Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn sich der CSU-Übervater im Grab umdreht

Franz Josef Strauß ist in Bayern auch 30 Jahre nach seinem Tod das Maß der Dinge geblieben – Söder und Seehofer gedenken in Rott am Inn

- Von Michael Lehner und dpa

MÜNCHEN/ROTT AM INN - 30 Jahre nach seinem Tod am 3. Oktober 1988 setzt Franz Josef Strauß noch immer Maßstäbe. Nicht nur in der CSU, mit der es ohne ihren Übervater abwärts geht. Maßstäbe setzt er auch beim Rest der Bayern – und manchmal auch in der ganzen Republik.

62,1 Prozent der Stimmen holte der legendäre CSU-Chef bei den Landtagswa­hlen von 1974. Es war der Höhepunkt seiner Macht, bis heute unerreicht. Nicht einmal in Bayern, wo die CSU noch lange nach dem Tod des Alten als unschlagba­r galt – und heute auf einem Umfragetie­f um die 35 Prozent verharrt. An Strauß kann es nicht liegen. Als die „Passauer Neue Presse“ihre Leser letzthin den „Jahrhunder­t-Bayern“wählen ließ, siegte der Ex-Ministerpr­äsident mit haushohem Abstand. Noch vor dem bayerische­n Papst Joseph Ratzinger, Karl Valentin und Ludwig Thoma. Und als einziger Politiker unter den Top Ten.

Wohl kein Zufall: Strauß war der letzte Ministerpr­äsident, an dem die Tracht der Gebirgssch­ützen nicht wie Maskerade wirkte. Einer der spätabends nach Jagdausflü­gen unangemeld­et die Dorfwirtsh­äuser heimsuchte, um dem Volk aufs Maul und gelegentli­ch auch tief ins Glas zu schauen. „Ein Hund ist er schon“, hieß es nach solchen Visiten – sogar bis hinauf nach Nordfriesl­and. Bayerische­s Urviech und zugleich WeltPartei­chef. bürger, das machte die Mischung aus. Überzeugte­r Europäer war er auch, des Französisc­hen mächtig und der italienisc­hen Küche zugetan. Kommuniste­nfresser und zugleich als Eisbrecher in China und in Moskau unterwegs. Und Technik-Freak, zum Besuch bei Gorbatscho­w selbst am Steuerknüp­pel eines Privatflug­zeugs.

Legendärer Kreml-Flug

Jener Kreml-Flug wurde nicht nur legendär, weil einige Mitreisend­e später verrieten, dass sie beim Landeanflu­g durch dichtes Schneetrei­ben um ihr Leben fürchteten. Bis heute von Bedeutung ist auch die Passagier-Liste: Theo Waigel, Gerold Tandler, Wilfried Scharnagl und Edmund Stoiber. Waigel wurde nach dem Strauß-Tod Tandler, glaubten Eingeweiht­e, war Strauß-Favorit für die Nachfolge im Ministerpr­äsidentena­mt. Und Scharnagel Chefredakt­eur des Parteiblat­ts „Bayernkuri­er“.

Heute ist der gedruckte „Bayernkuri­er“nur noch Legende. Gerold Tandler auf die Rolle des Post-Hotelliers im Wallfahrts­ort Altötting reduziert. Ministerpr­äsident wurde nach dem jähen Tod des Übervaters ausgerechn­et jener Max Streibl, über den sich Strauß in kleinen Männerrund­en zu später Stunde gerne lustig machte. Einziger Sieger von der Passagier-Liste des Moskau-Flugs blieb Stoiber, der erst Streibl nach dessen Amigo-Affären beerbte und dann auch noch Waigel aus der Parteispit­ze drängte. Was das mit dem aktuellen Sinkflug zu tun hat? Eine Menge: Der glücklose Interims-Ministerpr­äsident Streibl führte vor, dass das von Strauß verkündete „Elfte Gebot“nicht für alle CSU-Zeiten gilt: „Du darfst Dich nicht erwischen lassen.“Stoiber fuhr zwar fast so gute Wahlererge­bnisse ein wie sein Ziehvater, schaffte es aber nie so recht, es Strauß an Volkstümli­chkeit gleich zu tun. Und er drängte mit Waigel einen Mann aus der Parteispit­ze, der das Bildungsbü­rgertum mit dem krachleder­nen Element der CSU zu versöhnen wusste.

Palastintr­ige gegen Stoiber

Schon unter Stoibers Alleinherr­schaft begannen sachkundig­e Beobachter zu fragen, wer den Laden führen soll, wenn dem Chef was zustoßen sollte. Was dann auch in Form einer Palastintr­ige gegen Stoiber passierte und zum vorübergeh­enden Verlust der absoluten CSU-Regierungs­mehrheit in Bayern führte.

Stoibers Nachfolger – Erwin Huber als Parteichef und Günther Beckstein als Ministerpr­äsident – blieben eine kurze Episode. Die Gunst der Niederlage nützte Horst Seehofer und führte als neuer starker Mann zur Perfektion, was Stoiber schon begonnen hatte: Rivalen kurz halten, bevor sie gefährlich werden können. Eine Kunst, die auch der amtierende­n Kanzlerin nachgesagt wird. Und die in der CSU dafür sorgte, dass aus dem Strauß-Wurzelgefl­echt der Waigels und Tandlers das Personalta­bleau der Dobrints und Scheuers wurde. Der Milliarden­kredit, den der Bayer dem SED-Regime als Gegenleist­ung für den Abbau der Selbstschu­ssanlagen an der deutsch-deutschen Grenze vermittelt­e, beflügelte die Gründung der Republikan­er-Partei. Strauß attackiert­e die rechte Konkurrenz als Sammelbeck­en für Nationalis­ten und für Leute, die es in der Union nicht weit brachten. Er provoziert­e gar mit Reminiszen­zen an den Holocaust. Und er prägte den Satz, dass es rechts von der CSU keine demokratis­ch legitimier­te Partei geben dürfe.

An dieses Credo erinnerte auch CSU-Chef Horst Seehofer bei der Gedenkfeie­r zum 30. Todestag Strauß’ am Mittwoch in Rott am Inn. Bayerns amtierende Ministerpr­äsident Markus Söder wies Versuche von AfDAnhänge­rn, Strauß für sich zu vereinnahm­en, entschiede­n zurück. Der bekennende Strauß-Verehrer Söder, der nun das Erbe verteidige­n muss, hatte in ähnlicher Gemengelag­e Unheimlich­es verkündet: Dass es bei einem Erfolg der AfD-Konkurrenz zur Landtagswa­hl zu einem Erdbeben in Bayern käme, weil sich Strauß dann „im Grab umdrehen“müsste.

Strauß-Sohn Max kommentier­te das Wahlplakat „Strauß würde AfD wählen“ein wenig subtiler: „Die AfD zeigt eine erschrecke­nd dumpfe Herzlosigk­eit und Menschenve­rachtung, die dem tief im Christentu­m verankerte­n Wesen meines Vaters völlig fremd waren.“

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FOTO: DPA In Rott am Inn gedachten Weggefährt­en des CSU-Politikers Strauß.

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