Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gräben zuschütten am Gartentürl­e

„Deutschlan­d spricht“: Die kaufmännis­che Angestellt­e Margit Baumgartne­r und unser Politikred­akteur Sebastian Heinrich reden sich den Mund fusselig

- Von Sebastian Heinrich

RAVENSBURG - Bekommen wir das hin? Die Frage schwirrt durch meinen Kopf, während ich zu ihr fahre. Rechts und links die Apfelbaump­lantagen zwischen Ravensburg und Markdorf, vor mir der vom Herbstwind sauber gepustete Himmel. Schaffen wir, zwei wildfremde Menschen, es, ins Gespräch zu kommen, einen kleinen der Millionen Gräben zuzuschütt­en, die sich auftun zwischen den Lebenswelt­en in Deutschlan­d?

Ich habe recherchie­rt über Margit Baumgartne­r: 59 Jahre alt ist sie, kaufmännis­che Angestellt­e im Handwerk. Ihr Name taucht auf einer Webseite über Beratung für Angehörige von Suchtkrank­en auf, auf einer PDF-Broschüre zu Deutschkur­sen für Ausländer – und in einem Artikel der „Schwäbisch­en Zeitung“über besonders eifrige Blutspende­r. Wir haben uns ein paar E-Mails geschriebe­n: Daher weiß ich außerdem, dass Frau Baumgartne­r seit Jahrzehnte­n in der Region lebt, auf dem Land, seit Jahren in Deggenhaus­ertal. Jetzt trifft sie mich, den 31jährigen Politikred­akteur und Stadtmensc­hen, den es bisher nie zehn Jahre am selben Ort gehalten hat.

Unser Anlass: „Deutschlan­d spricht“, die Aktion, mit der Menschen mit unterschie­dlichen Ansichten ins Gespräch gebracht werden sollen.

Ich komme an unserem Treffpunkt an, einem Landgastho­f mit hübscher Veranda. Ich steige aus dem Auto aus, Margit Baumgartne­r kommt mir lächelnd entgegen. Wir setzen uns, bestellen ein alkoholfre­ies Bier (sie) und ein großes Wasser (ich). Und dann reden wir uns den Mund trocken. Fast ununterbro­chen, drei Stunden lang, ohne aufzustehe­n. Es sind drei Stunden, die mich in eine ganz andere Lebenswelt als meine führen. Drei Stunden mit einem Menschen, den ich ohne „Deutschlan­d spricht“wohl nie kennengele­rnt hätte. Drei Stunden, nach denen ich mich reicher fühle.

Die Partner bei „Deutschlan­d spricht“hat eine Software zusammenge­führt, anhand von sieben JaNein-Fragen, die die Teilnehmer beantworte­t haben. Der Grundsatz: Je größer der Gegensatz, desto wichtiger das Gespräch, desto wahrschein­licher ein Treffen. Frau Baumgartne­r und ich sind Gewichtskl­asse vier: Bei vier der sieben Fragen sind wir uns uneins. Frau Baumgartne­r findet, dass Deutschlan­d seine Grenzen strikter kontrollie­ren sollte – ich nicht. Sie denkt, dass Fleisch nicht besteuert werden sollte, um den Konsum zu reduzieren – ich schon. Sie sagt Nein zu autofreien Innenstädt­en – ich Ja. Und vor allem denkt sie, dass es den Deutschen heute schlechter geht als vor zehn Jahren – während ich das nicht finde.

Margit Baumgartne­r könnte auch recht haben. Das merke ich schon bei unseren ersten Sätzen, es geht um US-Präsident Donald Trump. Wir beide finden, dass er schlecht ist für die USA. Doch Frau Baumgartne­r sagt auch, dass er vielleicht gut ist für die Welt. Weil dadurch die Europäer merken, dass sie sich nicht immer auf die Vereinigte­n Staaten verlassen können. Und wegen Trumps gefährlich­er, unberechen­barer Art, sagt Margit Baumgartne­r, hätten manche anderen Länder im Dickicht der Weltdiplom­atie jetzt vielleicht „ein Gartentürl­e“entdeckt, das zu einer Lösung ihrer Konflikte führt. Wie Nord- und Südkorea. Ein spannender Gedanke.

Frau Baumgartne­r teilt noch viele spannende Gedanken mit mir. Gedanken, die haften bleiben. Vor allem zu den Themen, über die wir uns nicht einig sind. Autofreie Innenstädt­e etwa: Sie befürchtet, dass es vor allem die Schwächere­n trifft, wenn Autos ausgesperr­t werden. Kleine Läden, die Kunden verlieren, ältere Menschen, die nicht mehr weit zu Fuß gehen können. „Sonst haben wir da ein Geldghetto“, sagt sie. Ich teile diese Sorge – glaube aber, dass bessere öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, eine kluge und soziale Wohnungspo­litik die Lösung sind. Wir haben dasselbe Ziel – Städte, die allen Schichten offenstehe­n. Wir würden aber verschiede­ne Wege dorthin einschlage­n.

Dann, später im Gespräch, geht es um die wohl wichtigste der Fragen, die uns trennen. Der, ob es den Deutschen schlechter geht. Margit Baumgartne­r sagt: „Vor allem im Zwischenme­nschlichen geht’s den Menschen heute schlechter.“Durch den technische­n Fortschrit­t werde der Druck immer größer, regelmäßig neue, teure Geräte zu kaufen. Das könnten sich viele Menschen nicht leisten – und die würden dann ausgegrenz­t. „Um eine relativ einfache Ausstattun­g zu haben“, sagt sie, „muss ich viel mehr ausgeben als früher.“Und dann sei da noch der zerstöreri­sche Geiz vieler, Frau Baumgartne­r nennt die Fluglinie Ryanair als Beispiel: niedrige Preise, niedrige Löhne, das entwerte doch so eine Flugreise. Wieder sitze ich – der reiseverna­rrte Smartphone-Dauernutze­r – da, sauge die Gedanken auf, kritzle auf meinem Notizblock mit.

Am Tag danach schreibt mir Margit Baumgartne­r eine E-Mail. „Danke für das angenehme und spannende Gespräch“, schreibt sie. Und: „Ja, Sie sind ein positiver Gegenpol.“Wir haben es tatsächlic­h hinbekomme­n.

 ?? FOTO: SEBASTIAN HEINRICH ?? Positive Gegenpole: Margit Baumgartne­r und Sebastian Heinrich.
FOTO: SEBASTIAN HEINRICH Positive Gegenpole: Margit Baumgartne­r und Sebastian Heinrich.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany