Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Eine Verwandlung in Bildern
Otto Beckers drittes Buch mit Stadtansichten Sigmaringens gibt Einblicke in Stadtbild, Fürstenhaus, Industrie und Brauchtum
SIGMARINGEN - Ein neu erschienener Bildband zeigt historische Fotografien Sigmaringens und seiner Bewohner der vergangenen 140 Jahre. „Das Ziel war, die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte herauszuarbeiten, vom Residenz- und Regierungssitz zur Behörden- aber nicht mehr Garnisonstadt“, sagt der Autor und Historiker Otto Becker.
Im Bildband „Unser Sigmaringen – 100 Jahre in Bildern“hat Otto Becker Bilder seiner beiden vorangegangenen Bildbände, „Sigmaringen“
(2004) und „Sigmaringen im 20. Jahrhundert“(2009), zusammengefasst. 500 bis 600 Fotos hat Becker dafür gesichtet. 16 Jahre lang war Becker Vorsitzender des hohenzollerischen Geschichtsvereins. Als Heimatforscher und Stadtführer ist der ehemalige Archivar des Staatsarchivs heute noch aktiv. So verfügt er über ein großes Netzwerk und hatte Zugang zu Fotonachlässen und Archiven, in denen sich so manche Schätze finden. „Der Nachlass des ehemaligen Forstdirektors Riedmann war sehr ergiebig, er war ein begeisterter Hobbyfotograf“, erklärt Becker. Auch Institutionen wie die Feuerwehr, das Haus Nazareth oder die Theodor-Heuss-Realschule verfügten über Sammlungen, deren Fotos es ins Buch geschafft haben. Nicht zuletzt private Sammler hätten ihm sehr geholfen.
„Die Crux ist, wie im Privaten auch, die Personen auf den Bildern zu identifizieren und die Fotos einer Jahreszahl zuzuordnen“, so der
76-Jährige. Becker hat das
Buch in verschiedene Kapitel unterteilt: „Das Stadtbild im Wandel“, „Das Haus Hohenzollern“, „Alltag, Feste und Brauchtum“, „Handwerk, Wirtschaft, Industrie“und „Die Sigmaringer im Lauf der Jahrzehnte“. Eine Lücke gebe es in der Nachkriegszeit. „Da mussten die Fotoapparate abgegeben werden und es gab schlicht keine Filme“, erklärt der Historiker. Seit der Währungsreform 1948 gebe es wieder vermehrt Bilder vom Zeitgeschehen.
Auch interessante Einblicke in längst vergessene Abschnitte der städtischen Geschichte bietet das Buch: „Im ehemaligen Gebäude der bis 1910 errichteten Unteroffiziersvorschule in Gorheim, dort wo heute die Zollschule steht, waren verschiedene Behörden untergebracht. 1954 bemühte sich Sigmaringen, Sitz des Regierungsbezirks zu werden – das prachtvolle Gebäude wäre für diesen Zweck genutzt worden. Aber gegen Tübingen hatte Sigmaringen natürlich keine Chance. Das Gebäude wurde dann abgerissen“, erklärt Becker. Durch die Verwaltungsreform habe Sigmaringen schwer Haare gelassen.
Auch die NS-Zeit wird im Buch nicht ausgespart. „Die Nazis machten sich Bräuche und Feste für ihre Propaganda zu eigen“, so Becker. So gibt es Bilder von Erntedank oder vom Fidelisfest mit HakenkreuzFahnen. „Nur die Fasnet konnte sich einigermaßen raushalten“, sagt Becker.
Seit 1912 gibt es den Vetter Guser. „Die Fasnet hier ist stark vom rheinischen Karneval geprägt“, sagt Becker, viele Sigmaringer hätten ihren Wehrdienst im Rheinland geleistet. „Die Tradition mit den Bütten ist außergewöhnlich und ein Alleinstellungsmerkmal für Sigmaringen.“Auf einem Foto sieht man die „Zigeuner“des Vetter Guser. „Diese etablierten sich in der Fasnet, nachdem Prinz Karl von Hohenzollern zum Fürsten von Rumänien erhoben wurde.“Auf einem anderen Bild im Buch sind echte Sinti und Roma abgebildet, die sich in den 1890er-Jahren während des Baus der Donautalbahn immer wieder im Donautal aufhielten.
Sicher ein Höhepunkt des Buches ist das Foto von der fürstlichen Familie im Garten von 1910. „Es ist toll, so private Einblicke zu bekommen“, bilanziert Becker. „Auf dem Bild ist Fürst Wilhelm mit seinen beiden Brüdern, dem Kronprinz von Rumänien und Prinz Karl Anton, abgebildet, links sitzt die Kronprinzessin von Rumänien, die eine Enkelin der englischen Queen Victoria war, daneben die Gräfin von Flandern.“
Den sichtbarsten Wandel hat laut Becker das Stadtbild erfahren: „Ein einschneidender Eingriff war die Verlegung der Donau“, sagt der gebürtige Pfälzer, der 1976 nach Sigmaringen und zum Staatsarchiv kam. Doch auch die Josefinenstraße habe sich stark verändert. „Wo jetzt das Stift steht, war früher das Klösterle.“Den Spitznamen „Ochsenbuckel“habe der Josefsberg von der damals dort angesiedelten Wirtschaft „Ochsen“. In der Schwabstraße durften in den 1970er Jahren noch Autos fahren. Und statt eines Freibads gab es vor 1968 noch ein Strandbad an der Donau.
Der Leopoldplatz war 1877 noch weitläufig begrünt und bepflanzt. „Früher war dies ein richtig großer Platz mit einer Buchhandlung, dem deutschen Haus – ein Veranstaltungssaal, noch bevor es die Stadthalle gab – und später einem Kino und Einkaufszentrum. Heute ist das ein besserer Busbahnhof“, bilanziert Becker. Der Platz habe seine Zentralität eingebüßt.
Eine der wenigen architektonischen Konstanten: Das Schloss (wobei sich auch dessen Erscheinungsbild bekanntlich etwas änderte), St. Johann und die Hedinger Kirche. Und auch beim historischen Bräuteln hat sich nicht viel getan, wie ein Foto aus dem Jahr 1933 zeigt: Bräutlinge werfen Brezeln aus Weidenkörben in die Menschenmenge vor dem alten Rathaus. Auch die Häser der Gruppen des Vetter Guser kann man gut identifizieren.
Der Alltag wurde freilich nicht oft fotografisch festgehalten, dies blieb besonderen Anlässen vorbehalten. „Botho Walldorf hatte das Genie, auch das Alltägliche abzubilden“, verweist Becker auf die derzeit laufende Ausstellung des Fotografen „Alltag auf der Schwäbischen Alb“. Früher sei dies absolut unüblich gewesen. Was im Buch Beckers nicht zu kurz kommt, ist der Berufsalltag. Handwerker, zum Teil mit bereits ausgestorbenen Berufen wie Seifensieder sind abgebildet. Pflästerer beim Pflastern des Marktplatzes 1927 rücken in einen ästhetischen Kontext und erinnern bisweilen an die Arbeiterportraits von August Sanders und geben ein ganz neues Bild von Sigmaringen und seinen Bewohnern ab., eines, das beinahe schon in Vergessenheit geraten ist.
„Unser Sigmaringen – 100 Jahre in Bildern“, Sutton-Verlag, ISBN 978-3-95400-979-4, 19.99 Euro. Ein Video zum Thema finden Sie unter www.schwaebische.de/ bildband-sigmaringen
„Die Crux ist, die Personen auf den Bildern zu identifizieren.“
„Der Leopoldplatz hat an Zentralität eingebüßt.“