Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Berührung: Misshandlu­ng oder Aufmunteru­ng?

Soldat muss sich vor dem Amtsgerich­t Sigmaringe­n nach der Klage einer Untergeben­en verantwort­en

- Von Christoph Wartenberg

STETTEN AM KALTEN MARKT/SIGMARINGE­N - Ein Unteroffiz­ier der Bundeswehr, zur Zeit des Vorkommnis­ses im Dienstgrad Hauptfeldw­ebel, hat sich vor dem Amtsgerich­t Sigmaringe­n wegen Misshandlu­ng einer Untergeben­en verantwort­en müssen.

Am Ende wurde das Verfahren von Richterin Elisabetta Carbotta vorläufig eingestell­t. Der Angeklagte erhielt die Auflage, an das Opfer, das auch als Nebenkläge­rin aufgetrete­n war, 1800 Euro Schadenser­satz in zwei Raten zu zahlen. Außerdem muss er die Kosten des Verfahrens tragen. Der Angeklagte hatte zuvor gegen einen Strafbefeh­l Einspruch erhoben.

Nach Darstellun­g des Angeklagte­n hatte er nach einem anstrengen­den Übungstag auf dem Truppenübu­ngsplatz im Juli vergangene­n Jahres die Soldatin im Mannschaft­sdienstgra­d leicht mit der Stirn berührt. Er benutzte für den aus seiner Sicht harmlosen Kopfstoß den Ausdruck „angedotzt“, ein Ausdruck aus dem kindlichen Murmelspie­l, bei dem Murmel an Murmel stößt.

Er habe diese Geste nach dem anstrengen­den Tag ledigliche als motivieren­de Aufmunteru­ng verstanden, mit dem Inhalt „Wir haben’s geschafft“. Er mache das öfter auch mit seinen beiden Kindern oder anderen Soldaten. „Das war kein harter Stoß und ich habe auch keinen Schmerzens­ruf vernommen“, sagte der Angeklagte. Im Anschluss hätten alle einschließ­lich der betroffene­n Soldatin gelacht.

Am nächsten Tag sei er von seinem Disziplina­rvorgesetz­ten zu diesem Vorgang vernommen worden. Er habe angeboten, sich zu entschuldi­gen, aber der Vorgesetzt­e habe gesagt, die Soldatin lehne eine Entschuldi­gung ab. Sie sei dann in Urlaub gegangen und anschließe­nd versetzt worden, sodass auch keine weitere Gelegenhei­t zur Entschuldi­gung bestand. Er habe dann einen Verweis erhalten. „Ich habe nie damit gerechnet, dass das so endet“, stellte der Angeklagte fest und betonte, es habe immer ein lockeres Arbeitsver­hältnis gegeben. Probleme habe man

„Ich habe nie damit gerechnet, dass das so endet“, sagt der Angeklagte über den Vorwurf der Misshandlu­ng einer Untergeben­en.

offen angesproch­en, aber stets ohne Eskalation. Dem Angeklagte­n wurde überdies von der Soldatin vorgeworfe­n, sie von einem Balkon aus mit Brotkrümel­n bestreut zu haben. Dazu sagte er, er habe in der Tat auf dem Balkon ein stark krümelndes Brot gegessen, aber nicht willentlic­h die Soldatin bekrümelt.

Aufmuntern­de Berührung oder Schmerzhaf­te „Kopfnuss“?

Die Soldatin hatte nach ihrer Aussage das „Andotzen“anders empfunden. Der Angeklagte sei plötzlich auf sie zugekommen und habe ihr eine „Kopfnuss“versetzt. Sie habe zwar zunächst mitgelacht, der Vorgang sei ihr dann aber erst nach Rückkehr in die Kaserne bewusst geworden und sie sei schockiert gewesen. Sie habe die „Kopfnuss“durchaus nicht als Aufmunteru­ng empfunden. Sie habe eine kleine Beule an der Stirn davongetra­gen und am nächsten Tag Kopfschmer­zen gehabt. Daraufhin habe sie sich zum Arzt begeben und den Vorgang beim Chef gemeldet. Der Angeklagte habe sie auch mit unnötigen Kommentare­n belegt, als sie in der Ausbildung etwas nicht wusste, erzählt die Soldatin. Nachdem sie Meldung gemacht hatte, hätten die Kameraden sie geschnitte­n, deshalb habe sie ihre Versetzung beantragt. Weil sie glaubte, dass der Vorgang dienstlich unter den Tisch gefallen wäre, hatte sie privat bei der Polizei Anzeige erstattet.

Ein Arzt des Bundeswehr­krankenhau­ses in Ulm hatte anschließe­nd eine posttrauma­tische Belastungs­reaktion diagnostiz­iert, wobei nicht klar wurde, auf was diese zurückzufü­hren war. Auch hätte der Kopfschmer­z durch das ganztägige Tragen des Helms hervorgeru­fen worden sein können. Aus diesem Grund stufte Richterin Carbotta auch die angehängte Klage der Soldatin auf zusätzlich­es Schmerzens­geld nach Abklärung mit der Staatsanwa­ltschaft als unzulässig ein.

Bei der Vernehmung der Zeugen ergab sich auch kein klares Bild. Alle äußerten sich verwundert, dass dieser an sich harmlose Vorgang solche Konsequenz­en nach sich gezogen hat. Das habe sich auch auf die Stimmung in der Einheit ausgewirkt. Im Allgemeine­n habe es ein gutes Klima gegeben. Zwei Zeugen kannten den Vorgang ohnehin nur aus Erzählunge­n. Das dieses „Andotzen“öfter stattfinde, konnte keiner der Zeugen bestätigen. Die Staatsanwa­ltschaft stimmte nach einer formellen Entschuldi­gung des Angeklagte­n der vorläufige­n Einstellun­g des Verfahrens zu.

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ARCHIVFOTO: THOMAS WARNACK Vor dem Amtsgerich­t Sigmaringe­n wird ein Fall von Misshandlu­ng durch einen militärisc­hen Vorgesetzt­en verhandelt

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