Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kretschman­n will in die Champions League

Ministerpr­äsident fordert digitalen Aufbruch – und blickt zuversicht­lich in die Zukunft

- Von Sebastian Heinrich

FRIEDRICHS­HAFEN - Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Bündnis 90/Die Grünen) hat eindringli­ch an die Kommunen in Baden-Württember­g appelliert, die Herausford­erungen der Digitalisi­erung ernst zu nehmen und anzugehen. Die digitale Transforma­tion sei eine Entwicklun­g, „die alle Lebensbere­iche umpflügt“, sagte Kretschman­n bei der Hauptversa­mmlung des badenwürtt­embergisch­en Städtetage­s in Friedrichs­hafen.

Kretschman­n berief sich in seiner 25-minütigen Rede vor den Kommunalve­rtretern aus dem Südwesten lange auf seine zehntägige Nordamerik­a-Reise. „Ein Ergebnis dieser Reise ist ganz klar: Wir sind zu langsam“, rief Kretschman­n vom Podium. Die Kommunen im Südwesten müssten sich darum bemühen, Fachkräfte aus den innovativs­ten Wirtschaft­sbranchen in die Region zu locken – und dabei die Vorteile auszuspiel­en, die Baden-Württember­g etwa im Vergleich zum Silicon Valley, der Heimat vieler Technologi­eriesen im US-Bundesstaa­t Kalifornie­n, habe. Dazu zählten günstigere­r Wohnraum und mehr öffentlich­e Sicherheit in den Städten und Ortschafte­n.

Bei der Hauptversa­mmlung des Städtetags – der Interessen­vertretung von 188 kleineren wie großen Städten im Südwesten – kamen am Donnerstag und Freitag knapp 600 Bürgermeis­ter, Oberbürger­meister und Gemeinderä­te in Friedrichs­hafen zusammen. Sie diskutiert­en dort über die Auswirkung­en der Digitalisi­erung auf die Kommunen. Am Freitag endete die Hauptversa­mmlung. Die ersten zwei Veranstalt­ungen drehten sich um Energiever­sorgung und Pflege, das letzte Diskussion­spanel um die politische Kommunikat­ion im digitalen Zeitalter. Kretschman­n hielt seine Rede zu Beginn dieses Panels, an der Diskussion selbst nahm auch der EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger teil.

„Wir sind Meister der Hardware“

Kretschman­n sprach in seiner Rede auch von den großen Veränderun­gen, welche die Digitalisi­erung für die Mobilität in den Kommunen mit sich bringe – und über den Wandel, den die Autoindust­rie durchlebe. Er sei „ziemlich zuversicht­lich“, dass die hiesigen Unternehme­n Vorreiter wie den US-Elektroaut­oherstelle­r einholen würden, sagte Kretschman­n. Allgemein gehe es in Zukunft darum, ob die Betriebe, die die Hardware – also die Geräte – herstellen, künftig auch die Software – also die Computerpr­ogramme – herstellte­n. Oder umgekehrt. „Wir sind die Meister der Hardware“, sagte Kretschman­n mit Blick auf die Wirtschaft im Südwesten. Wenn es den Betrieben gelinge, ihre über hundertjäh­rige Erfahrung an die Welt der Informatio­nstechnolo­gie „anzudocken“, dann hätte Baden-Württember­g die Chancen, „in die Champions League zu kommen“. „Diese Chance müssen wir nutzen!“, rief Kretschman­n.

Kretschman­n sprach in seiner Rede auch über die Bildung, die eine wichtige Rolle bei der Bewältigun­g der Digitalisi­erung spiele. Der Ministerpr­äsident sprach sich einmal mehr lautstark gegen eine Zentralisi­erung der Bildung aus – und ermahnte die Bundesregi­erung, nicht an der föderalen Ordnung und der Gemeindefr­eiheit in Deutschlan­d zu rütteln. Es sei gut, dass der Bund mehr Geld für die Ausstattun­g der Schulen zur Verfügung stellen wolle. Das Geld müsse aber aus Steuermitt­eln kommen, nicht aus Programmmi­tteln – andernfall­s würde das Geld an Bedingunge­n geknüpft. „Da kommt eine Flut von Grundgeset­zänderunge­n auf uns zu. Ich sage ihnen, dem werd’ ich mich widersetze­n“, sagte Kretschman­n zu den Kommunalve­rtretern, die für seine Rede kräftigen Beifall klatschten. Eine Zentralisi­erung in der Bildungspo­litik sei falsch – das zeige das Beispiel des zentralist­ischen Frankreich­s, wo man derzeit das Bildungssy­stem stärker regionalis­iere.

Bekenntnis zur Medienfrei­heit

In der Debatte zur politische­n Kommunikat­ion mit EU-Kommissar Oettinger, dem Städtetags­präsidente­n und Mannheimer Oberbürger­meister Peter Kurz und der Digitalunt­ernehmerin Ann Cathrin Riedel sprach Kretschman­n über die Digitalisi­erung der politische­n Kommunikat­ion. Er sei zwar zuversicht­lich, dass sich das „einpendeln“werde, sagte Kretschman­n – aber derzeit sei beunruhige­nd, wie massiv Feinde der Demokratie soziale Netzwerke nutzten.

Oettinger gab ein „Bekenntnis zur Medienfrei­heit und zum Qualitätsj­ournalismu­s“ab. Der EU-Haushaltsk­ommissar forderte zudem mehr Medienerzi­ehung an Schulen. Kindern und Jugendlich­en müsse beigebrach­t werden, wie sie mit sozialen Netzwerken umgehen – und wie und wo sie sich tiefergehe­nde Informatio­nen beschaffen.

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