Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Personalspiele im Kanzleramt
Bei Merkel ist Jens Weidmann nicht mehr als EZB-Chef vorgesehen: Sie will stattdessen den Posten des EU-Kommissionschefs für Deutschland
BERLIN/RAVENSBURG - Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel eines ist, dann ist sie Realistin – und Strategin. Und die CDU-Politikerin weiß ganz genau, dass sie für Deutschland nur einen der im nächsten Jahr frei werdenden europäischen Spitzenposten beanspruchen kann: Denn sowohl Mario Draghi als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) als auch Jean-Claude Juncker als Prsäident der EU-Kommission und Donald Tusk als Präsident des EU-Rats übergeben ihre Ämter.
Bislang schien es klar, dass Merkel erstmals einen Deutschen als Chef der EZB installieren wollte, nachdem die Zentralbank in Wim Duisenberg, Jean-Claude Trichet und nun Mario Draghi zuerst ein Niederländer und dann ein Franzose und nun ein Italiener geführt hatte. Die Kanzlerin hatte auch einen klaren Favoriten – und zwar ihren ehemaligen finanzpolitischen Berater und heutigen Bundesbankchef Jens Weidmann. Einen finanzpolitischen Falken, der seit Jahren im Rat der EZB für ein Ende der lockeren Niedrigzinspolitik Draghis kämpft. Doch nun hat sich die Kanzlerin umentschieden – das berichtet jedenfalls das „Handelsblatt“. Bei der bevorstehenden Neubesetzung von EU-Spitzenämtern ist Merkel nun die Wahl eines Deutschen zum Kommissionschef wichtiger als die Wahl ihres alten Weggefährten Weidmann zum EZB-Präsidenten, schreibt die Zeitung und beruft sich auf Regierungskreise. „Nicht die EZB hat für Merkel oberste Priorität, sondern die EU-Kommission“, zitiert das „Handelsblatt“einen hochrangigen Regierungsvertreter. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer bezeichnete die Analyse als „recht glaubhaft“.
Die Volks- und Raiffeisenbanken im Südwesten, die genau wie die Sparkassen in Baden-Württemberg, den Kurs der EZB unter Draghi seit Jahren massiv kritisieren, bedauern die Entwicklung. „Jens Weidmann ist fachlich über jeden Zweifel erhaben und wäre aus unserer Sicht ein geeigneter Nachfolger von Mario Draghi als Präsident der EZB“, sagte Monika van Beek, Verbandsdirektorin und Mitglied der Vorstands des BadenWürttembergischen Genossenschaftsverbands der „Schwäbischen Zeitung“. Unabhängig von der Personalie setze sich die Interessenvertretung für die Volksbanken und Raiffeisenbanken weiter hin „unverändert für die Beendigung der Niedrigzinspolitik der EZB ein“.
Peter Altmaier nach Brüssel
Für die Kanzlerin ist das Kommissionsamt politisch gewichtiger – und sie hat auch einen Favoriten, den sie im kommenden Jahr gerne auf dem Posten sehen würde: einen weiteren alten Weggefährten, Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Der 60-Jährige bringt neben den engen Kontakten zu Kanzlerin Angela Merkel sehr viel mit, was ihn für diesen Posten geeignet macht. Angefangen damit, dass der Saarländer Altmaier fließend Französisch spricht, dass er Ritter der Ehrenlegion ist, und mit Frankreich enge Beziehungen pflegt, bis zur Tatsache, dass er von 1990 bis 1994 selbst Beamter der EU-Kommission war und den Laden gut kennt. „Die EU ist das beste, was unseren Völkern je passiert ist“, ist seine Überzeugung.
Die Sozialdemokraten haben wiederum auf europäischer Ebene nach Martin Schulz keinen großen deutschen Namen, hier wird die Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die Italienerin Frederica Mogherini eher als Spitzenkandidatin gehandelt. Die SPD könne aber, so heißt es, mit Altmaier gut leben. Obwohl er zuletzt sogar das CDU-Regierungsprogramm maßgeblich mit schrieb. Doch Altmaier ist jemand, der es versteht, die Menschen für ein Projekt zu gewinnen, und er gilt als fair. Er hat einst die widerspenstigen Unions-Abgeordneten von der Notwendigkeit des Euro-Rettungsschirms überzeugt.
Der zweite Namen, der im Zusammenhang mit dem Posten des Kommissionschefs immer wieder fällt, ist der des CSU-Politikers Manfred Weber, Fraktionschef der EVP. Weber ist ein ausgezeichneter Europa-Politiker, doch die CSU hat es versäumt, ihn als Nummer eins auf der europäischen Bühne rauszubringen.