Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Was Patienten wissen müssen
Hunderttausende künstliche Hüften und Knie werden jedes Jahr implantiert
Früher war eine kaputte Hüfte das Ende. Nichts an Bewegung war mehr möglich ohne Schmerz. Heute scheint es, als könnte ein Austausch alles wieder richten. Jedes Jahr bekommen Tausende Menschen in Deutschland ein Kunstgelenk, eine sogenannte Endoprothese. Nach Zahlen des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen wurden
2017 rund 250 000 Hüft- und
180 000 Kniegelenke eingesetzt.
Die Endoprothetik ist populär wie nie. Doch sie bleibt immer die letzte Möglichkeit, betont Karl-Dieter Heller, Chefarzt der Orthopädischen Klinik Braunschweig und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik. Sie sollte entsprechend gut überlegt sein: „Nicht der Arzt sagt dem Patienten, dass er operiert werden muss. Das muss der Patient selbst, der die Endoprothese wünscht, weil sein Leidensdruck so groß geworden ist“, betont Heller. Alle wichtigen Fakten zum künstlichen Hüft- oder Kniegelenk im Überblick:
Wie lange dauert der Eingriff ?
Der reine Austausch einer Hüftprothese dauert im Schnitt 60 bis 90 Minuten, eine Knieprothese zwischen 45 und 90 Minuten – je nach Operateur und Komplexität.
Wie lange dauert der Klinikaufenthalt?
Fünf bis zehn Tage, bei einem Wechsel des Kunstgelenks eher zwei Wochen.
Wann ist das Gelenk wieder voll belastbar und funktionsfähig?
Das Kunstgelenk selbst sofort. Die Mobilisation beginnt am Tag der OP. Länger dauert es, bis der Patient sich an die Prothese gewöhnt hat. Bei der Hüfte sind die Schmerzen nach zwei Wochen in der Regel vorbei, nach drei Monaten ist das übliche Bewegungsspektrum wieder möglich. Beim Knie dauert die Genesungszeit länger – was daran liegt, dass es das komplexere Gelenk ist. Die Patienten erleben häufiger Schmerzen und Schwellungen und brauchen mehr Geduld, bis sie mit ihrem Kunstknie gut leben. Ein halbes Jahr sollte man dafür einplanen.
Wie lange dauert die Reha?
Sie schließt sich an den stationären Aufenthalt an und dauert rund drei Wochen. Sie kann ambulant oder stationär durchgeführt werden. Danach kommt eine Physiotherapie, die in den Alltag integriert werden muss, mit zwei bis drei Terminen in der Woche. Bei der Reha unterscheidet man die stationäre von der ambulanten Reha – bei letzterer wird der Patient morgens abgeholt und abends nach Hause gebracht, sodass er im eigenen Bett schlafen kann.
Welche Bewegungsarten sind im Anschluss wieder möglich?
Die Hüfte ist anfangs etwas schonend zu behandeln, weil sie einwachsen muss – was etwa sechs Wochen dauert. Danach sollte sportliche Belastung sukzessive aufgebaut werden. Die Knieprothese ist zementiert und sofort voll stabil. Die neuen Gelenke machen vieles mit, Wandern und Radfahren genauso wie Tanzen oder Schwimmen. Anders sieht es bei Ballsportarten wie Fußball oder Volleyball aus sowie allen Bewegungen mit starken, ruckartigen Belastungen, etwa Kampfsport oder Mountainbikefahren.
Kann es Probleme geben?
Anders als bei der Hüfte klagen Knie-Patienten nach einem Austausch häufiger über Probleme – zwei von zehn Patienten haben Schwierigkeiten mit dem Kunstknie. Sie leiden unter Schmerzen oder sind unzufrieden mit der Funktionsfähigkeit. Das liegt an der Komplexität des Kniegelenks, was den Austausch erschwert, wie auch an den Erwartungshaltungen. „Wir wissen: je geringer die Arthrose war, desto höher ist später der Leidensdruck“, sagt Endoprothetiker Heller. „Auch der jüngere Patient ist häufiger unzufrieden.“Um diese Gefahr zu minimieren, hilft es, den Wechsel sorgsam zu überlegen und so lange wie möglich hinauszuzögern. Wenn es soweit ist: einen erfahrenen Operateur suchen und bei Problemen oder Zweifeln eine Zweitmeinung einholen.
Welche Fragen sollte man dem Operateur stellen?
Gute Fragen sind: „Muss das jetzt schon sein?“, „Ist Ihre Klinik zertifiziert?“, „Wie oft haben Sie das schon gemacht?“. Die Frage nach der Erfahrung ist wesentlich: Mindestens 50 bis 100 eigene Operationen im Jahr sollte der behandelnde Arzt vorweisen können.
Wann wird eine Wechsel-OP nötig?
Wenn sich die Prothese lockert, was nach 15 bis 20 Jahren der Fall sein kann, aber auch schon nach zehn Jahren. Oft ist kein voller Wechsel nötig, sondern nur die Hüftpfanne oder ein Teil am Knie.
Und bis dahin?
Ist ein Checkup alle paar Jahre Standard. Nach ein, drei, fünf, sieben und zehn Jahren ist eine Kontrolle nötig. Wer darauf verzichten möchte, weil er komplett beschwerdefrei ist, muss sich spätestens bei Auffälligkeiten wie neuen Schmerzen sofort beim Arzt melden. Schmerzen, Schwellungen oder andere Veränderungen können immer Anzeichen einer Lockerung sein. Je früher der Operateur diese erkennt, desto weniger aufwendig muss nachbehandelt werden. Auch ein Wechsel lässt sich so eventuell hinauszögern. (sz)