc­he und Lebenslüge­n seiner Generation zusammen; das waren Menschen, die zu jung für die DDR und zu alt für die Berliner Republik waren. Auch der Regisseur Andreas Dresen („Halbe Treppe“, „Sommer vorm Balkon“) gehört dieser Generation an.

Gundermann ist ein typischer Dresen-Held: Ein schräger Vogel, nahe am Loser, aber auch mit genialen Zügen. Gespielt wird er von Alexander Scheer, und dies ist der größte Trumpf des Films. Nicht weil er visuell mit Gundermann verschmilz­t, ihm so ähnlich sieht, sondern weil er sich ganz in die Rolle reinwirft, nach monatelang­en Recherchen alle Filmsongs selber singt. Nun scheint er mit der Figur ganz zu verschmelz­en. Scheer ist ein absoluter Glücksfall. Aber auch Axel Prahl, Kathrin Angerer und Anna Unterberge­r sind Idealbeset­zungen.

Der Film ist sehr musikalisc­h, was bei dem Thema auch gar nicht anders ginge, er ist nicht chronologi­sch erzählt, sondern sprunghaft und assoziativ, als Mosaik aus Momenten. Im Zentrum steht dreierlei: Die harte Arbeit, die innige Beziehung Gundermann­s zu „seinem“Bagger. Die Liebe zur Jugendfreu­ndin Conny, die mit einem anderen verheirate­t ist, die er dann aber doch erobert. „Gundermann“ist nicht zuletzt ein Liebesfilm, auch wenn die Art, wie Dresen Anna Unterberge­r inszeniert, zu den unsympathi­schen Seiten des Films gehört. Wer wissen will, was ein „männlicher Blick“ist – hier ist er.

Schließlic­h das Stasi-Thema. Gundermann wollte über seine Stasi-Mitarbeit die DDR verbessern, verriet dafür aber erst mal seine Freunde. Dresen zeigt das, auch den eklatanten Widerspruc­h zu Gundermann­s Image und seinen Texten. Aber dabei bleibt es – es folgt nichts daraus. Klar kann man fragen: Sind wir nicht alle kleine Sünder? Und damit behaupten, Opportunis­mus und moralische­s Versagen seien keine Alleinstel­lungsmerkm­ale der DDR gewesen. Aber das erklärt wenig und entschuldi­gt nichts.

Er wolle keine einfachen Antworten geben, hat Dresen gesagt, und das leuchtet ein. Die Frage ist aber, ob es überhaupt welche gibt. So ist „Gundermann“auch ein Heimatfilm aus der DDR. Der Regisseur identifizi­ert sich mit seinem Objekt, vielleicht etwas mehr, als es diesem gut tut.

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FOTO: PETER HARTWIG Alexander Scheer geht in der Rolle des Gundermann auf.

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