Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Immer ansprechbar, regelmäßig Überstunden
DGB-Studie: Zunehmender Arbeitsdruck belastet hunderttausende Auszubildende
BERLIN - Auszubildende stehen unter Druck. „Ich arbeite im Sieben-Tage-Schichtbetrieb. Der Schichtplan ist so eingerichtet, dass ich seit November 2017 kein Wochenende zusammenhängend frei hatte.“Das war im April, als dies ein Lehrling, erstes Jahr im Einzelhandel, im Internetforum „Dr. Azubi“, eine Beschwerdeplattform des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB, mitteilte.
Sechs Monate ohne eine richtiges Wochenende – die Lehre ist hart, Probleme gibt es zuhauf. Das zeigt der Ausbildungsreport 2018, den der DGB zum Start des Ausbildungsjahrs am Montag präsentierte. Besonders bei den Arbeitszeiten liege in der Ausbildung „einiges im Argen“, heißt es schon im Vorwort des Berichts, in dem sich einige Einträge aus dem Internetforum wiederfinden. Vor allem wurden für ihn aber
15 000 Auszubildende befragt. Die wichtigsten Ergebnisse: Jeder vierte Auszubildende macht Schichtarbeit, und oft liegt zwischen zwei Schichten nicht einmal die vorgeschriebene Pause von elf Stunden. Von knapp 55 Prozent der Azubis wird erwartet, auch nach der Arbeit mobil erreichbar zu sein. Auf die Ausbildungszeit angerechnet wird das bei 60 Prozent der Betroffenen nicht. Auf der anderen Seite müssen gut 55 Prozent der Auszubildenden, bei denen sogenannte „Minusstunden“anfallen, diese nacharbeiten. Dabei sieht das Berufsbildungsgesetz dies gar nicht vor.
Eine Auszubildende beschreibt es so: „Ich habe eine 40-Stunden-Woche. Wenn ich jedoch Samstag arbeiten muss, komme ich nur auf 38,5 Std., weil wir dort den Laden zwei Stunden weniger geöffnet haben. So sammeln sich meine Minusstunden an. Ich hatte bereits 42 Minusstunden und musste dafür eine Woche Urlaub streichen, damit diese Stunden sich ausgleichen.“
Noch ein Ergebnis: 36 Prozent der Auszubildenden leisten regelmäßig Überstunden – im Schnitt 4,1 Stunden pro Woche. Anders als per Gesetz geregelt bekommen 13 Prozent dieser Azubis dafür kein extra Geld oder Freizeit.
Allerdings läuft es von Branche zu Branche unterschiedlich. Mehr Stress gibt es bei kleinen Betrieben und im Handwerk. Besonders unzufrieden sind dabei angehende Hotelfachleute, Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk, Friseure, zahnmedizinische Fachangestellte und Tischler. Gelobt hingegen: Ausbildungen zu Verwaltungsfachangestellten, Mechatronikern, Industriemechanikern, Elektronikern für Betriebstechnik und Zerspannungsmechaniker.
Viele offene Lehrstellen
Die Arbeitgeber müssten sich umstellen, erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Klagen der Arbeitgeber über fehlenden Nachwuchs kämen „vor allem aus solchen Branchen, die für miserable Ausbildungsbedingungen und schlechte Vergütung bekannt sind.“
Tatsächlich müssen sich die Arbeitgeber 2018 besonders um Auszubildende bemühen. Seit Jahren gibt es erstmals wieder mehr freie Plätze als Auszubildende: Laut Bundesagentur für Arbeit waren bis zum Juli gut 531 000 Lehrstellen gemeldet, aber nur knapp 502 000 Interessenten. Das hat mit sinkenden Schülerzahlen zu tun, auch mit einem größeren Bedarf der Firmen.
Die Betriebe engagierten sich in Zeiten des wachsenden Fachkräftemangels aber bereits stärker für die Qualität ihrer Ausbildung, erklärte Achim Dercks, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK. Nur führe eine Ausbildung auch an das Berufsleben heran. So gebe es „in Hotels, der Gastronomie oder im Handel tatsächlich Arbeitszeiten außerhalb der üblichen Bürozeiten“.
Von allen angehenden Hotelfachleuten lösten laut der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten allein im Jahr 2016 rund 41 Prozent den Ausbildungsvertrag vor Ende der Ausbildung auf, bei Köchen waren es
49 Prozent und bei Restaurantfachleuten sogar rund 51 Prozent.
Das ist jedoch besonders. Denn trotz allem sind insgesamt immer noch 70 Prozent der Auszubildenden mit ihrer Stelle zufrieden. Allerdings ist das der niedrigste Wert seit es den ersten jährlichen Ausbildungsreport vor 13 Jahren gab. Gewerkschafterin Hannack will darum grundsätzlich an die Ausbildungsbedingungen und die Bezahlung ran – und „den Trend stoppen“. Für die Arbeitswelt von morgen seien gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte entscheidend.
So forderte sie die Bundesregierung auf, die angekündigte Novelle des Berufsbildungsgesetzes auf den Weg zu bringen. Nötig sei unter anderem eine Mindestvergütung für Azubis etwa im ersten Ausbildungsjahr von mindestens 635 Euro brutto im Monat, im zweiten 696, im dritten
768, im vierten 796. Zum Vergleich: Zwar bekommen angehende Zerspannungsmechaniker im dritten Ausbildungsjahr bereits 1033 Euro, Friseure aber nur 578 Euro.