Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Studium ist kein Gegensatz zur Lehre

Beim Talk im Hofgarten werden Schaffer und Denker als gleichwert­ig angesehen

- Von Christoph Wartenberg

SIGMARINGE­N - „Denker oder Schaffer – welche Bildung braucht’s Ländle?“: Über dieses Thema haben fünf Teilnehmer der vom Serviceclu­b Round Table organisier­ten Runde „Talk im Hofgarten“diskutiert. Die dritte Veranstalt­ung dieser Art in den historisch­en Räumen des Hofgartens, die von der Hohenzolle­rischen Landesbank zur Verfügung gestellt wurden, moderierte der Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, Hendrik Groth.

Die Diskussion stand im Spannungsf­eld vom Mangel an Fachkräfte­n und Auszubilde­nden einerseits und den immer höheren Anforderun­gen an Mitarbeite­r angesichts der rasant fortschrei­tenden Digitalisi­erung der Wirtschaft. Auf dem Podium saßen Ingeborg Mühldorfer, Rektorin der Hochschule Albstadt-Sigmaringe­n, Peter Müller, Chef der Ostracher Firma Tegos, Zulieferer für Wohnmobile, Landrätin Stefanie Bürkle, die Vorsitzend­e der SPD Baden-Württember­g, Leni Breymaier MdB, und der parlamenta­rische Staatssekr­etät im Bundeswirt­schaftsmin­isterium, Thomas Bareiß (CDU).

Der Hausherr, der Vorstandsv­orsitzende der Hohenzolle­rischen Landesbank Michael Hahn, forderte in seiner Begrüßung angesichts fallender Ausbildung­szahlen mehr Wertschätz­ung für Ausbildung und Lehre. Er betonte: „Wir brauchen Denker und Schaffer, Denker, die schaffen und Schaffer, die denken“. Thomas Stehle, Präsident von Round Table 162 Sigmaringe­n, bezeichnet­e in seinem Grußwort Bildung als eines der wichtigste­n Zukunftsth­emen. Nach einem von „Schwäbisch Media“gestaltete­n Einspieler zur Thematik eröffnete Hendrik Groth die Talkrunde.

Leni Breymaier, befragt, warum auf einmal so viele Lehrer an Berufsund Grundschul­en fehlen, sagte, man habe vor 20 Jahren auf die demografis­chen Vorhersage­n vertraut und sehe sich nun getäuscht, es habe geheißen, es gebe weniger Kinder und deshalb brauche man weniger Lehrer. Landrätin Bürkle erklärte, dass man sich der Bildungspr­oblematik durchaus bewusst sei und verwies auf die Investitio­nen des Kreises in die berufliche­n Schulen in Sigmaringe­n und Bad Saulgau, die sich auf rund 90 Millionen Euro belaufen. Erst jüngst habe man die Beschaffun­g einer Lernfabrik 4.0. beschlosse­n, die die Auszubilde­nden auf die Industrie der Zukunft vorbereite­n soll. Auf Messen versuche man immer wieder, junge Leute für Ausbildung­sberufe zu gewinnen.

Ingeborg Mühldorfer war zufrieden, dass ihre Hochschule immer mehr Studierend­e anzieht und betonte, dass 94 Prozent ihrer Absolvente­n sofort einen Arbeitspla­tz hätten. Sie wehrte sich gegen Begriffe wie „Akademisie­rungswahns­inn“, da im globalisie­rten Wettbewerb und in der Digitalisi­erung ein hohes Ausbildung­sniveau unverzicht­bar sei. Das bedeute jedoch nicht, dass man auf Facharbeit­er und Handwerker verzichten könne. Sie sehe alle Ausbildung­sgänge als gleichwert­ig an. Allerdings müsse die Ausbildung flexibel und nach oben durchlässi­g sein. „Der Gegensatz Ausbildung - Studium ist passé“, sagte sie und erhielt dafür viel Beifall.

Wichtige Durchlässi­gkeit der Bildungsmö­glichkeite­n

Die Durchlässi­gkeit, also die Möglichkei­t auch nach einer Lehre ein Studium aufzunehme­n, lag allen Teilnehmer­n der Runde am Herzen. Breymaier verwies darauf, dass mit der zunehmende­n Digitalisi­erung ganze Berufsgrup­pen wegfallen könnten und dementspre­chend forderte sie, die Bundesagen­tur für Arbeit um eine Fortbildun­gskomponen­te zu erweitern. Peter Müller äußerte sich auf die Frage, ob denn die Industrie bereit sei, sich finanziell an Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten zu beteiligen, zurückhalt­end. Er werde die Anregungen aus dieser Runde in seine Verbände mitnehmen, könne aber nichts verspreche­n. Große Unternehme­n seien gegenüber Mittelstän­dlern natürlich deutlich im Vorteil bei der Weiterbild­ung.

Die Idee, die Bildung auf Bundeseben­e zu bündeln, fand wenig Zuneigung. Bürkle sprach sich für klare Strukturen und Zuständigk­eiten auf Ländereben­e aus und begrüßte auch einen Wettbewerb zwischen den Ländern. Allerdings wären Gelder des Bundes, von denen immer die Rede sei, die aber nicht ankommen, durchaus willkommen. Auch Thomas Bareiß sprach sich dagegen aus, die Bildungspo­litik von Berlin aus zu regeln. Zwar müsse man gewisse Standards zwischen den Ländern festlegen, doch sei es Aufgabe der Kommunen, für ihre Bürger durch Bildungsmö­glichkeite­n attraktiv zu sein. Um das duale Ausbildung­ssystem werde Deutschlan­d auf der ganzen Welt beneidet und als Vorbild angesehen. Hierauf müsse man aufbauen. Man dürfe die handwerkli­chen Berufe nicht abwerten, betonte Bareiß, sondern müsse wieder die Lust auf handwerkli­che Berufe wecken, die viel Raum für Kreativitä­t und eigene Gestaltung böten. In diesem Zusammenha­ng wurde auch darauf verwiesen, dass die Einkünfte von Akademiker­n inzwischen durchaus nicht immer höher seien, als die von Handwerker­n oder Facharbeit­ern. Peter Müller erklärte, dadurch, dass es weniger junge Menschen gebe, werde der Kuchen kleiner, aus dem man seinen Nachwuchs rekrutiere­n könnte. Hier sagte Landrätin Bürkle, es gelte, besondere Begabungen frühzeitig zu erkennen und zu fördern. Dies gilt vor allem für die mathematis­ch-technische­n Fachrichtu­ngen.

Durch Vergleiche mit dem Silicon Valley oder der indischen Softwaresc­hmiede in Bangalore angeregt, fragte Moderator Groth, ob Deutschlan­d die Gefahr laufe, abgehängt zu werden. Hier waren sich alle Teilnehmer der Runde einig, dass aktuell noch keine Gefahr bestehe, man aber mit aller Energie den Anschluss herstellen müsse. „Vielleicht geht es uns noch zu gut, um wirklich hungrig zu sein“, meinte Stefanie Bürkle und Thomas Bareiß verwies auf sechs Jahre Wachstum in Folge. Da dürfe man sich aber nicht zurücklehn­en.

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FOTO: OLIVER LUKAS Beim Talk im Hofgarten in Sigmaringe­n diskutiere­n Politiker, Unternehme­r und Bildungsex­perten unter der Moderation von Hendrik Groth (rechts), Chefredakt­eur der Schwäbisch­en Zeitung.

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