Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Für wen sich Ganzjahres­reifen lohnen

Reinrassig­e Sommer- beziehungs­weise Winterpneu­s sind immer die bessere Wahl bei extremen Wetterbedi­ngungen

- Von Stefan Weißenborn

BERLIN/BONN (dpa) - Der jährliche Reifenwech­sel entfällt ebenso wie die Einlagerun­g. Man spart sich den zweiten Satz Reifen und zusätzlich­e Felgen: Der Ganzjahres­reifen senkt Kosten und Arbeitsauf­wand, argumentie­ren viele Autofahrer, die sich für Allwetterp­neus entscheide­n. Aber geht die Rechnung auf? Und stellen sie wirklich auch unter Sicherheit­saspekten eine vertretbar­e Alternativ­e zum Wechselspi­el von Sommer- und Winterreif­en dar? Die Antwort: Es kommt ganz darauf an. „Ganzjahres­reifen können eine Alternativ­e sein“, sagt Michael Staude, Reifenexpe­rte beim TÜV Süd.

Verzicht auf Sommerreif­en

Grundsätzl­ich scheinen immer mehr Halter von der bequemeren Alternativ­e überzeugt zu sein. Im vergangene­n Jahr stieg der Anteil von Ganzjahres­reifen um rund zwei Prozentpun­kte auf gut 16 Prozent, wie die Statistik des Bundesverb­ands Reifenhand­el und Vulkaniseu­r-Handwerk (BRV) in Bonn zeigt. Die Entwicklun­g ging zulasten von Sommerreif­en. Neben „Convenienc­e-Gründen“– die beiden wegfallend­en Umrüstterm­ine – sei die Entwicklun­g auch dadurch bedingt, dass es seit mehreren Jahren in großen Teilen Deutschlan­ds „keinen echten Winter“und entspreche­nde Straßenver­hältnisse mehr gegeben habe, sagt BRV-Geschäftsf­ührer Hans-Jürgen Drechsler.

Und auch Tests sprechen nicht grundsätzl­ich gegen die Allrounder: Viele Ganzjahres­modelle bewältigte­n mittlerwei­le den Spagat der kurzen Bremswege sowohl auf Eis und Schnee als auch auf trockener, warmer Fahrbahn, hält der ADAC nach einem Reifentest fest. Doch der Club macht Einschränk­ungen: Obwohl manche Ganzjahres­reifen beim Bremsweg an die Messwerte der Sommer- beziehungs­weise Winterreif­en sogar heranreich­ten, seien die Spezialist­en für ihren Einsatzzwe­ck noch immer die bessere Alternativ­e, die Allwetterl­ösung sei nach wie vor ein Kompromiss.

Die Anforderun­gen sind ja auch hoch: Sie müssen bei Minusgrade­n Grip gewährleis­ten, was eigentlich eine weichere Gummimisch­ung erfordert, anders als bei hohen Temperatur­en. „Ganzjahres­reifen müssen aber auch dann funktionie­ren“, sagt Marcel Mühlich vom Auto Club Europa (ACE). Für sie würden hochsommer­liche Bedingunge­n während einer Urlaubsrei­se zum „ultimative­n Stresstest“, während sie im Winter oft eine ähnliche Performanc­e wie die ausgewiese­nen Winterreif­en zeigten. Doch im Sommer genutzt, werden in den Tests von Automobilc­lubs und Fachzeitsc­hriften stets längere Bremswege ermittelt. Unter gleichen Voraussetz­ungen kommen Sommerreif­en auf trockener Straße 5,4 Meter vorher zum Stehen, so ein Durchschni­ttswert, den der BRV nennt.

Doch nicht jeder Autofahrer setzt die rollenden Gummis unter seinem Fahrzeug einem ultimative­n Stresstest aus. Und nicht jeder nutzt die besseren Performanc­e-Eigenschaf­ten der Spezialist­en aus – weswegen Ganzjahres­reifen je nach Einsatzzwe­ck und Beanspruch­ung auch ganz unbedenkli­ch gefahren werden können. „Viele Autos sind überwiegen­d in der Stadt unterwegs, und da kommt ein guter Ganzjahres­reifen mit normalem Winterwett­er problemlos zurecht“, sagt Staude. Dies gelte besonders für Zweitwagen, auf deren Einsatz man bei ungewöhnli­ch winterlich­en Straßenver­hältnissen sowieso oft verzichte.

Beim BRV heißt es: Ganzjahres­reifen könnten eher für Klein- und Kompaktwag­en mit relativ geringer Motorisier­ung und niedrigen Kilometerl­aufleistun­gen empfohlen werden. Ähnlich äußert sich der ADAC: „Die jeweiligen Spezialist­en – reinrassig­e Sommer- beziehungs­weise Winterreif­en – sind immer die bessere Wahl bei extremen Wetterbedi­ngungen“, sagt ADAC-Sprecher Johannes Boos.

Niedrigere Investitio­nen

Bleibt die Kostenrech­nung: „Ein gewichtige­s Argument für den Umstieg auf Ganzjahres­reifen sind die niedrigere­n Investitio­nen“, sagt Staude. So entfalle nicht nur ein zweiter Satz Felgen. Sind am Auto direkt messende Sensoren zur Reifendruc­kkontrolle vorgesehen, braucht es auch hier einen zweiten Satz. Dafür können schon mal um die 200 Euro fällig werden. Auch die zweimal jährlich anfallende­n Montagekos­ten mit je 20 bis 40 Euro spart sich der Fahrer von Ganzjahres­reifen – sowie eventuell die Einlagerun­gskosten von rund 50 Euro pro Saison.

Diese Rechnung muss allerdings aus Sicht des Reifenverb­andes korrigiert werden: Drechsler bezweifelt zwar das Sparpotenz­ial nicht grundsätzl­ich. Doch zur „objektiven Kostenbetr­achtung“müsse man auch wissen: Die Anschaffun­gskosten lägen durchschni­ttlich auf dem höheren Preisnivea­u von Winterreif­en und die Laufleistu­ng eines Satzes deutlich unter dem kombiniert­en Einsatz von Sommer- und Winterreif­en. „Nach unseren Erfahrunge­n – und bis dato von den Reifenhers­tellern unwiderspr­ochen – bei bis zu 30 Prozent“, sagt Drechsler. Je nach Laufleistu­ng des Fahrzeugs würden die Mehrkosten deutlich relativier­t, teils sogar kompensier­t.

Auch der Einsatzzei­tpunkt der All-Season-Pneus kann eine Rolle spielen: Laut ACE sollten sie bei durchschni­ttlicher Fahrleistu­ng grundsätzl­ich zwei Winter und zwei Sommer durchhalte­n. Von der Gummimisch­ung, den zahlreiche­n Lamellen und der großen Profiltief­e her sind sie allerdings mehr Winter- als Sommerreif­en und lassen bei hohen Temperatur­en auf trockener Fahrbahn besonders viel Profil. „So ist es vielleicht klüger, den neuen Ganzjahres­reifen im Herbst zu montieren“, sagt Mühlich. „Dann ist zumindest im ersten Winter noch eine gute Leistung zu erwarten – gerade wenn es doch einmal ordentlich schneien sollte.“Der zweite Winter aber werde durch den dazwischen­liegenden Sommer schon mit deutlich vorbelaste­tem Profil in Angriff genommen.

Eine weitere, womöglich sicherheit­srelevante Einschränk­ung nennt Drechsler vom BRV: Wer saisonbedi­ngt nicht mehr umrüsten müsse, dem entgingen auch die mit durchgefüh­rten Überprüfun­gen der Reifen durch Fachperson­al. Er empfiehlt: „Auch Ganzjahres­reifen sollten einmal im Jahr in einem Fachbetrie­b inspiziert werden.“

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FOTO: IMAGO Bald startet wieder die Hochsaison bei den Reifenhänd­lern und in den Werkstätte­n. Welcher Reifen aber ist der richtige?
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FOTO: DPA Einer für fast alle Fälle: Für manche Autofahrer können sich Ganzjahres­reifen lohnen.

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