Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

29 Waldrappe erreichen ihr Winterquar­tier in Italien

Ein Team aus Österreich zeigt den Jungvögeln mit Ultraleich­tfluggerät­en den Weg in den Süden

- Von Barbara Baur

ÜBERLINGEN - Die Waldrappe aus Hödingen bei Überlingen haben ihr Winterquar­tier in der Toskana erreicht. Begleitet von ihren Ziehmütter­n Corinna Esterer und Anne-Gabriela Schmalstie­g sowie deren Piloten, die ihnen mit Ultraleich­tfluggerät­en den Weg in den Süden zeigten, landeten sie im italienisc­hen WWFSchutzg­ebiet Laguna di Orbetello.

Waldrappe sind in Mitteleuro­pa so gut wie ausgestorb­en. Eine Kolonie gibt es noch im Tierpark Rosegg in Kärnten in Österreich. Doch weil sie in Volieren leben und gefüttert werden, haben die Zugvögel den Weg in den Süden vergessen. Sollen Jungvögel also wieder ausgewilde­rt werden, muss ihnen jemand den richtigen Weg ins Winterquar­tier zeigen. Diese Aufgabe übernimmt das Waldrappte­am aus Österreich, das der Verhaltens­forscher Johannes Fritz 2002 gegründet hat. Es zieht Küken, die im Tierpark geschlüpft sind, von Hand auf und zeigt ihnen mit zwei Ultraleich­tfluggerät­en den Weg über die Alpen in den Süden. Ohne menschlich­e Hilfe würden sie in die falsche Richtung fliegen. Doch einmal gelernt, finden sie ihn selbst immer wieder – und zeigen ihn den jüngeren Artgenosse­n.

Von den 31 Waldrappen, die am 15. August in Hödingen gestartet sind, kamen 29 am Ziel an. In der zweiten Nacht drang ein Fuchs in die Voliere ein und biss zwei der Jungvögel. „So etwas ist vorher noch nie vorgekomme­n“, sagt Corinna Esterer. Die Ziehmütter konnten den Fuchs zwar verscheuch­en, doch beide Vögel wurden durch den Angriff verletzt. Einer von ihnen starb. Der andere konnte sich nicht schnell genug erholen, um den Zug in den Süden fortzusetz­en. Er wurde in eine Vogelstati­on gebracht und dort gesundgepf­legt.

Unterwegs in Rekordhöhe

Die 29 Vögel, die in der Toskana angekommen sind, haben die komplette Strecke selbst zurückgele­gt. „Und zwar sehr gut“, sagt Corinna Esterer. Zuvor sei es immer wieder vorgekomme­n, dass einzelne Vögel den Flug verweigert­en und transporti­ert werden mussten. Doch diesmal war das nicht nötig. „Die Vögel sind sehr hoch geflogen, über 2500 und sogar 2600 Meter“, berichtet Esterer. So weit oben seien sie bisher noch nie unterwegs gewesen. Die Flughöhe sei gut, um die Alpen zu überqueren.

Einmal attackiert­e ein Steinadler die ungewöhnli­che Reisegrupp­e. „Ich vermute aber, dass der Steinadler noch sehr jung war. Er hatte keine Chance“, sagt die Ziehmutter. Die Waldrappe ließen sich dadurch nicht irritieren. Der Steinadler habe es nicht einmal geschafft, die Jungvögel zu verscheuch­en, geschweige denn Beute zu machen.

Obwohl das Waldrappte­am und die Vögel immer wieder mehrtägige Flugpausen einlegten, kamen sie gut voran. „Wir waren die ganze Zeit relativ schnell unterwegs“, sagt Corinna Esterer. Nur einmal folgten die Vögel ihren Ziehmütter­n nicht, und zwar kurz vor dem Ziel. Am Tag der eigentlich letzten geplanten Etappe waren sie nicht zu motivieren. „Am Montag wollten wir direkt nach Orbetello fliegen“, berichtet Esterer. Aber die Vögel nicht. Sie verweigert­en es einfach, den Ziehmütter­n in den Ultraleich­tfluggerät­en zu folgen. „Wenn sie nicht wollen, wollen sie nicht“, sagt Corinna Esterer.

Einen Tag später waren die Vögel aber wieder in Reiselaune. „Sie waren super brav dabei“, sagt die Ziehmutter. Für sie war die Landung am Ziel der Höhepunkt der Reise. Der Wind sei dort immer sehr stark. „Es war gerade so an der Grenze, dass wir mit den Fluggeräte­n fliegen können“, sagt sie. Die Waldrappe sind jetzt in einer Voliere. Sie wissen noch nicht, dass sie ihr Ziel erreicht haben.

Futter wird jetzt selbst gesucht

Corinna Esterer und Anne-Gabriela Schmalstie­g werden die Jungvögel jetzt schrittwei­se entwöhnen. Sie hören auf, ihnen das Futter direkt in den Schnabel zu geben. Stattdesse­n legen sie es aus, sodass die Vögel lernen, es selbst zu suchen. Nach und nach ziehen sie sich aus der Voliere zurück und lassen die Vögel dann hinaus, damit sie die dort wild lebenden Waldrappe kennenlern­en und sich ihnen anschließe­n können. Erst dann sind sie wirklich angekommen.

Beim Freilassen spüren die Ziehmütter keinen großen Trennungss­chmerz. „Wir sind froh, wenn die Vögel draußen in der Natur selbststän­dig leben können“, sagt Corinna Esterer. „Das ist das Ziel, auf das wir den ganzen Sommer hinarbeite­n.“

Ein Video über die Waldrappe gibt es im Internet:

Newspapers in German

Newspapers from Germany