Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Geständnis im Feuerprozess
Der Ravensburger Prozess um brennende Gotteshäuser beginnt mit einem überraschenden Geständnis
Es war eine Überraschung zum Prozessauftakt: Der 40-jährige mutmaßliche Brandstifter hat erstmals zugegeben, am 10. März dieses Jahres Feuer in der Ravensburger Kirche St. Jodok gelegt zu haben. Ebenfalls eingeräumt hat der Mann, bereits zuvor in der Kirche im nahen Schlier gezündelt zu haben.
RAVENSBURG - Was geht in einem Menschen vor, der Kirchen anzündet? Handelt es sich um einen pyromanen Feuerteufel? Einen Islamisten? Einen durchgeknallten Atheisten? Am ersten Prozesstag am Ravensburger Landgericht um den Brand von Sankt Jodok kam etwas Licht ins Dunkel: Der Angeklagte, der bislang die Tat leugnete, legte nach gutem Zureden seiner Anwälte überraschend ein Geständnis ab: Er will aus Liebeskummer und im Vollrausch das Foto seiner Ex-Freundin angezündet und achtlos auf die Couch in dem als Jugendkirche genutzten Gotteshaus geworfen haben. Eigentlich habe er nur beten wollen.
Obwohl er schon 17-mal vorbestraft ist und viele Jahre seines Lebens im Gefängnis saß, hat der 40Jährige äußerlich rein gar nichts von einem gewohnheitsmäßigen Straftäter. Und auch nicht von einem schweren Alkoholiker und Kokainabhängigen, der im Gefängnis und außerhalb immer wieder Entziehungskuren und Therapien gemacht hat und kurze Zeit später rückfällig wurde. Sein Äußeres ist gepflegt, mit seiner akkurat geschnittenen Mittelscheitelfrisur und dem grün-weiß karierten Hemd wirkt er brav. Der Mann ist – anders als viele Alkoholiker – weder ausgemergelt noch fettleibig noch sieht man die Spuren der jahrzehntelangen Sucht in seinem Gesicht. Etwas verängstigt reagiert er auf die Kamerateams und Fotografen, die ihn am Anfang aufnehmen. Sein Anwalt beruhigt ihn: „Sie werden unkenntlich gemacht.“
Während des Prozesses huscht sein Blick immer wieder ins Publikum, als wäre er darauf bedacht, bloß gut anzukommen. Zum Beispiel behauptet er am Anfang, als die Lebensgeschichte beleuchtet wird, Handwerker zu sein. Dabei hat er die Ausbildung nie beendet und eine ganze Reihe von verschiedenen (Aushilfs-)Jobs gehabt, bis er wieder wegen seiner Alkoholabhängigkeit und Unzuverlässigkeit gekündigt wurde. Was auch auffällt: Der Angeklagte drückt sich sehr gewählt aus, vor allem für jemanden, der schon in der ersten Grundschulklasse sitzen geblieben ist und nur einen mittelmäßigen Hauptschulabschluss geschafft hat. Er sagt zum Beispiel Sätze wie: „Dann wurde ich erneut inhaftiert“, statt „Dann kam ich wieder ins Gefängnis“. Mit Strafparagraphen kennt er sich offenbar mittlerweile auch aus und benennt sie korrekt. Zudem hat er ein ausgeprägtes Gedächtnis für Daten, korrigiert sogar den Richter, als der sich einmal verspricht. Dumm ist der Angeklagte jedenfalls nicht.
Der 40-Jährige hatte offenbar eine schwere Kindheit. Der Vater soll Alkoholiker gewesen sein und die Mutter geschlagen haben. Ihn selbst nicht. Seine Mutter war ihm offenbar sehr wichtig. Mehrmals erwähnt er, wie gut er es bei ihr hatte. Nach der Scheidung war sie aber offenbar überfordert, der Junge kam ins Heim, büxte aus, kehrte zurück zur Mutter, kam in ein anderes Heim. Mit elf Jahren hat er das erste Mal gestohlen, mit 14 begann er, an Geldspielautomaten zu spielen, in der neunten Klasse sei er von einem Erzieher sexuell missbraucht worden, mit 16 hat er angefangen zu trinken. Eine ganze Reihe von Diebstählen, Einbrüchen, kleineren Betrügereien durchzieht sein Leben. 17-mal wird er verurteilt, ein halbes Dutzend Mal kommt er ins Gefängnis.
Im Jahr 2000 scheint es aufwärts zu gehen, als er eine Frau mit zwei
Aussage des Angeklagten vor dem Landgericht
Kindern kennenlernt und mir ihr gemeinsam ein Bistro aufmacht. Der Laden läuft gut, „aber die Pacht, den Strom und die Getränkehändler habe ich nicht bezahlt“. Stattdessen habe er sein Geld verspielt. Zudem verführt das Leben als Gastronom erst recht zum Trinken. Auf eine Flasche Jack Daniel’s habe er es am Tag gebracht, dazu Bier getrunken. Die Kneipe muss er schließen, macht dann eine zweite und dritte auf, wird irgendwann wieder verurteilt, weil er im Suff einen Gast schlägt. Die Beziehung geht nach ein paar Jahren in die Brüche, seine Tochter, die aus der Ehe hervorgeht, hat er seit 2005 nicht gesehen.
Erneute Therapie
Schließlich landet er 2016 in einer Suchthilfeeinrichtung im Kreis Ravensburg, macht dort erneut eine Therapie und lernt im Dorf eine Frau kennen, in die er sich unsterblich verliebt. Er beschließt, in der Region zu bleiben. Die Frau ist aber seit 20 Jahren liiert. Angeblich habe sie ihren Freund verlassen wollen, was aber nie geschehen sei. Stattdessen trennt sie sich im August 2017 vom Angeklagten und verbietet ihm per Anwalt, sie weiter zu kontaktieren. Ob sich der starke Trinker diese Beziehung nur einbildet und sie eher auf Wunschdenken beruht oder ob sie tatsächlich stattgefunden hat, wird vor Gericht nicht ganz klar.
Auch die berufliche Situation des Mannes wird verzweifelter. Wieder voll auf Alkohol, verliert er in kurzer Zeit zwei Arbeitsstellen. Zudem will ihn sein Vermieter per Räumungsklage aus der Wohnung werfen. Die Obdachlosenunterkunft im Ort gefällt ihm aber nicht. „Ich habe mich geärgert, dass die Asylbewerber im Neubau wohnen und ich in ein abgerissenes Obdachlosenheim soll.“Ausländer sind ihm ohnehin ganz offensichtlich nicht sympathisch. Richter Franz Bernhard verliest Auszüge aus einigen Sprachnachrichten, die der Angeklagte kurz vor dem Brand von Sankt Jodok einem Freund geschickt hat. Die klingen dann alles andere als sprachlich ausgefeilt. Von „Drecksniggern“ist da die Rede. Und: „Man sollte etwas gegen Ravensburg unternehmen.“ Zudem kündigt der Angeklagte an: „Ich mache was, dass es richtig knallt, aber nichts gegen Personen.“Eine große Straftat vielleicht, die Aufmerksamkeit erregt, fragt der Richter? Das verneint der Angeklagte vehement.
Teils unter Tränen schildert er, was sich am 10. März abgespielt hat. Schon nachts habe er Schnaps getrunken, weil er nicht schlafen konnte. Morgens um halb neun habe er dann seine Wohnung verlassen und sich an den Weiher vor der Kirche in Schlier gesetzt und die zweite Flasche angefangen: Weizenkorn, 32 Prozent Alkoholgehalt. „Ich bin römisch-katholisch, gläubiger Christ. Ich wollte doch keine Kirche anzünden“, beteuert er.
Hat er dann aber doch. Gleich zweimal. In Sankt Martin habe er sich hingesetzt, um zu beten. „Für meine Eltern und dafür, dass meine Freundin wiederkommt.“Zwei Opferkerzen hat er für seine toten Eltern angezündet. Dann seien ihm die
Der Angeklagte in einer Sprachnachricht an einen Freund
Fotos von Kommunionkindern ins Auge gefallen, und aus einem Impuls heraus habe er sie angezündet. Einfach so. Das Feuer sei aber schnell ausgegangen, und er sei mit dem Bus nach Ravensburg gefahren.
Dort ging er in die Jodokskirche, wo er nach eigenen Angaben fast täglich betete und trank – „weil es da so schön ruhig ist und man sich nicht schämen muss“. Dass die Deckenkonstruktion aus – leicht brennbarem – Holz besteht, will er aber nie bemerkt haben. Mittlerweile sei auch die zweite Flasche leer gewesen, weshalb er sie achtlos an einer Säule stehen ließ – unter anderem anhand der DNA-Spuren wurde er später identifiziert. Schließlich sei er auf die Idee gekommen, das Foto seiner ehemaligen Freundin zu verbrennen, um die Beziehung gewissermaßen symbolisch zu beenden. Er warf das brennende Foto auf eine Couch und verließ das Gotteshaus schnellen Schrittes. „Dann bin ich auf den Marienplatz gegangen und habe Schupfnudeln gegessen.“Als er 20, 25 Minuten später Sirenen hörte, sei er wie viele andere zur brennenden und qualmenden Kirche gegangen. „Ich habe aber nicht realisiert, dass ich das war.“Drei Stunden ist er am Tatort geblieben, dabei auf- und abgelaufen. Aufgeregt hat er in dieser Zeit Fotos gemacht und auch wieder einen Freund angerufen. Als Täter verdächtigte er dabei laut Sprachnachricht die „Drecksschweine, die gegen unser Christentum was vorhaben – dank Angela Merkel“.
Ein wenig unglaubwürdig
Was seine Version von der zufälligen Brandstiftung ein wenig unglaubwürdig erscheinen lässt, ist auch eine Mail, die er ein paar Tage später von der Ravensburger Arbeitsagentur aus ans Landeskriminalamt schickte. Darin stand: „Es werden wieder Kirchen brennen.“Auf die ironische Frage von Richter Bernhard, ob er meint, dass das zur Beruhigung der Bevölkerung beitragen sollte, antwortet der Angeklagte: „Ich war in den Tagen nicht derjenige, der ich heute bin. Es kann auch sein, ich wollte, dass sie mich schnappen.“
Tatsächlich war ihm die Polizei da schon auf der Spur und wollte ihn als Zeugen vernehmen, was er aber ablehnte. Sein Telefon wurde dann überwacht und seine Facebookseite ausgewertet. Dabei kam heraus, dass er zumindest ein gewisses Interesse an Feuer zeigt. Zwei Posts beschäftigten sich mit dem großen Brand in einem Ravensburger Asia-Imbiss 2017. Am Tag nach dem Feuer in Sankt Jodok postete er auch etwas: ein niedliches Katzenbild und einen Bericht, in dem der Tod von Kardinal Lehmann betrauert wird.
Der Prozess wird heute fortgesetzt.
„Ich bin gläubiger Christ. Ich wollte doch keine Kirche anzünden.“
„Ich mache was, dass es richtig knallt, aber nichts gegen Personen.“