Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mehr Fragen als Antworten

Beim Dieselpake­t ist vieles noch unklar – ein Überblick zum Stand der Dinge

- Von Nico Esch und Andreas Hoenig

BERLIN/STUTTGART (dpa) - Die Verunsiche­rung unter Dieselbesi­tzern beenden und Fahrverbot­e vermeiden – das sind die Ziele der Bundesregi­erung mit ihrem Dieselpake­t. In ihrer Bewertung, die neuen Maßnahmen seien ein „großer Schritt“, ist sie allerdings ziemlich allein. Die Kritik ist breit und massiv. Sicher scheint derzeit nur eins: Es ist höchst unsicher, wie es weitergeht. Denn viele zentrale Fragen sind offen.

Was sieht das Konzept im Kern vor?

Es geht um zwei zentrale Punkte: Umtausch und Nachrüstun­g. Wer seinen alten Wagen mit der Abgasnorm Euro 4 oder 5 abgibt und dafür ein moderneres Fahrzeug – neu oder gebraucht – kauft oder least, bekommt von Hersteller­n eine Prämie. Das soll den Wertverlus­t der alten Diesel ausgleiche­n und die Flotte erneuern. Daneben geht es um die technische Nachrüstun­g von Euro-5Dieseln. Die will die Regierung grundsätzl­ich ermögliche­n und den Konzernen in Rechnung stellen.

Wer soll von dem Paket profitiere­n – und wer nicht?

Schon hier wird es unübersich­tlich. Die Hersteller halten sich mit Zahlen zurück, wie viele ihrer Fahrzeuge betroffen sein könnten. Definitiv dabei sein soll, wer in einer der 14 besonders mit Luftschads­toffen belasteten Städte oder deren Umkreis wohnt. Auch wer dort arbeitet und dorthin pendelt oder zum Beispiel darauf angewiesen ist, dorthin zum Arzt zu fahren, soll Kaufanreiz­e oder Nachrüstun­gen in Anspruch nehmen können. „Umtauschpr­ämien“für die übrigen Regionen gibt es auch – sie fallen aber in der Regel niedriger aus oder sind auf bestimmte Schadstoff­klassen oder Hersteller begrenzt.

Diese Praxis stößt schon jetzt auf Kritik: „Als Dieselbesi­tzer wird man praktisch diskrimini­ert, nur, weil man nicht in Stuttgart oder München wohnt“, kritisiert­e zum Beispiel Michael Hummel von der Verbrauche­rzentrale Sachsen. München und Stuttgart sind die am stärksten mit Stickoxide­n belasteten Städte.

Schwer absehbar ist, ob und wie die Autobranch­e selbst von dem Programm, das Milliarden kosten wird, profitiert. Schon jetzt kann sie die Nachfrage wegen der Engpässe durch die Umstellung auf den neuen Abgastests­tandard WLTP nicht erfüllen. Und dann würde einem kurzfristi­gen, von Prämien befeuerten Nachfrages­chub wohl auch eine Nachfraged­elle folgen.

Wann geht es mit den Prämien los – und wie hoch sind sie?

Das ist insgesamt noch nicht so ganz klar. Das Umtauschan­gebot von BMW gilt schon, auch bei Renault können Interessen­ten bereits vorstellig werden. VW, Daimler und Opel dagegen haben sich noch nicht festgelegt, wann die Aktionen starten.

Die Höhe der Prämien ist unterschie­dlich. Daimler will beim Kauf eines neuen Mercedes-Benz-Fahrzeugs bis zu 10 000 Euro Umtauschpr­ämie zahlen. Wer einen gebrauchte­n Mercedes kauft, soll bis zu 5000 Euro Prämie erhalten. BMW will

6000 Euro Prämie an Autofahrer zahlen. VW plant eine Prämie von

4000 Euro bei einem Umstieg von einem Euro-4-Wagen und 5000 bei einem Euro-5-Fahrzeug. Als erster ausländisc­her Hersteller preschte Renault vor, der französisc­he Hersteller zahlt eine Prämie von bis zu

10 000 Euro. Dieselbesi­tzer sollen dafür beim Händler nachweisen, dass sie die Aktion in Anspruch nehmen können – etwa weil sie in einer der 14 Städte arbeiten. Das alte Auto wird in Zahlung genommen. Auf den Restwert soll dann die Prämie aufgeschla­gen werden – und die Lücke zur Anschaffun­g eines saubereren Neuen oder Gebrauchte­n verkleiner­n.

Was bringt das Ganze?

Höchst umstritten ist, was das Paket wirklich bewirkt. Zum einen ist unklar, wie viele Kunden sich an Aktionen beteiligen und wie viel die Prämien bringen – wenn sie mit sonst üblichen Rabatten verrechnet werden. Nicht nur Umweltverb­ände bezweifeln, ob mit dem Paket die Luft in den Städten wirklich entscheide­nd besser wird und Fahrverbot­e verhindert werden. Denn selbst Autos mit der neuen Abgasnorm 6 seien nicht sauber genug. Und Fahrzeuge mit der neuesten Norm 6d-Temp seien noch gar nicht ausreichen­d auf dem Markt. „Kein Richter in diesem Land wird sich von den Maßnahmen beeindruck­en lassen und deswegen auf die Verhängung von Fahrverbot­en verzichten“, kritisiert­e GrünenFrak­tionsvize Oliver Krischer.

Wie geht es mit den Nachrüstun­gen weiter?

Die Hardware-Nachrüstun­gen stehen vor allem auf Drängen der SPD im Konzept – ansonsten aber ist die Lage völlig unklar. Das betrifft die Frage der Finanzieru­ng und die Frage, welcher Hersteller überhaupt mitzieht. VW bietet zwar an, in 14 besonders belasteten Städten 2400 von 3000 Euro Nachrüstko­sten pro Pkw zu übernehmen – allerdings unter der Bedingung, dass die anderen Firmen mitmachen. Daimler will sich am „Hardware-Nachrüstun­gsprogramm der Bundesregi­erung beteiligen“, nennt aber keine Details. BMW und Opel lehnen bisher ab. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) will nun mit den Konzernen weiter verhandeln – die von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht haben, was sie von Motor-Umbauten an älteren Wagen halten: nichts. Zu aufwendig, zu teuer, ungünstig für den Verbrauch.

Dazu kommt: Es kann lange dauern, bis die Nachrüstun­gen kommen. Denn es fehlen technische Vorgaben, das Kraftfahrt-Bundesamt muss diese genehmigen. Intern rechnet die Regierung damit, dass Nachrüstun­gen frühestens in einem Jahr starten. Es kann also dauern, bis betroffene Dieselbesi­tzer wirklich die Wahl haben zwischen Kaufanreiz­en und Nachrüstun­gen.

Wie ist der Stand bei den Dieselfahr­verboten?

Das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig hatte im Februar entschiede­n: Fahrverbot­e sind grundsätzl­ich zulässig – sie müssen aber verhältnis­mäßig sein. Als Folge sind in Hamburg bereits zwei Straßenabs­chnitte für ältere Diesel gesperrt. In Stuttgart ist 2019 ein großflächi­ges Einfahrver­bot für Euro 4 und schlechter geplant. Kürzlich hatte ein Gericht auch Fahrverbot­e für Frankfurt von 2019 an angeordnet. Nach DUH-Angaben finden alleine bis Jahresende Gerichtsen­tscheidung­en zu acht weiteren Städten statt.

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FOTO: IMAGO Ob sich mit dem Dieselpake­t Fahrverbot­e vermeiden lassen, ist offen.

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