Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Warum sich die Erde um die Sonne dreht

Wissenscha­ftskrimi um 400 Jahre alten Brief Galileo Galileis – Astronom fürchtete sich vor der Inquisitio­n

- Von Christiane Laudage

LONDON (KNA) Einmal den Jackpot knacken – für Wissenscha­ftler bedeutet das, im Archiv ein verloren geglaubtes Dokument zu finden, das seit Jahrhunder­ten gesucht wird. Genau das ist dem italienisc­hen Wissenscha­ftshistori­ker Salvatore Ricciardo von der Universitä­t Bergamo gelungen. Als er im August in der Bibliothek der Royal Society in London forschte und im Online-Katalog stöberte, stieß er auf einen siebenseit­igen Brief des italienisc­hen Astronomen Galileo Galilei von 1613. Dieser markiert den Beginn seiner langen Auseinande­rsetzung mit der Inquisitio­n.

Am 21. Dezember 1613 schrieb Galilei an den Pisaner Mathematik­er Benedetto Castelli und legte erstmals seine Argumente dar, warum sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Damit lehnte er nicht nur das von der Kirche vertretene geozentris­che Weltbild ab; er sprach der Kirche auch die Autorität in Sachen Astronomie ab – forderte also die Freiheit der Wissenscha­ft. Aus diesem wiederentd­eckten Brief lässt sich erkennen, wie der Wissenscha­ftler versuchte, den absehbaren Konflikt mit der Kirche zu begrenzen. Die internatio­nale Fachzeitsc­hrift „Nature“hat jetzt exklusiv von dem spektakulä­ren Fund berichtet.

Galileis Brief wurde, wie damals in der wissenscha­ftlichen Community üblich, vielfach kopiert und umhergesch­ickt. Eine dieser Kopien landete bei dem Dominikane­r Niccolo Lorini, der den Text sofort voller Entsetzen an die Inquisitio­n weiterreic­hte. Diese Kopie befindet sich noch heute im Vatikanisc­hen Geheimarch­iv.

Bewusste Fehlinform­ation

Für Galilei war klar, dass Schadensbe­grenzung dringend nötig war. Denn erst 1600 war der Dominikane­r und Mathematik­er Giordano Bruno wegen Häresie in Rom auf dem Scheiterha­ufen verbrannt worden. Ebenso wie er stand auch Galileo hinter dem Kopernikan­ischen Weltbild, dass sich nämlich die Planeten und damit auch die Erde um die Sonne drehen und nicht umgekehrt.

In einem ersten Schritt bat Galilei den Mathematik­er Castelli, ihm den Originalbr­ief von 1613 zurückzusc­hicken. Im Februar 1615 schrieb Galilei an den römischen Kleriker Piero Dini, dass Lorini die Kopie seines Briefes in böswillige­r Absicht bearbeitet habe, damit er als Häretiker verurteilt würde. Er fügte eine Kopie bei und behauptete, dass es sich hierbei um die korrekte Version handelte. Letztere wurde dann wieder vielfach abgeschrie­ben – und existiert heute noch in verschiede­nen Kopien.

Historiker hatten sich schon immer gefragt, welcher Brief denn nun am nächsten am Original wäre: die Kopie, die Lorini an die Inquisitio­n gab, oder die Version Galileis an Dini. Nun liegt das Original wieder vor – und anhand der vielen nachträgli­chen Durchstrei­chungen, Ersetzunge­n und Anmerkunge­n Galileis ist Folgendes klar: Der Dominikane­r Lorini hat eine korrekte Kopie des Originals an die Inquisitio­n gegeben.

Galileos Bemerkung, dieser habe böswillig Änderungen eingefügt, waren also glatt gelogen und dienten allein dem Selbstschu­tz. Anhand der Bearbeitun­gen des Originals ist zu erkennen, dass Galileo selbst seine Aussagen im Ton zu entschärfe­n versuchte, um sich zu schützen. Diese Version brachte er dann selbst über Dini in Umlauf.

Für den Moment hatte Galileis Schadensko­ntrolle gewirkt. 1616 erhielt er von Kardinal Robert Bellarmin zwar eine erste Warnung, nicht mehr öffentlich das Kopernikan­ische Weltbild zu verteidige­n, sondern nur als Hypothese zu diskutiere­n. Daran hielt er sich. 1632 kam es aber nach Veröffentl­ichung seines Buches „Dialog der beiden Weltsystem­e“zu einem Prozess vor der Inquisitio­n. Um dem Scheiterha­ufen zu entgehen, verlas er ein Dokument der Richter, in dem er seiner Lehre abschwor. Statt Kerkerhaft konnte Galilei die letzten neun Jahre seines Lebens in Hausarrest verbringen. Papst Johannes Paul II. hat ihn im Oktober 1992 vollständi­g rehabiliti­ert.

Wie kam nun der Brief in die Bestände der Royal Society, einer 1660 gegründete­n Gelehrteng­esellschaf­t zur Wissenscha­ftspflege, die heute als nationale Akademie der Wissenscha­ften des Vereinigte­n Königreich­s für die Naturwisse­nschaften dient? Man vermutet, dass er aufgrund der Beziehunge­n zwischen der Royal Society und der 1657 von Galileis Schülern gegründete­n Accademia del Cimento nach London gelangte. In den vergangene­n 250 Jahren wurde er jedenfalls mehrfach nicht richtig katalogisi­ert und in seiner Bedeutung erkannt – bis Salvatore Ricciardo den Jackpot knackte.

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FOTO: BIBLIOTECA MARUCELLIA­NA/DPA 1632 musste sich Galilei vor der Inquisitio­n verantwort­en – und schwor öffentlich dem Kopernikan­ischen Weltbild ab.

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