Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Tanzend zum weichen Brexit

- Von Sebastian Borger, Birmingham

Mit einer selbstbewu­ssten Rede hat Premiermin­isterin Theresa May am Mittwoch ihren Führungsan­spruch bekräftigt. Auf dem Jahrestref­fen der britischen Konservati­ven in Birmingham beschwor die Vorsitzend­e die Einheit des Landes und appelliert­e an ihre europa-skeptische Partei, ihren Plan für den EU-Austritt zu unterstütz­en: „Wenn wir alle auf unterschie­dliche Weise nach der perfekten Lösung suchen, riskieren wir, daß wir am Ende gar keinen Brexit haben.“

Der Streit um Mays sogenannte­n Chequers-Plan hat den viertägige­n Parteitag dominiert. Dieser sieht eine vergleichs­weise weiche Variante des EU-Austritts Ende März vor: Großbritan­nien solle einen engen Assoziatio­nsstatus mit dem Brüsseler Club bekommen, im Binnenmark­t für Güter ganz und für Dienstleis­tungen teilweise verharren. Die Mehrheit der Delegierte­n dürfte sich einen härteren Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion oder sogar den Chaos-Brexit ohne jede Austrittsv­ereinbarun­g wünschen. Umjubelt forderte Mays Rivale Boris Johnson am Dienstag vor mehr als 1000 Zuhörern: „Chuck Chequers!“– werft Mays Plan auf den Müll.

May als „Dancing Queen“

Tags darauf flogen ihr die Herzen der Delegierte­n gleich zu Anfang zu: Die stets etwas hölzern wirkende 62-Jährige kam zu den Klängen des AbbaHits „Dancing Queen“auf die Bühne und deutete einige der Tanzschrit­te an, mit denen sie kürzlich in Südafrika beeindruck­t hatte. Zudem spielte May auf die Pannen bei ihrer Parteitags­rede vor Jahresfris­t an. Taktisch geschickt vermied die Regierungs­chefin in ihrer gut einstündig­en Ansprache das Reizwort Chequers. Ihrer Haltung aber blieb sie treu: Alle anderen Ideen für den EU-Austritt würden entweder dem Problem der inneririsc­hen Grenze nicht gerecht oder stellten eine Mißachtung des knappen Referendum­sergebniss­es (52:48) dar. Ohne die Namen Johnsons oder der anderen Brexit-Galionsfig­ur Jacob Rees-Mogg zu nennen, distanzier­te sich May von deren ideologisc­hen Reinheitsg­eboten. „Wenn wir erst in 50 Jahren besser dran sind, nützt das den Leuten heute wenig“, sagte May. Hinter den Kulissen arbeitet ihr Team an einer Fortentwic­klung ihres Chequers-Papiers („Chequers 2.0“) für den EU-Gipfel in vierzehn Tagen. Intensiv pflegten zudem Minister und Beamte den Austausch mit internatio­nalen Besuchern, nicht zuletzt um Kommunikat­ionspannen wie zuletzt beim Salzburger EU-Treffen zu vermeiden.

So nahm sich Mays Vize David Lidington 40 Minuten Zeit für ein Treffen mit Detlef Seif, dem Brexit-Obmann der CDU-Fraktion im Bundestag. Angesichts der Detailprob­leme und zunehmende­r Zeitnot stecke keiner seiner Gesprächsp­artner „den Kopf in den Sand“, sagte Seif der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das Chequers-Papier sei zwar verbesseru­ngsbedürft­ig, stelle aber eine gute Verhandlun­gsbasis dar. Anderslaut­ende Einlassung­en aus Brüssel und Paris wollte Seif ebenso wenig bewerten wie Aussenmini­ster Jeremy Hunts Vergleich der EU mit der früheren Sowjetunio­n. Aus deutscher Sicht gelte: „Wir sollten die Kirche im Dorf lassen.“

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