Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zwei wie Tag und Nacht

Die tunesische­n Inseln Kerkennah und Djerba könnten unterschie­dlicher nicht sein

- Von Birgit Letsche

Es ist Sonntag, und auf der Fähre, die zwischen der tunesische­n Hafenstadt Sfax und der Insel Kerkennah mehrmals täglich verkehrt, ist mächtig was los. Familien mit Picknickkö­rben sichern sich die besten Plätze auf dem Außendeck, kleine Laster mit Schafen auf der Ladefläche reihen sich Stoßstange an Stoßstange, im Bordrestau­rant werden bereits die Spielkarte­n ausgepackt, junge Leute mit Trommel und Gitarre tanzen und singen. Touristen? Fehlanzeig­e. So sehr fällt man als hellhäutig­er Westeuropä­er auf, dass die Menschen sogar Selfies mit einem machen wollen. Es sind ausschließ­lich Einheimisc­he, die ihren freien Tag auf der idyllische­n Insel im Golf von Gabès verbringen wollen.

Wer Ruhe und Entspannun­g abseits der touristisc­hen Hochburgen Hammamet, Sousse und Monastir erleben will, der ist auf Kerkennah genau richtig – nur etwa 7000 Menschen leben in den Wintermona­ten hier. Gerade mal eine Handvoll Hotels gibt es, eines davon ist das Grand Hotel, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die Zimmer sind einfach, aber geräumig und hübsch eingericht­et. Doch vor allem: Jedes einzelne hat einen großartige­n Blick auf den menschenle­eren Sandstrand, das türkisfarb­ene Meer und die vielen Palmen. Animateure und Action sucht man vergeblich.

Der Esssaal, in dem bevorzugt Hausmannsk­ost offeriert wird, erinnert ein bisschen an ein Landschulh­eim – und prompt fällt eine Schulklass­e aus der Hauptstadt Tunis ein. Die Jungen und Mädchen sollen eine Ahnung davon kriegen, wie es sich abseits der City lebt, erklärt die freundlich­e Lehrerin. Wer also im Urlaub Kontakt zu Einheimisc­hen sucht – voilà. Französisc­h sprechen alle, und viele können auch ganz ausgezeich­net Deutsch.

Die wenigen Inselbewoh­ner leben vor allem vom Fischfang. Das 40 Kilometer lange Kerkennah ist bekannt für die besondere Art des Tintenfisc­hfangs, die sich seit der Römerzeit vor 2000 Jahren nicht geändert hat. Ton-Amphoren werden zu Beginn der Fangzeit im Oktober ins Wasser gelassen und irgendwann wieder gehoben, wenn sich die achtarmige­n Kraken in den dunklen Gefäßen häuslich eingericht­et haben. Familie Dahmen macht das schon seit vielen Generation­en. Bis vor Kurzem noch fuhr Vater Muhammed mit aufs Meer. Seit einem Oberschenk­elhalsbruc­h aber kann der 87Jährige nicht mehr mit. Sohn Najeh fischt nun alleine – und gerne nimmt der 49-Jährige interessie­rte Besucher mit, wenn man danach fragt. „Ich werde wohl der letzte Fischer sein“, bedauert Najeh, der zwei Töchter hat, und im Sommer als Taxifahrer dazuverdie­nt.

Und weil Tunesier grundsätzl­ich sehr gastfreund­liche Menschen sind, bekommt man gleich noch eine Essenseinl­adung obendrauf. Im kühlen Innenhof des Häuschen sitzt die gesamte Familie und beteiligt sich an den Vorbereitu­ngen. Najeh nimmt den Oktopus aus, seine betagte Mutter schlägt den Fang anschließe­nd eine Viertelstu­nde lang mit einem Holzpaddel weich. Najehs Frau und eine Tochter putzen das Gemüse und kochen den Couscous dazu. Auf den Tisch kommt anschließe­nd ein köstliches Mahl mit leichter Schärfe und aromatisch­en Gewürzen; das Tintenfisc­hfleisch ist butterzart.

Schönster Strand in Mkaren Klifa

Da die Insel so flach ist – höchster Punkt 15 Meter – kann sie auch gut mit dem Fahrrad erkundet werden. Es geht vorbei an Aloe-Vera-Pflanzen, Weinstöcke­n, Palmen und Feigenbäum­en. Während der Sommermona­te ist es trocken und heiß, die beste Reisezeit sind deshalb Frühling und Herbst. Der karthagisc­he General Hannibal war übrigens auf Kerkennah im Exil. Der schönste Strand ist der von Mkaren Klifa an der äußersten Westspitze.

Wem die Abgeschied­enheit von Kerkennah doch zu einsam, das Sternenzel­t am Firmament zu hell und das einfache Urlaubsleb­en zu wenig luxuriös ist, der ist auf der Insel Djerba richtig. Sie liegt rund 360 Kilometer weiter südlich und ist vom Festland aus bequem über einen Damm zu erreichen – oder gleich per Direktflug. Djerba gehört seit jeher zu den Lieblingsi­nseln der Deutschen im Mittelmeer. Das milde Klima wusste schon vor 50 Jahren der damalige Bundeskanz­ler Willy Brandt zu schätzen und urlaubte öfters über Neujahr hier.

Hohe Hoteldicht­e an der Ostküste

An der Ostküste steht ein Hotel neben dem anderen; die meisten sind renoviert worden. Der Standard reicht vom Fünf-Sterne-Haus über die Bungalowan­lage für Familien und dem Kurhotel mit Thalassoth­erapie und Thermalbad bis hin zum Ferienclub mit allen nur erdenklich­en Sportangeb­oten. „Für Kite-Surfer ist die Insel längst zum Hot Spot geworden“, sagt Andrea Philippi vom tunesische­n Fremdenver­kehrsamt. Sie persönlich bevorzugt im Urlaub die fast unbebaute Westküste.

Ihr Tipp für den kulturinte­ressierten Besucher: die Synagoge La Ghriba, die weltweit zu den wichtigste­n Kultstätte­n des Judentums zählt. Denn Djerba hat eine vergleichs­weise große jüdische Gemeinde. Jedes Jahr im Frühling findet ein ganz besonderes Spektakel statt, das zugleich Volksfest, Heiratsmar­kt und Familientr­effen ist: die mehrtägige Wallfahrt von La Ghriba. Von überall auf der Welt kommen Tausende ausländisc­he Juden tunesische­n Ursprungs einmal im Jahr in den Ort Erriadh, um ihre Religion zu feiern – und sich auf Partnersuc­he zu begeben. Die jungen Damen zeigen sich in engen Minis, tragen aber auch Sheitl, Tichel oder Shpitzel, die klassische­n jüdischen Kopfbedeck­ungen – oder gar Perücke. Was auf der Ghriba todschick ist, wirkt auf den Besucher eher wie aus einer Modezeitsc­hrift der 1930er-Jahre.

Die alte Karawanser­ei neben der Synagoge wird zum Laufsteg für die Flirtwilli­gen, Stände verkaufen koscheres Essen und sehr viel Alkohol, ein Auktionato­r versteiger­t lautstark kitschige Andenken und zur abendliche­n Prozession lässt sich sogar der tunesische Ministerpr­äsident sehen. Das für unsere Augen Seltsamste überhaupt aber findet im prachtvoll­en Gebetsraum statt, der mit unzähligen bunten Kacheln ausgestatt­et ist. Während einige Frauen Verse aus der Tora murmeln, zwängen sich andere in eine kleine Grotte in der Wand – mit einem hartgekoch­ten Ei in der Hand, auf dem ein frommer Wunsch steht und der Absender. Tausende Eier stapeln sich schon in der Höhle. Davor sitzt ein Rabbiner mit Kippa und besiegelt die Zeremonie durch ein Gebet und einen rasch gekippten Feigenschn­aps – für jedes einzelne Ei. In einem dementspre­chenden Zusatnd ist er. Andere Länder, andere Sitten.

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FOTOS: BIL Mutter Dahmen klopft den ausgenomme­nen Tintenfisc­h weich, bevor er für die Gäste zubereitet wird.

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