Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Diözese trennte sich schnell von beschuldigtem Pfarrer
Erst das verschärfte Kirchenrecht führte zur Freistellung – Gremien beraten Konsequenzen aus Missbrauchsstudie
ULM - Ein damals 56-jähriger Pfarrer ist seit April 2010 nicht mehr im pastoralen Dienst tätig, nachdem Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs aufgetaucht waren. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart bestätigte am Freitag damit einen entsprechenden Bericht aus der „Schwäbischen Zeitung“vom Mittwoch. Wie eine Sprecherin sagte, hatte sich im Dezember 2004 ein erster Betroffener im Ordinariat gemeldet. „Der Tatvorwurf lautete: homosexuelle Handlungen mit einem damals 17-Jährigen im Jahr 1987.“Der betreffende Pfarrer war seit dem Januar
2004 in der Auslandsseelsorge tätig. Juristisch zu belangen war der Mann damals nicht, daher gab es zunächst einen Verweis. Die Diözese habe daher nach damaliger Kenntnis und Rechtsprechung korrekt gehandelt: „Zum Zeitpunkt des Tatvorwurfs
1987 galt ein anderes kirchliches Strafrecht als heute, das seit 2001 gilt“, sagt die Sprecherin: „Dieses sagte aus, dass sexuelle Handlungen an oder mit unter 16-Jährigen strafbar sind. Die Verjährungsfrist betrug damals fünf Jahre nach der Tat.“
Entsprechend habe der betreffende Pfarrer im Jahr 2005 von Bischof Gebhard Fürst auf Empfehlung der unabhängigen Kommission „Sexueller Missbrauch“einen Verweis erhalten, denn, „eine Straftat lag nach damaligem kirchlichem Strafrecht nicht vor.“Deshalb konnte sich der Pfarrer 2009 um eine Stelle im Schwarzwald bewerben und wurde auch ernannt.
Vorwürfe häuften sich
Nachdem sich nach Angaben der Diözese im Frühjahr 2010 mehrere Betroffene gemeldet hatten, seien umgehend Maßnahmen durch die Kommission „Sexueller Missbrauch“eingeleitet worden. Die Sprecherin erklärte: „Die Ergebnisse führten dazu, dass die Diözese den Pfarrer sehr schnell, im April 2010, freistellte und den Vorgang an die Glaubenskongregation in Rom meldete.“Dies sei Vorschrift seit 2001. Seither sei er nicht mehr im pastoralen Dienst tätig.
Der betreffende Pfarrer war seit den späten 1980er-Jahren in Mochenwangen (Landkreis Ravensburg) tätig. Seinerzeit hatte ein langjähriges Mitglied des Kirchengemeinderates, Ludwig Zimmermann, nach eigenen Angaben bereits Auffälligkeiten bemerkt und dem Ordinariat gemeldet. Er sei „ein wichtiger Gesprächspartner und Zeuge“gewesen, sagte die Sprecherin. Ab 2010 habe es einen intensiven Austausch gegeben. Zimmermann hatte der Diözese dagegen Untätigkeit vorgeworfen. Dies weist die Sprecherin zurück: „Der Vorwurf ,Die Diözese hat uns alleingelassen’ ist aus diesem Grunde für uns nicht nachvollziehbar.“
Alle wichtigen Gremien der Diözese Rottenburg-Stuttgart werden sich in den kommenden Monaten mit den Ergebnissen und Empfehlungen der vorgestellten MHG-Studie zum Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche befassen. Zu klären sei beispielsweise, wo es Strukturen gebe, die sexuellen Missbrauch begünstigten, und wo es zu wenig Transparenz im Umgang mit Tätern und Opfern gegeben habe.
Bei der Sitzung des Diözesanrates an diesem Wochenende im Kloster Schöntal wird Bischof Gebhard Fürst ausführlich über die Studie berichten. Bis zum Sommer kommenden Jahres wollen sich der Priesterrat, Bischöfliches Ordinariat und die Dekane als verantwortliche Leiter der 25 Dekanate des Themas annehmen. Am 1. Juli nächsten Jahres steht eine große Fachtagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart an, die sich mit den Ergebnissen der MHGStudie und ihrer Bedeutung für die Prävention beschäftigt.
Für den Zeitraum von 1946 bis 2017 sind 72 inkardinierte Kleriker (Priester und Diakone in Personalverantwortung der Diözese) bekannt, die des Missbrauchs an Minderjährigen beschuldigt wurden; mindestens 45 von ihnen sind verstorben.