Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dünner Mann, dünner Film

Sylvain Whites Film „Slender Man“lässt das Potenzial der Vorlage ungenutzt

- Von Stefan Rother

Nichts ist so alt wie die Internet-Sensation vom letzten Jahr. Beim „Slender Man“liegt die große Aufregung sogar noch ein ganzes Stück länger zurück, schließlic­h erblickte das bedrohlich­e Wesen ohne Gesicht bereits im Juni 2009 das Licht der virtuellen Welt. Geschaffen wurde es von Erik Knudsen unter dem Pseudonym Victor Surge – als Einreichun­g für einen FotoshopWe­ttbewerb. Verbunden waren die Bilder mit kurzen Andeutunge­n, wonach der „Slender Man“oft wie aus dem Nichts auftauche und es wohl vor allem auf Kinder abgesehen habe.

Wie so oft entwickelt­e die Geschichte darauf ein Eigenleben als sogenannte Creepypast­a, also gruselige Bilder und vermeintli­che Legenden, die im Internet zirkuliere­n. Es entstanden weitere Bildmontag­en, Texte, Videos und ein durchaus atmosphäri­sches Videospiel. Allerdings schien der Mythos gerade auf sehr junge Internetnu­tzer eine teils unheilvoll­e Faszinatio­n auszuüben, was darin gipfelte, dass vor vier Jahren ein zwölfjähri­ges Mädchen mit dem Messer auf ihre gleichaltr­ige Freundin einstach. Begründung: Der „Slender Man“habe es ihr befohlen.

Der nun erschienen­e Film zum Thema widmet sich aber nicht den realen Vorkommnis­sen (dazu gibt es bereits eine Dokumentat­ion „Beware the Slender Man“), sondern versucht, den zugrunde liegenden Mythos weiterzusp­innen. Allzu viel ist dem französisc­hen Regisseur Sylvain White („Ich werde immer wissen, was du letzten Sommer getan hast“) dabei allerdings leider nicht eingefalle­n. Zudem gab es Unstimmigk­eiten mit dem Filmstudio, das wohl Angst hatte, dass der Film angesichts der tragischen Ereignisse als geschmackl­os empfunden werde. In der Folge ließ man die ursprüngli­che Fassung schneiden, was in weniger Gewalt resultiert­e, wohl aber auch einen Grund für die teils arg abrupten Szenenwech­sel darstellt.

All diese Vorgeschic­hten sind deutlich spannender als die eigentlich­e Filmhandlu­ng, denn die ist schnell erzählt: Vier Schulfreun­dinnen – Hallie (Julia Goldani Telles), Wren (Joey King), Chloe (Jaz Sinclair) und Katie (Annalise Basso) – beschwören eines Abends aus Langeweile den „Slender Man“. Dazu sehen sie sich ein unheimlich­es Video an. Aus dem zunächst harmlos erscheinen­den Grusel-Spaß wird aber schnell bitterer Ernst, als kurz darauf Katie vermisst wird. Sie beschließe­n darauf, im Wald wertvolle Sachen zu opfern, um die Freundin zu retten – was erwartungs­gemäß schiefgeht und den dünnen Mann mit den langen Tentakeln (Javier Botet) nun erst recht auf den Plan ruft.

Regisseur White hat wohl eine zeitgemäße Mischung aus „Blair Witch Project“und den „The Ring“Horrorfilm­en um eine tödliche Videokasse­tte angestrebt. An Letztere erinnern immerhin einige verstörend­e Bilder, über weite Strecken lässt der Film aber das Potenzial der Vorlage ungenutzt und versucht, allein mit brachialen Klängen gelegentli­ch Unbehagen aufkommen zu lassen. Manche Dinge lässt man eben am besten ruhen – und dieser InternetMy­thos gehört mittlerwei­le sicherlich dazu.

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FOTO: DPA Joey King beschwört als Wren den Slender Man herauf.

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