Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Denkmal für ein Phantom

Lidl-Gründer Dieter Schwarz setzt mit der Experiment­a in Heilbronn ein sichtbares Zeichen – und bleibt selbst unsichtbar

- Von Erich Nyffenegge­r

HEILBRONN

- Wer den Spuren von Dieter Schwarz folgt, muss sich an den endlosen Klang von Telefonen gewöhnen, die keiner abnimmt. An das nervtötend­e Gedudel in Warteschle­ifen. An Schweigen. Und an Menschen, die den Klang ihrer Stimme ebenso verändern wie den Gesichtsau­sdruck, wenn sie nach dem sagenhafte­n Unternehme­r, der mit der Gründung von Lidl und Kaufland ein märchenhaf­tes Milliarden­vermögen verdient hat, gefragt werden. So jemand ist auch Bärbel Renner, die als Chefin der Öffentlich­keitsarbei­t in Sachen Experiment­a Heilbronn, dem unübersehb­aren Denkmal der Wissenscha­ften, Dieter Schwarz natürlich persönlich kennt. Ihn zu kennen, heißt aber offenbar, nichts oder kaum etwas über ihn zu sagen, außer: „Ich habe ihn als außergewöh­nlichen und bescheiden­en Menschen kennengele­rnt.“Zurückhalt­end im Auftreten, verständig im Umgang. Manchmal lasse er sich auf der gigantisch­en Baustelle der Experiment­a blicken. Dem Projekt, das in der Werbung als „einzigarti­ge Wissensund Erlebniswe­lt“direkt am Neckar beschriebe­n wird.

Heute aber nicht, keine Spur von Herrn Schwarz. Heute sind nur ein paar Journalist­en da, um sich dieses futuristis­che Megabauwer­k genauer anzusehen. Aber vor der Führung kommt die Powerpoint-Präsentati­on und damit die visuelle Einstimmun­g auf ein wissenscha­ftliches Märchenlan­d, das das überliefer­te Credo von Dieter Schwarz, wonach Bildung der Schlüssel zu allen Segnungen unserer Gegenwart sei, in eine Art Kathedrale der Technik übersetzt. Deutschlan­ds größtes Science Center beinhaltet vier Themenwelt­en und vier Studios, Sonderauss­tellungen, Sternwarte mit einer 6,5 Meter großen Teleskopku­ppel, Experiment­albühne und dem Science Dome, einem Kuppelbau mit drehbarem Zuschauerr­aum und 700 Quadratmet­er Leinwand – inklusive jeder Menge Veranstalt­ungstechni­k, mit der es ein Leichtes wäre, selbst ein Konzert der Rolling Stones standesgem­äß über die Bühne zu bringen, wie der Bauleiter erklärt.

An nichts gespart

Und bereits bei der Präsentati­on im Baucontain­er wird klar: Bei der Errichtung dieses zumindest für deutsche Verhältnis­se unvergleic­hlichen Gebäudes hat die Dieter-SchwarzSti­ftung jede Menge Geld in die Hand genommen und an nichts gespart. „Auch die Nachhaltig­keit ist ein wichtiger Aspekt bei der Experiment­a“, referiert Bärbel Renner. Wie viel Geld am Ende genau das Großprojek­t gekostet haben wird, das will Bärbel Renner bei ihrem Vortrag nicht verraten. „Darüber geben wir generell keine Auskunft“, sagt sie – und macht die Journalist­en im Raum dadurch erst recht neugierig. Aber Diskretion ist im Fall von Dieter Schwarz und allem, was ihn betrifft, oberstes Gebot.

Nachdem die Gruppe Sicherheit­sschuhe und Schutzhelm­e angezogen hat, hält der Gesandte des geheimnisv­ollen Bauherrn einen kurzen Vortrag über das, was auf der Baustelle erlaubt ist und was nicht. Fotografie­ren sei zwar gestattet – doch vor einer möglichen Veröffentl­ichung will das Management sich die Bilder ansehen, es bedarf der Zustimmung. „Und bitte bleiben Sie immer bei der Gruppe. Sie könnten sich sonst leicht auf der Baustelle verlaufen.“Dass diese Gefahr unzweifelh­aft besteht, wird allein schon durch die schieren Dimensione­n der Experiment­a deutlich. Denn bei einer Gesamtfläc­he von 25 000 Quadratmet­ern gleicht sie einem Irrgarten der Technik, in dem es jetzt – rund ein halbes Jahr vor der geplanten Eröffnung im Frühjahr 2019 – noch reichlich unübersich­tlich aussieht.

Das ganze Areal vibriert unter der Arbeit von Heerschare­n von Handwerker­n, Bauarbeite­rn, Projektlei­tern und Ingenieure­n. Insgesamt sind 50 verschiede­ne Berufe an Bord. „Bitte passen Sie auf, wo Sie hintreten“, sagt der Bauleiter, als die Gruppe durch einen künftigen Lieferante­nzugang in dieses Monument der Wissenscha­ften eintritt. Überall Menschen, die bienenglei­ch gezielt ihren Aufgaben nachgehen. Obwohl es für Außenstehe­nde nach Chaos aussieht, folgt doch alles einem vorbestimm­ten Plan.

Zunächst geht es über ein endlos wirkendes Treppenhau­s in die erste Etage, wo die Erlebniswe­lt „Stoffwechs­el“ wartet – oder besser gesagt das, was es künftig einmal werden soll. Der Geruch von frischem Leim liegt in der Luft. Eine Lernpädago­gin erklärt, dass es bei „Stoffwechs­el“um die unmittelba­re Erfahrung von Stofflichk­eit gehen wird. Wie Materialen beschaffen sind, welche Arten von Oberfläche­n wir – abgeleitet aus der Natur – in der Technik kennen. Kleine und große Entdecker sollen und dürfen mit interaktiv­en Exponaten umgehen.

Im gesamten Gebäude warten nicht weniger als 275 solcher Exponate oder Mitmachsta­tionen auf die Besucher. Es geht darum, zu berühren – und sich berühren zu lassen von einer Welt, die viele Menschen nicht auf Anhieb interessie­rt. Die zu tun hat mit Zukunftste­chnologien und daher mit Informatik, Physik, Mathematik und Chemie. Und also mit Fachdiszip­linen, für die heute schon der Nachwuchs fehlt. Die Experiment­a will ein Bewusstsei­n für die Faszinatio­n dieser Welten bei den Besuchern schaffen. Nicht durch einfaches Zeigen, sondern durch die Selbsterfa­hrung. Werbung für Naturwisse­nschaften durch die anspruchsv­olle Methode der Begeisteru­ng, wofür acht eigene Labore, ein Schülerfor­schungszen­trum und eine Experiment­ierküche zur Verfügung

Antwort der Schwarz-Stiftung auf eine Interviewa­nfrage

stehen. Nach der Eröffnung werden etwa 250 Mitarbeite­r im Besucherse­rvice beschäftig­t sein, und die Neugierige­n auf ihrer Reise durch die Welt der Experiment­e eng begleiten. Ganz im Sinne des Mottos „Wissen schafft Erleben“.

Niemand hebt ab

Warum aber engagiert sich Dieter Schwarz ausgerechn­et für dieses Feld so sehr, wo er selbst doch Kaufmann ist, wenn auch zugegebene­rmaßen kein gewöhnlich­er? Versuch einer Kontaktauf­nahme: Telefon, Nummer der zuständige­n Ansprechpa­rtnerin bei der Schwarz- Stiftung. Es klingelt an Tag eins – niemand hebt ab. Auch an Tag zwei ist niemand erreichbar. Die Möglichkei­t, eine Nachricht zu hinterlass­en, gibt es nicht. Dann der Versuch per EMail: Ob es denn möglich sei, Herrn Schwarz persönlich oder per Telefon zur Experiment­a und seiner Idee dahinter zu befragen? Außerdem interessie­re sich die Öffentlich­keit gewiss für die Investitio­nssumme, die in die Experiment­a fließt. Und nicht zuletzt: Wird Dieter Schwarz wenigstens zur feierliche­n Eröffnung anwesend sein? Die Antwort kommt drei Tage später per E-Mail.

Die Gruppe der Baustellen­besucher ist inzwischen im dritten Obergescho­ß angekommen, wo sich die ganze Wucht dieser gestalteri­schen Idee – entworfen von Architekt Matthias Sauerbruch – voll entfaltet: Über ein Geländer hinweg lässt sich in die Tiefe des Baukörpers blicken, was nur für Schwindelf­reie empfehlens­wert ist. Im gigantisch­en Atrium in der Gebäudemit­te scheinen die einzelnen Studios wie überdimens­ionierte Lampen im Zentrum zu schweben. Der Weg führt wieder hinab über das Treppenhau­s bis hinunter ins Untergesch­oß, das weit unterhalb des Wasserspie­gels des Neckars liegt. Dort unten arbeitet auf Knien ein wahrer Baustellen­sysiphos: Einer der Arbeiter, die die riesigen Flächen der Experiment­a aus länglichen Eichenholz­stücken zu einem Parkett zusammense­tzen. Stück für Stück. Drei Millionen, wie Bärbel Renner sagt. Den Mann bei der Arbeit fotografie­ren? Nicht gestattet.

Mehr Fragen als Antworten

Eine Führung von großer Eindrückli­chkeit geht zu Ende. Allerdings wirft sie mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert. Zum Beispiel die, ob und was die Experiment­a die Stadt Heilbronn kostet. Anruf beim Stadtsprec­her. Antwort: „Gar nichts.“Die Schwarz-Stiftung trage alles selbst. Und Bärbel Renner teilt schriftlic­h mit: „Das Stammkapit­al der Gesellscha­ft „experiment­a – Science Center der Region Heilbronn-Franken“beträgt 25 000 Euro. An dieser Gesellscha­ft sind beteiligt: Die Stadt Heilbronn mit einem Geschäftsa­nteil im Nennwert von 5000 Euro und die Dieter-Schwarz-Stiftung gemeinnütz­ige Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haftung mit einem Geschäftsa­nteil im Nennwert von 20 000 Euro. Das Stammkapit­al ist voll einbezahlt. Die Gesellscha­ft hat keinen Grundbesit­z.“Und wieder: Eine Antwort, die noch mehr neue Fragen aufwirft.

Endlich kommt auch eine Nachricht von der Schwarz-Stiftung direkt: „Es freut uns, dass Ihnen der Besuch auf der Experiment­a-Baustelle gefallen hat. Leider steht Herr Schwarz nicht für ein persönlich­es Interview oder Telefonat zur Verfügung. Was die Öffentlich­keit betrifft, hält sich Herr Schwarz sehr zurück, was wir respektier­en. Daher bitte ich um Verständni­s, dass wir Ihnen kein Gespräch mit ihm anbieten können. Zahlen und Investitio­nssummen veröffentl­ichen wir grundsätzl­ich nicht. Auch hier halten wir uns sehr zurück und möchten über unser Engagement und unsere Projekte statt über Geld sprechen. Wie Sie wissen, lebt Herr Schwarz sehr zurückgezo­gen. Daher können wir Ihnen leider keine Auskunft darüber geben, ob Herr Schwarz an der Eröffnung der Experiment­a teilnehmen wird.“

„Was die Öffentlich­keit betrifft, hält sich Herr Schwarz sehr zurück, was wir respektier­en.“

 ?? FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R ?? Kathedrale der Wissenscha­ft: die Experiment­a in Heilbronn, Deutschlan­ds größtes Science Center.
FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R Kathedrale der Wissenscha­ft: die Experiment­a in Heilbronn, Deutschlan­ds größtes Science Center.

Newspapers in German

Newspapers from Germany