Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Krux mit der Kunst
Die Diskussion, was und ob etwas Kunst ist, zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen aller Menschen, die freiwillig oder gezwungenermaßen mit Kunst konfrontiert sind. Während für die einen Dürers betende Hände das Maß aller Dinge sind, frohlocken andere beim Anblick eines fleischfarben gepinselten Garagentors. Das Komplizierte an der Kunst ist ja, dass sie ganz unterschiedlich interpretiert werden kann und sich in ihrer ganzen Unergründlichkeit im Auge des Betrachters höchst unterschiedlich ausnimmt.
Möglich, dass Zeitgenossen von Vincent van Gogh seine damals noch völlig unberühmten Sonnenblumen für explodierten Blumenkohl hielten. Eine Missinterpretation, wie wir heute wissen. Auch aus der Musik sind derlei Phänomene bekannt, etwa, wenn in sich versunkene Konzertbesucher bereits in ekstatische Zustände abdriften, während das Orchester noch mit dem Stimmen der Instrumente beschäftigt ist.
Jüngst hat ein Museumsbesucher in Porto eine Kunstinstallation komplett fehlgedeutet – und ist deshalb tief gefallen: Der Kunstinteressierte hielt ein in den Boden gesägtes und zweieinhalb Meter tiefes schwarzes Loch für einen großen, aufgemalten und noch dazu begehbaren Punkt. Ein Irrtum, wie der 60-jährige Italiener schmerzhaft erfahren musste. Zum Glück hielten die anderen Museumsbesucher den Gestürzten nicht für einen lebendigen Teil der Kunstinstallation, sodass er alsbald herausgeholt und in ein Krankenhaus transportiert werden konnte. Mit Dürers betenden Händen wäre ihm das nicht passiert. (nyf)