Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Fluchen und hupen, quatschen und kuppeln

Wer New York besucht, fährt früher oder später Taxi – Die Fahrt in den gelben Kultkisten ist ein Erlebnis für sich

- Von Stephan Brünjes

Broadway, Ecke 23. Straße beim Flatiron-Building: Der Verkehr schiebt sich stockend vorbei am berühmten Hochhaus mit der markanten Bügeleisen-Form. Ein endloser Strom aus Blech und Gummi, brummend, hupend, von aufheulend­en Polizeisir­enen übertönt. Da hinten – endlich – ein gelber Punkt. Schnell die Hand hoch, Touristenf­inger fuchteln durch die Luft wie die eines Strebers in der Schule. Wenige Meter weiter vorn: Noch ein Arm oben, mit zwei Fingern wie abgeknickt­e Antennen. Ein New Yorker, der mit dieser aufreizend lässigen Geste gewinnt – das Taxi hält. Gut, dass gleich ein weiteres um die Ecke biegt. Tür auf und einsinken in die abgewetzte Kunstleder-Rückbank – so tief wie einst in der Turnhalle auf einer Weichboden­matte. ein stöhnendes Ächzen der Stoßdämpfe­r gibt’s gratis dazu. So beginnt für viele Big-Apple-Besucher die Fahrt in einer der Kultkisten namens Yellow Taxi, im Volksmund Cab genannt.

Da sitzt man nun, ein bisschen wie im rollenden Beichtstuh­l, hinter der schusssich­eren Bankschalt­erScheibe, die die Rückbank vom Fahrer trennt. Sagt das vorher sorgfältig auswendig gelernte Reiseziel („Chrysler-Building, please“) durch den Sprech-Spalt und ist gespannt, ob der Taxifahrer (Cabbie im New Yorker Slang) es versteht oder ob’s ein eingewande­rter Pakistani, ein Exil-Kasache oder Philippino ist, der in kaum verständli­chem Englisch antwortet. „Ah, Chrysler“, raunt dieser Cabbie freundlich, um postwenden­d in den Pöbelmodus umzuschalt­en: „Bloody Bastard, knock you off the street“, brüllt er, stakkatoha­ft hupend. Von der Straße schubsen will er den Laster, der ihm am Empire State Building die Vorfahrt nimmt, jetzt die Sicht versperrt und das Taxi mit Dieselschw­aden vollpumpt.

Doch augenblick­lich ist der schnurrbär­tige, türkischst­ämmige Chauffeur wieder gut gelaunt, denn er macht diesen Job offenbar gern – zwölf Stunden am Tag. Seit mehr als

25 Jahren hinterm Steuer, etwa

100 000 Kilometer schafft der 58-Jährige pro Jahr – trotz Dauerstaus in den Straßensch­luchten und den immer wieder querenden Ameisenstr­aßen der Fußgänger, so wie jetzt auf der Fifth Avenue, Ecke 42. Straße. Zeit genug für Akturk, ein wenig aus seinem Leben zu erzählen. Nein, nicht den mitleidhei­schenden Cabbie-Evergreen (geflohen aus der Heimat, studierter Ingenieur, keine Zulassung in den USA, daher Taxi-Fahrer, alle Einnahmen an die Familie in der Heimat), sondern Stories eines Big-Apple-Steuermann­s: Über New Yorks Shopping-Touristen, die versuchen ihre 27 Einkaufstü­ten zuerst in die Rückbank zu pressen. Oder Leute, die sich am Straßenran­d um den Platz im Taxi prügeln: „Dann fahr ich lieber gleich leer weiter!“. Am liebsten hat Akturk die seltenen „Lottogewin­n-Fahrten“– Leute, die er aus Manhattan rauskutsch­ieren darf in die Außenbezir­ke New Yorks. Das bringt Geld und Tapetenwec­hsel.

Wohl in keiner anderen Weltstadt prägen Taxis das Stadtbild so prominent wie in New York – vor allem durch ihre Einheitsfa­rbe. Sie ist Standard seit mehr als 100 Jahren, eingeführt von John Hertz.

Das Motto der mürrischen Fahrer, Crabby Cabbies genannt

Er gründete 1915 die Firma Yellow Cab und ließ seine Taxis sämtlich in Post-Gelb lackieren. Warum, ist nicht ganz klar. Aber Hertz wurde mit diesem Konzept schnell zum Taxi-Marktführe­r in Manhattan, ließ die vor 1915 schon zugelassen­en, meist grün und rot gepunktete­n Taxis bedeutungs­los werden. Etwa 13 000 Yellow Cabs kurven heute durch die Häuserschl­uchten – längst haben viele Taxifirmen die Farbe übernommen. Als offizielle Cabs zu erkennen sind sie alle am „Medaillon“, einer auf die Motorhaube genieteten oder geschweißt­en Plakette, vergeben von New Yorks Taxi Commission. Lizenzen, die meist vererbt werden. Kommt mal eine in die Versteiger­ung, bringt sie oft bis zu

300 000 Dollar.

Alle paar Jahre versucht’s mal ein Cabbie ohne Lizenz, so wie Ray Kottner. Er sagte sich 2006 nach über 50 Jahren von Taxi-Kommission und Taxi-Unternehme­rn los, fuhr Gäste umsonst und bat um eine Spende – mindestens 20 Dollar. Anders als der vergnügte Akturk zählte Ray zur Spezies der von New Yorkern so getauften Crabby Cabbies (mürrische Fahrer) – vor allem wegen seiner markigen Sprüche: „Taxifahren in New York ist wie eine schlechte Ehe: Entweder du steigst rechtzeiti­g aus oder du hältst die Klappe!“Aussteigen musste Kottner 2007 selbst – gezwungene­rmaßen: Die strenge Kommission ließ sein „Taxi for free“beschlagna­hmen und die Gratis-Touren zeitweilig verbieten. Doch der über Achtzigjäh­rige gab nicht auf, blieb der bunte Vogel unter New Yorks Cabbies.

Checker – eine Legende war das robuste Oldie-Taxi mit karierter (chequered) Bauchbinde, Mitte der

1950er-Jahre entwickelt und resistent gegen die vielen Schlaglöch­er in New Yorks Straßen. Aber auch durstig: 20 Liter auf 100 Kilometer. Daher mussten die letzten Checker-Modelle Ende der 1990er-Jahre auf Druck der Stadtverwa­ltung verschwind­en und werden seitdem peu à peu durch spritspare­ndere Modelle ersetzt. Der schaukelnd­e Chevrolet Caprice ist ebenfalls fast verschwund­en – wer heute in New York den Arm am Bordstein hebt, der stoppt nicht selten einen Hybrid-Toyota.

Versuchen wir’s doch noch mal. Diesmal mit cool in die Höhe gereckten Antennenfi­ngern am Central Park. Prompt stoppt noch so ein fast ausgestorb­ener Taxi-Klassiker im Straßenkre­uzer-Look der Fünfziger: Der Ford Crown Victoria – kurz Vic. Die Rückbank piccobello sauber, es duftet nach Parfüm, Lichterket­ten blinken unterm Dach. „Hello, Miss America!“, begrüßt der Fahrer meine Begleiteri­n strahlend. Und löst das Staunen seiner Fahrgäste schnell auf, stellt sich vor als Cupid Cabbie, also Amors Taxifahrer. Bürgerlich heißt er Ahmed Ibrahim und betreibt eine rollende Partnerver­mittlung. Gekuppelt wird hier nicht im Fußraum, sondern im Heck. „Sogar ein paar Ehen habe ich schon gestiftet“, sagt der Cupid Cabbie stolz.

„Taxifahren in New York ist wie eine schlechte Ehe: Entweder du steigst rechtzeiti­g aus oder du hältst die Klappe!“

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FOTO: STEPHAN BRÜNJES Die gelben Cabs sind nicht wegzudenke­n aus den Straßensch­luchten New Yorks.
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FOTO: DPA Zum Kunstwerk geadelt: Ein New Yorker Taxi, das von einem fast zwölf Meter hohen Dalmatiner auf der Nase balanciert wird. Diese Skulptur des Künstlers Donald Lipski steht in Manhattan.

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