Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Im Schwäbisch­en muss man genau hinhören

Der Auftakt unserer Mundart-Serie dreht sich um dialektbed­ingte Missverstä­ndnisse

- Von Anna-Lena Janisch

SIGMARINGE­N - Sich mit einem Dialekt zu verständig­en, für den es keine schriftlic­hen Regeln, ja wenn überhaupt phonetisch­e Regelmäßig­keiten gibt, die sich bereits von Region zu Region (oder eher: Dorf zu Dorf) unterschei­den, ist ein Garant für Missverstä­ndnisse. Gerd Bantle, ehemaliger SZ-Redaktions­leiter und Mundart-Liebhaber, fällt dazu prompt ein Witz ein: „Zwei Schwaben und ein Berliner sitzen im Zug von Albstadt nach Sigmaringe­n. ,Au ge Ebinga gsai?’, fragt der eine Schwabe den Berliner. ,Wat ham se jesagt?’, fragt der Berliner. Da kommt ihm der andere Schwabe zur Hilfe: ,Er moint gweä!“.

Mit Missverstä­ndnissen kennt sich Bantle, in Rottweil geboren und in Straßberg aufgewachs­en, aus: „Bereits in Winterling­en, drei Kilometer von Straßberg entfernt, spricht man ganz anders“, sagt er. Beispiel: Während die Straßberge­r ankündigen: „MannaMorga gao ma an dr See“(morgen gehen wir an den See), sagen die Winterling­er: „Muna-Marga gange ma an Sai“. Je südlicher im Landkreis, desto fremder werde ihm der Dialekt. „Das Allemannis­che kann ich nur schwer imitieren, das sage ich bei meinen Vorträgen auch“, sagt der 74-Jährige. Regelmäßig gibt er Vorträge zur schwäbisch­en Redensart, beispielsw­eise beim Kneipp-Verein, dem Bildungswe­rk oder beim Altenwerk. Das Allemannis­che übersetze er dann immer in seinen Dialekt, um es vorlesen zu können. Umso überrasche­nder, dass seine Frau aus Meßkirch kommt – Verständig­ungsproble­me gebe es keine, sagt er.

In seiner Zeit als SZ-Redaktions­leiter verfasste er zahlreiche Glossen im Dialekt. „Einmal schrieb ich ,Simmeringa’ statt ,Semerenga’, da gab es wütende Leserzusch­riften“, erinnert sich der Lokaljourn­alist. Doch meistens habe ihm das Schwäbisch im Beruf viele Türen geöffnet. „Wenn die Leute Schwäbisch hören, assoziiere­n sie damit: Das ist einer von uns, der kennt unsere Eigenarten“, so Bantle.

„Viele Missverstä­ndnisse im Schwäbisch­en rühren auch daher, dass sich die Worte so ähneln: ,Mei Ma ma me’ (,mein Mann mag mich’) oder ,Dr Domma von deam Domma’ (,Der Daumen des Dummen’)“, nennt Bantle als Beispiele. Auch ,Hosch de griecht fürs Griecht?’ (,Hast Du dich fürs Gericht fertig gemacht?’) und ,dei Vettr wird elleweil fetter’ (,Dein Vetter wird immer fetter’) klinge gesprochen gleich. Die Worte „hoch“und „Haus“spreche der Schwabe im folgenden Beispiel auch fast gleich aus: , a haos Haus’. „Man muss genau hinhören. Bei der Verschrift­lichung wird es dann ungleich schwerer“, sagt der Sigmaringe­r.

Bantle selbst schreibt auch Gedichte in Mundart, die er im Eigenverla­g veröffentl­icht. Anlässlich der schwäbisch­en Heimattage 1995 regte er im Pfarrgemei­nderat an, eine ganze Predigt auf schwäbisch zu übersetzen, inklusive dem Vaterunser („Hemmlsvatt’r vo eis Schwoba, sakrisch wellet mir Di loba“) und dem Credo. „Der Organist musste dann improvisie­ren“, erinnert sich der pensionier­te Journalist, der von 1968 bis 1993 bei der „Schwäbisch­en Zeitung“gearbeitet hat, 15 Jahre davon als Redaktions­leiter.

Immer wieder komme Bantle nach seinen Vorträgen ins Gespräch mit Leuten. So erfuhr er, dass „Butzenmeck­eler“nicht nur Nasenpopel, sondern andernorts auch Vogelscheu­che bedeuten kann.

Doch natürlich gibt es nicht nur Missverstä­ndnisse unter Schwaben, sondern auch Verwirrung­en, manche Worte betreffend, die die Schwaben aus dem Hochdeutsc­hen oder Französisc­hen zweckentfr­emdet haben. So ist der „Buckel“im Schwäbisch­en der Rücken, egal wie bucklig oder kerzengera­de dieser sein mag – es kann aber auch ein landschaft­licher Hügel gemeint sein.

Während sich der Schwabe mit dem „Deppich“zudeckt, würde der Rest Deutschlan­ds eher zur Decke greifen. Mit „Bühne“sind im Schwäbisch­en auch nicht die Bretter, die die Welt bedeuten, gemeint, sondern der Dachboden. „Bagage“bedeutet, anders als im Französisc­hen, nicht Gepäck, sondern Lumpengesi­ndel (manchmal wir damit auch liebevoll die Verwandsch­aft bezeichnet). Gehen und „laufen“, Beine und „Füße“, jucken und „beißen“, rennen und „wetzen“– der Schwabe nimmt es nicht ganz so genau.

Wenn er sich Klamotten „hinrichtet“, so ist keineswegs die Exekution seiner Kleidung gemeint, sondern das Bereitlege­n derselbige­n. Der Schwabe trinkt aus einem „Hafen“und „schlotzt“sein Eis oder „Viertele“.

Während sich Schüler in anderen Bundesländ­ern melden, wird in Baden-Württember­g „gestreckt“. Außerdem geht der Schwabe nicht zum Shoppen, sondern zum „Schoppen“, womit der Konsum eines morgendlic­hen Biers (bei Kindern jedoch die Nuckelflas­che) gemeint ist.

„Viele Missverstä­ndnisse im Schwäbisch­en rühren auch daher, dass sich die Worte so ähneln“, sagt Gerd Bantle.

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Grafik: Matthias Wagner – Bilder: Colorbox
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FOTO: AJA Gerd Bantle

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