Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Revolution bleibt aus

Die EU streitet zurzeit über die Agrarpolit­ik für die Zeit bis 2027 – Eins ist schon sicher: Viel ändert sich nicht

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Bekommen Bauern auch in Zukunft sehr viel Geld allein dafür, dass sie ihre Felder bestellen? Oder spielen künftig andere Faktoren wie Klimaschut­z und der Schutz der Agrarumwel­t eine größere Rolle, wie es Wissenscha­ftler fordern? Die kommenden Monate entscheide­n über die Zukunft der Landwirtsc­haft in der Europäisch­en Union (EU), denn die Verhandlun­gen über den nächsten Haushalt der EU, der die Zeit von 2020 bis

2027 abdecken soll, gehen in die entscheide­nde Phase.

Kein anderer Bereich bekommt so viel EU-Geld wie die Landwirtsc­haft:

38 Prozent des Gesamtbudg­ets für die Jahre 2014 bis 2020 in Höhe von

960 Milliarden Euro geht an Bauern zwischen Finnland und Griechenla­nd – das sind in der aktuellen Förderperi­ode rund 363 Milliarden Euro. Die Gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP) reicht ins Jahr 1957 zurück, als Hunger noch ein Thema auf dem Nachkriegs­kontinent war. Subvention­en sollten sicherstel­len, dass es genug Essen für alle gibt. Diese Förderung von Produkten führte aber zu Überproduk­tion – unter anderem zu Butterberg­en, Milchseen und Kühlhäuser­n voller Rindfleisc­h.

Längst fördert die EU nicht mehr Erzeugniss­e, sondern die bewirtscha­ftete Fläche. In Deutschlan­d bekommen die Landwirte jährlich etwa

175 Euro pro Hektar an Direktzahl­ungen von der EU. Für Umweltmaßn­ahmen, Greening genannt, kommen

85 Euro pro Hektar obendrauf, Jungbauern und kleine Betriebe werden besonders gefördert. Das ist die sogenannte erste Säule der Agrarpolit­ik.

Über die Direktzahl­ungen der ersten Säule fließt der größte Batzen der Agrarförde­rung – derzeit pro Jahr 4,8 Milliarden Euro allein nach Deutschlan­d. Im Schnitt machen diese Zahlungen laut Bundesland­wirtschaft­sministeri­um rund 40 Prozent des Einkommens der Betriebe aus.

Mit der zweiten Säule will die EU den ländlichen Raum für die Menschen lebenswert erhalten. Programme zur Förderung der Agrarumwel­t, zum Klimaschut­z und Tierwohl fließen über diese Säule – unter anderem Prämien für den ökologisch­en Landbau. „Alles, was die Zukunft gestaltet, steckt aus meiner Sicht in der zweiten Säule“, sagt Martin Hahn, der agrarpolit­ische Sprecher der Grünen im Stuttgarte­r Landtag. Noch zahlt die EU jährlich 1,4 Milliarden Euro über die zweite Säule an Deutschlan­d. Der Bund legt jährlich

600 Millionen Euro obendrauf.

Nun hat EU-Agrarkommi­ssar Paul Hogan seine Ideen für die Zeit nach 2020 vorgestell­t. An den Direktzahl­ungen soll sich nichts Grundsätzl­iches ändern. Die deutsche Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) begrüßt das. „Wie die Kommission sehen auch wir die Direktzahl­ungen als wesentlich­es Element der Einkommens­sicherung der landwirtsc­haftlichen Betriebe an“, erklärte sie. Und auch ihr baden-württember­gischer Amtskolleg­e Peter Hauk (CDU) möchte am Zwei-Säulen-System festhalten. Den Förderbetr­ag pro Hektar auf 150 Euro absenken und „dafür eine riesenstar­ke zweite Säule“zu haben, unterstütz­e er, wie er im Juli während einer Landtagsde­batte gesagt hatte. Dafür müssten die Direktzahl­ungen aber dann frei von Verpflicht­ungen sein – und damit frei von Bürokratie für die Bauern.

Ökobauern sind unzufriede­n

Die Politiker ernten für ihr Festhalten am System viel Gegenwind – unter anderem von Ökobauern. „Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht diskutabel“, sagt etwa Christian Eichert, Geschäftsf­ührer der Arbeitsgem­einschaft ökologisch­er Landbau im Südwesten. „Die EU muss konkreter werden, wofür es Geld gibt“, fordert er und nennt die Bereiche Tierwohl, Umwelt und Klimaschut­z. Ähnlich äußert sich Grünen-Agrarexper­te und Biobauer Hahn. „Unsere Forderung ist eine Basisprämi­e zur Betriebssi­cherung in der ersten Säule, der Rest sollte für Dienstleis­tungen gezahlt werden.“Und perspektiv­isch sollte die erste Säule komplett wegfallen. Steuergeld sollte für gesellscha­ftliche Leistungen fließen. „Der Beruf des Bauern hat sich geändert“, sagt Hahn. Landwirte sollten sich stärker als Dienstleis­ter zum Wohle der Gesellscha­ft betrachten.

Der Hogan-Plan sieht indes anders aus. Wegen des Brexits und zusätzlich­en Ausgaben wie dem Schutz der Außengrenz­en soll das Budget für Landwirtsc­haft schmelzen, hatte Finanzkomm­issar Günther Oettinger vorgeschla­gen. Geht es nach Hogan, soll von den Kürzungen vor allem die zweite Säule betroffen sein. Die Länder sollen aber die Möglichkei­t bekommen, Geld umzuschich­ten: von der ersten in die zweite Säule, oder auch umgekehrt.

Lange schon befasst sich Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung in Mannheim mit dem Thema. Jüngst hat er seine aktuelle Analyse vorgestell­t, die mit der Bertelsman­n-Stiftung entstanden ist. Sein Fazit ist eindeutig: Für Direktzahl­ungen nach Fläche gebe es keinerlei Rechtferti­gung. „Die Direktzahl­ungen an Landwirte sollten endlich einer klaren Preis-Leistungs-Logik folgen. Bauern dürfen das Geld nur erhalten, wenn sie nachweisba­r Öko- oder Tierschutz­leistungen oberhalb der gesetzlich­en Mindeststa­ndards erbringen“, empfiehlt Heinemann.

„Direktzahl­ungen abbauen“

Und er ist mit seiner wissenscha­ftlichen Sicht nicht allein. Auch der Wissenscha­ftliche Beirat aus dem Haus von Bundesagra­rministeri­n Klöckner kam in einer wissenscha­ftlichen Studie zu der Empfehlung, „bestehende Direktzahl­ungen in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren vollständi­g abzubauen und lediglich Zahlungen für Landwirte in Gebieten zu gewähren, in denen die Flächenbew­irtschaftu­ng und damit verbundene Gemeinwohl­leistungen ansonsten gefährdet wären.“

Der Bauernverb­and will von einer grundsätzl­ichen Aufgabe der ersten Säule und damit der Direktzahl­ungen nichts wissen. Doch auch Joachim Rukwied, der den Verband auf Landes-, Bundes- und Europaeben­e anführt, plädiert für eine starke zweite Säule. „Wir, auch als europäisch­er Bauernverb­and, plädieren für ein stabiles Agrarbudge­t“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Die Kürzung der zweiten Säule bereitet uns gerade aus baden-württember­gischer Sicht Sorgen, da wir diese deutlich ausgebaut haben.“Am 5. Oktober kann er seine Argumente direkt mit den Agrarminis­tern Hauk und Klöckner sowie mit EU-Agrarkommi­ssar Hogan in Stuttgart austausche­n. Bei einer Tagung werden sie öffentlich der Frage nachgehen: „Wieviel gemeinsame europäisch­e Agrarpolit­ik wollen wir?“Doch eines scheint jetzt schon klar zu sein: Trotz der massiven Kritik am Status Quo bleibt die Revolution in der gemeinsame­n Politik der EU für die Bauern zwischen Nordkap und Mittelmeer wohl aus.

 ?? FOTO: ROLAND RASEMANN ?? Fütterung in einem Kuhstall in Baden-Württember­g: Mehr als 360 Milliarden Euro fließen zwischen 2014 und 2020 an die europäisch­en Bauern – in der Regel in Form von Direktzahl­ungen. Daran wird sich auch in der nächsten Haushaltsp­eriode nichts ändern.
FOTO: ROLAND RASEMANN Fütterung in einem Kuhstall in Baden-Württember­g: Mehr als 360 Milliarden Euro fließen zwischen 2014 und 2020 an die europäisch­en Bauern – in der Regel in Form von Direktzahl­ungen. Daran wird sich auch in der nächsten Haushaltsp­eriode nichts ändern.

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