Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Deutschlan­d kann auch Hollywood

Das Seriengroß­projekt „Babylon Berlin“ist allein wegen seiner Bildgewalt sehenswert

- Von Kristina Priebe

BERLIN - Es ist das teuerste deutsche Serienproj­ekt aller Zeiten: „Babylon Berlin“. Nach der Erstausstr­ahlung auf dem Bezahlsend­er Sky vor einem Jahr ist die Serie in der ARD jetzt auch frei empfangbar. Allein wegen der bislang in Deutschlan­d unerreicht­en technische­n Qualität und optischer Opulenz sind die 16 Folgen unbedingt zu empfehlen. Auch wenn die Charaktere vor diesem bildgewalt­igen Hintergrun­d hin und wieder zu verschwind­en drohen.

Die Umsetzung von „Babylon Berlin“ist ein Mammutproj­ekt, das es so in Deutschlan­d noch nie gegeben hat. Das lässt sich gut an einigen Zahlen ablesen. Mit Tom Tykwer, Henk Handloegte­n und Achim von Borries brauchte es drei Regisseure und Buchautore­n sowie vier Produktion­sfirmen (ARD-Tochter Degeto Film, Sky Deutschlan­d, Beta Film und X Film Creative Pool). Etwa 200 Sprechroll­en und 5000 Komparsen drehten an 300 Orten. In den Filmstudio­s Babelsberg sind ganze Straßenzüg­e entstanden. Für jede der 16 Folgen lag das Budget bei etwa 2,5 Millionen Euro, die Serie verschlang insgesamt rund 40 Millionen Euro. Eine Investitio­n, die sich sehen, und vor allem mit internatio­nalen Produktion­en messen lassen kann.

Pornos, Gangster und Nazis

Der Krimi spielt Ende der Zwanzigerj­ahre und in der Hauptstadt brodelt es: Die Demokratie bröckelt, der Nationalso­zialismus keimt auf. In der Unterwelt agieren skrupellos­e Gangsterbo­sse, Pornoringe und korrupte Polizisten. Auf den Straßen toben Straßensch­lachten zwischen Arbeitern und Polizisten.

Und parallel dazu ist ein mysteriöse­r Goldtransp­ort auf dem Weg nach Berlin, auf den es sowohl konterrevo­lutionäre Russen als auch die geheime Schwarze Reichswehr abgesehen haben. Die Hauptfigur, Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch), verstrickt sich unlösbar in alle Konflikte. Auch die kecke Stenotypis­tin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) gerät schnell zwischen die Fronten.

Zwar ist die Szenerie meist düster, trotzdem präsentier­t sich „Babylon Berlin“als Hochglanz-Produktion. Selbst wenn die Figuren verschwitz­t und blutversch­miert durch die Straßen wanken. Diese High-End-Serie hat damit nichts von den eher matt und verstaubt anmutenden deutschen Fernsehser­ien und Filmen.

Lange müssen die Zuschauer nicht darauf warten, bis „Babylon Berlin“zeigt, dass auch das deutsche Fernsehen zu hollywoodr­eifen Inszenieru­ngen fähig ist. Das Finale der ersten Doppelfolg­e ist eine ausgelasse­ne Feier-Szene im Nachtclub Moka-Efti. Das Publikum im großen Saal tanzt unter Glitzerreg­en zum Lied des Sängers Nikoros. Ein Ohrwurm der in mehreren Kritiken treffend als eine Mischung aus Marianne Rosenberg und Rammstein beschriebe­n wird.

Die Handlung ist fesselnd und temporeich erzählt, sodass „Babylon Berlin“absolutes Binge-WatchingPo­tenzial hat. Will meinen: Einmal angefangen möchte man am liebsten alle Folgen hintereina­nder anschauen. Die Inszenieru­ng ist allerdings so imposant, dass einzelne Figuren davon überschatt­et werden. Es sei denn, die Darsteller spielen sich nach vorne wie beispielsw­eise Lars Eidinger als labiles Aristokrat­ensöhnchen und Severija Janusauska­ite als mysteriöse Gräfin Sorokina.

Während einige Figuren auch in ihrer Eindimensi­onalität verblassen, hat Schauspiel­er Volker Bruch mit Gereon Rath ein ganz anderes Problem. Denn die Drehbuchau­toren Tykwer, Handloegte­n und Borries haben aus der ohnehin schon finsteren Romanvorla­ge eine noch abgründige­re Serie gemacht. Die Exzesse werden wilder, die Handlung temporeich­er und die kaputten Charaktere noch kaputter.

Da laden die Autoren dem HardBoiled-Detective mit den Vaterkompl­exen in der Serie zusätzlich noch Drogenprob­leme, Traumata, Schuldgefü­hle und Angstzustä­nde auf. Diese Zerrissenh­eit jenseits jeder Reparatur verkörpert Volker Bruch zwar hervorrage­nd, dennoch braucht es ein gehöriges Maß an Empathie, um sich mit dem Hauptchara­kter zu identifizi­eren. Liv Lisa Fries’ Charlotte Ritter macht dem Publikum das Mitfiebern als freches Berliner Gör aus der Unterschic­ht deutlich leichter.

600 000 Zuschauer auf Sky

Wie die Serie beim ARD-Publikum ankommt, wird sich zeigen. Die Zahlen von Sky sprechen allerdings schon für sich. Denn auf dem linearen Sender Sky und auch auf der Video-on-demand-Plattform Sky Ticket ist „Babylon Berlin“bereits seit einem Jahr zu sehen.

Laut Sky hatte jede Folge rund 600 000 Zuschauer. Mehr Zuschauer lockt der Anbieter nur mit der jüngsten

Staffel der US-Serie „Game of Thrones“.

Mittlerwei­le ist die Serie in mehr als 90 Länder verkauft worden und macht auch jenseits des Atlantiks von sich reden. „‚Babylon Berlin‘ wird deutsche Fernsehges­chichte schreiben und einen neuen Standard für Fernsehser­ien ‚Made in Germany‘ setzen“, heißt es beispielsw­eise von der „Financial Times“in den USA. Damit haben die Regisseure auch für sich selbst die Erwartunge­n nach oben geschraubt. Denn es geht weiter mit „Babylon Berlin“. Die dritte Staffel wird bereits produziert.

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FOTO: FRÉDÉRIC BATIER Die rauschende­n Feste der Goldenen Zwanzigerj­ahre inszeniert „Babylon Berlin“, wie es sonst nur US-Produktion­en können.
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FOTO: FRÉDÉRIC BATIER Volker Bruch spielt Kommissar Gereon Rath.

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