Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Studium ist kein Gegensatz zur Lehre
Beim Talk im Hofgarten werden Schaffer und Denker als gleichwertig angesehen
SIGMARINGEN - „Denker oder Schaffer – welche Bildung braucht’s Ländle?“: Über dieses Thema haben fünf Teilnehmer der vom Serviceclub Round Table organisierten Runde „Talk im Hofgarten“diskutiert. Die dritte Veranstaltung dieser Art in den historischen Räumen des Hofgartens, die von der Hohenzollerischen Landesbank zur Verfügung gestellt wurden, moderierte der Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, Hendrik Groth.
Die Diskussion stand im Spannungsfeld vom Mangel an Fachkräften und Auszubildenden einerseits und den immer höheren Anforderungen an Mitarbeiter angesichts der rasant fortschreitenden Digitalisierung der Wirtschaft. Auf dem Podium saßen Ingeborg Mühldorfer, Rektorin der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Peter Müller, Chef der Ostracher Firma Tegos, Zulieferer für Wohnmobile, Landrätin Stefanie Bürkle, die Vorsitzende der SPD Baden-Württemberg, Leni Breymaier MdB, und der parlamentarische Staatssekretät im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Bareiß (CDU).
Der Hausherr, der Vorstandsvorsitzende der Hohenzollerischen Landesbank Michael Hahn, forderte in seiner Begrüßung angesichts fallender Ausbildungszahlen mehr Wertschätzung für Ausbildung und Lehre. Er betonte: „Wir brauchen Denker und Schaffer, Denker, die schaffen und Schaffer, die denken“. Thomas Stehle, Präsident von Round Table 162 Sigmaringen, bezeichnete in seinem Grußwort Bildung als eines der wichtigsten Zukunftsthemen. Nach einem von „Schwäbisch Media“gestalteten Einspieler zur Thematik eröffnete Hendrik Groth die Talkrunde.
Leni Breymaier, befragt, warum auf einmal so viele Lehrer an Berufsund Grundschulen fehlen, sagte, man habe vor 20 Jahren auf die demografischen Vorhersagen vertraut und sehe sich nun getäuscht, es habe geheißen, es gebe weniger Kinder und deshalb brauche man weniger Lehrer. Landrätin Bürkle erklärte, dass man sich der Bildungsproblematik durchaus bewusst sei und verwies auf die Investitionen des Kreises in die beruflichen Schulen in Sigmaringen und Bad Saulgau, die sich auf rund 90 Millionen Euro belaufen. Erst jüngst habe man die Beschaffung einer Lernfabrik 4.0. beschlossen, die die Auszubildenden auf die Industrie der Zukunft vorbereiten soll. Auf Messen versuche man immer wieder, junge Leute für Ausbildungsberufe zu gewinnen.
Ingeborg Mühldorfer war zufrieden, dass ihre Hochschule immer mehr Studierende anzieht und betonte, dass 94 Prozent ihrer Absolventen sofort einen Arbeitsplatz hätten. Sie wehrte sich gegen Begriffe wie „Akademisierungswahnsinn“, da im globalisierten Wettbewerb und in der Digitalisierung ein hohes Ausbildungsniveau unverzichtbar sei. Das bedeute jedoch nicht, dass man auf Facharbeiter und Handwerker verzichten könne. Sie sehe alle Ausbildungsgänge als gleichwertig an. Allerdings müsse die Ausbildung flexibel und nach oben durchlässig sein. „Der Gegensatz Ausbildung - Studium ist passé“, sagte sie und erhielt dafür viel Beifall.
Wichtige Durchlässigkeit der Bildungsmöglichkeiten
Die Durchlässigkeit, also die Möglichkeit auch nach einer Lehre ein Studium aufzunehmen, lag allen Teilnehmern der Runde am Herzen. Breymaier verwies darauf, dass mit der zunehmenden Digitalisierung ganze Berufsgruppen wegfallen könnten und dementsprechend forderte sie, die Bundesagentur für Arbeit um eine Fortbildungskomponente zu erweitern. Peter Müller äußerte sich auf die Frage, ob denn die Industrie bereit sei, sich finanziell an Weiterbildungsmöglichkeiten zu beteiligen, zurückhaltend. Er werde die Anregungen aus dieser Runde in seine Verbände mitnehmen, könne aber nichts versprechen. Große Unternehmen seien gegenüber Mittelständlern natürlich deutlich im Vorteil bei der Weiterbildung.
Die Idee, die Bildung auf Bundesebene zu bündeln, fand wenig Zuneigung. Bürkle sprach sich für klare Strukturen und Zuständigkeiten auf Länderebene aus und begrüßte auch einen Wettbewerb zwischen den Ländern. Allerdings wären Gelder des Bundes, von denen immer die Rede sei, die aber nicht ankommen, durchaus willkommen. Auch Thomas Bareiß sprach sich dagegen aus, die Bildungspolitik von Berlin aus zu regeln. Zwar müsse man gewisse Standards zwischen den Ländern festlegen, doch sei es Aufgabe der Kommunen, für ihre Bürger durch Bildungsmöglichkeiten attraktiv zu sein. Um das duale Ausbildungssystem werde Deutschland auf der ganzen Welt beneidet und als Vorbild angesehen. Hierauf müsse man aufbauen. Man dürfe die handwerklichen Berufe nicht abwerten, betonte Bareiß, sondern müsse wieder die Lust auf handwerkliche Berufe wecken, die viel Raum für Kreativität und eigene Gestaltung böten. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf verwiesen, dass die Einkünfte von Akademikern inzwischen durchaus nicht immer höher seien, als die von Handwerkern oder Facharbeitern. Peter Müller erklärte, dadurch, dass es weniger junge Menschen gebe, werde der Kuchen kleiner, aus dem man seinen Nachwuchs rekrutieren könnte. Hier sagte Landrätin Bürkle, es gelte, besondere Begabungen frühzeitig zu erkennen und zu fördern. Dies gilt vor allem für die mathematisch-technischen Fachrichtungen.
Durch Vergleiche mit dem Silicon Valley oder der indischen Softwareschmiede in Bangalore angeregt, fragte Moderator Groth, ob Deutschland die Gefahr laufe, abgehängt zu werden. Hier waren sich alle Teilnehmer der Runde einig, dass aktuell noch keine Gefahr bestehe, man aber mit aller Energie den Anschluss herstellen müsse. „Vielleicht geht es uns noch zu gut, um wirklich hungrig zu sein“, meinte Stefanie Bürkle und Thomas Bareiß verwies auf sechs Jahre Wachstum in Folge. Da dürfe man sich aber nicht zurücklehnen.