Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Im Schwäbischen muss man genau hinhören
Der Auftakt unserer Mundart-Serie dreht sich um dialektbedingte Missverständnisse
SIGMARINGEN - Sich mit einem Dialekt zu verständigen, für den es keine schriftlichen Regeln, ja wenn überhaupt phonetische Regelmäßigkeiten gibt, die sich bereits von Region zu Region (oder eher: Dorf zu Dorf) unterscheiden, ist ein Garant für Missverständnisse. Gerd Bantle, ehemaliger SZ-Redaktionsleiter und Mundart-Liebhaber, fällt dazu prompt ein Witz ein: „Zwei Schwaben und ein Berliner sitzen im Zug von Albstadt nach Sigmaringen. ,Au ge Ebinga gsai?’, fragt der eine Schwabe den Berliner. ,Wat ham se jesagt?’, fragt der Berliner. Da kommt ihm der andere Schwabe zur Hilfe: ,Er moint gweä!“.
Mit Missverständnissen kennt sich Bantle, in Rottweil geboren und in Straßberg aufgewachsen, aus: „Bereits in Winterlingen, drei Kilometer von Straßberg entfernt, spricht man ganz anders“, sagt er. Beispiel: Während die Straßberger ankündigen: „MannaMorga gao ma an dr See“(morgen gehen wir an den See), sagen die Winterlinger: „Muna-Marga gange ma an Sai“. Je südlicher im Landkreis, desto fremder werde ihm der Dialekt. „Das Allemannische kann ich nur schwer imitieren, das sage ich bei meinen Vorträgen auch“, sagt der 74-Jährige. Regelmäßig gibt er Vorträge zur schwäbischen Redensart, beispielsweise beim Kneipp-Verein, dem Bildungswerk oder beim Altenwerk. Das Allemannische übersetze er dann immer in seinen Dialekt, um es vorlesen zu können. Umso überraschender, dass seine Frau aus Meßkirch kommt – Verständigungsprobleme gebe es keine, sagt er.
In seiner Zeit als SZ-Redaktionsleiter verfasste er zahlreiche Glossen im Dialekt. „Einmal schrieb ich ,Simmeringa’ statt ,Semerenga’, da gab es wütende Leserzuschriften“, erinnert sich der Lokaljournalist. Doch meistens habe ihm das Schwäbisch im Beruf viele Türen geöffnet. „Wenn die Leute Schwäbisch hören, assoziieren sie damit: Das ist einer von uns, der kennt unsere Eigenarten“, so Bantle.
„Viele Missverständnisse im Schwäbischen rühren auch daher, dass sich die Worte so ähneln: ,Mei Ma ma me’ (,mein Mann mag mich’) oder ,Dr Domma von deam Domma’ (,Der Daumen des Dummen’)“, nennt Bantle als Beispiele. Auch ,Hosch de griecht fürs Griecht?’ (,Hast Du dich fürs Gericht fertig gemacht?’) und ,dei Vettr wird elleweil fetter’ (,Dein Vetter wird immer fetter’) klinge gesprochen gleich. Die Worte „hoch“und „Haus“spreche der Schwabe im folgenden Beispiel auch fast gleich aus: , a haos Haus’. „Man muss genau hinhören. Bei der Verschriftlichung wird es dann ungleich schwerer“, sagt der Sigmaringer.
Bantle selbst schreibt auch Gedichte in Mundart, die er im Eigenverlag veröffentlicht. Anlässlich der schwäbischen Heimattage 1995 regte er im Pfarrgemeinderat an, eine ganze Predigt auf schwäbisch zu übersetzen, inklusive dem Vaterunser („Hemmlsvatt’r vo eis Schwoba, sakrisch wellet mir Di loba“) und dem Credo. „Der Organist musste dann improvisieren“, erinnert sich der pensionierte Journalist, der von 1968 bis 1993 bei der „Schwäbischen Zeitung“gearbeitet hat, 15 Jahre davon als Redaktionsleiter.
Immer wieder komme Bantle nach seinen Vorträgen ins Gespräch mit Leuten. So erfuhr er, dass „Butzenmeckeler“nicht nur Nasenpopel, sondern andernorts auch Vogelscheuche bedeuten kann.
Doch natürlich gibt es nicht nur Missverständnisse unter Schwaben, sondern auch Verwirrungen, manche Worte betreffend, die die Schwaben aus dem Hochdeutschen oder Französischen zweckentfremdet haben. So ist der „Buckel“im Schwäbischen der Rücken, egal wie bucklig oder kerzengerade dieser sein mag – es kann aber auch ein landschaftlicher Hügel gemeint sein.
Während sich der Schwabe mit dem „Deppich“zudeckt, würde der Rest Deutschlands eher zur Decke greifen. Mit „Bühne“sind im Schwäbischen auch nicht die Bretter, die die Welt bedeuten, gemeint, sondern der Dachboden. „Bagage“bedeutet, anders als im Französischen, nicht Gepäck, sondern Lumpengesindel (manchmal wir damit auch liebevoll die Verwandschaft bezeichnet). Gehen und „laufen“, Beine und „Füße“, jucken und „beißen“, rennen und „wetzen“– der Schwabe nimmt es nicht ganz so genau.
Wenn er sich Klamotten „hinrichtet“, so ist keineswegs die Exekution seiner Kleidung gemeint, sondern das Bereitlegen derselbigen. Der Schwabe trinkt aus einem „Hafen“und „schlotzt“sein Eis oder „Viertele“.
Während sich Schüler in anderen Bundesländern melden, wird in Baden-Württemberg „gestreckt“. Außerdem geht der Schwabe nicht zum Shoppen, sondern zum „Schoppen“, womit der Konsum eines morgendlichen Biers (bei Kindern jedoch die Nuckelflasche) gemeint ist.
„Viele Missverständnisse im Schwäbischen rühren auch daher, dass sich die Worte so ähneln“, sagt Gerd Bantle.