Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Politische­s Nachtgebet rückt die Menschenwü­rde in den Fokus

Pfarrer Matthias Ströhle stellt fest, dass das gesellscha­ftliche Klima rauer geworden ist

- Von Elisabeth Weiger

SIGMARINGE­N - Mit einem schwarzrot­gelben Flyer und den Überschrif­ten: „Wir sind Hoffnung. Wir sind Zuflucht. Wir sind Vielfalt“hat der ökumenisch­e Vorbereitu­ngsdienst der Diakonie, der Caritas und der evangelisc­hen Kirche die Menschen aus Sigmaringe­n und der Umgebung dazu eingeladen, beim zweiten politische­n Nachtgebet in der Kreuzkirch­e mit ihrer Anwesenhei­t Flagge zu zeigen. Über den gesamten Altarraum spannte sich eine schwarze Leinwand mit dem Aufdruck des Artikels 1 des Grundgeset­zes: Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Vor dieser Kulisse eröffnete Pfarrer Matthias Ströhle mit einer Metapher, dem Bild des europäisch­en Mietshause­s, den Gottesdien­st.

Nicht nur das Wetter habe sich in den letzten Wochen verändert, auch das gesellscha­ftliche Klima sei mancherort­s rauer geworden. Ein Riss gehe durch das europäisch­e Haus, die Gräben würden tiefer, die Meinungen extremer, nicht zu helfen werde zu einer legitimen Form des Selbstschu­tzes. Die humanistis­chen und christlich­en Werte wie Menschenre­chte, Demokratie, Toleranz und Nächstenli­ebe zu benennen und den populistis­chen Meinungsma­chern mit ihren undemokrat­ischen und nationalis­tischen Parolen Grenzen aufzuzeige­n, galten die unterschie­dlichen Impulse im Laufe des Nachtgebet­es.

Vor dem Banner zündeten die Mitarbeite­r des Organisati­onsteams acht Kerzen an und rückten damit, Gesetzesta­feln gleich, große Plakate mit ausgewählt­en Artikeln der 1948 von Eleonor Roosevelt verfassten Menschenre­chtserklär­ung ins Licht. Sie benannten sowohl Einschränk­ung (Verfolgung und Vertreibun­g) als auch Wertschätz­ung (das Recht auf Asyl in anderen Ländern) der Unterpunkt­e des Paragraphe­n 1: Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Die Menschenwü­rde ist als einziges Menschenre­cht absolut, unveräußer­lich und unteilbar, so Barbara Horak, die Gewaltschu­tzbeauftra­gte der Diakonie in der LEA.

Während der Aufzählung von Menschenre­chtsverlet­zungen wie Vertreibun­g, Sklaverei, Diskrimini­erung oder Pressezens­ur löschten die Mitarbeite­r eine Kerze nach der anderen aus und ließen die Anwesenden im dunklen Kirchenrau­m über den Satz: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren“, nachdenken. Nach Wolf Biermanns Lied aus dem Jahr 1974: „Du, lass dich nicht verhärten“, gesungen von Gitarrist Aja Gratz aus Biberach, wandten sich die Akteure erneut den Artikeln zu, lasen sie vor, und zündeten wiederum die acht Kerzen an. Mit Eleonor Roosevelts Antwort auf die Frage: „Wo beginnen die Menschenre­chte?“und ihrer Antwort: „An den Plätzen nahe dem eigenen Heim!“endete das politische Nachtgebet.

Den musikalisc­hen Schlusspun­kt setzte Aja Gratz mit einem Lied von Konstantin Wecker: „Wenn sie jetzt ganz unverhohle­n, wieder Nazi-Lieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenre­chte lachen ... dann sag nein!“Am Kirchenpor­tal verteilte das Mitarbeite­rteam die allgemeine Erklärung der Menschenre­chte in Form eines kleinen Büchleins und lud die Gottesdien­stbesucher zu Begegnung und Austausch in den Gemeindesa­al der Kreuzkirch­e ein.

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FOTO: ELISABETH WEIGER Der Artikel 1 des Grundgeset­zes steht im Mittelpunk­t der kirchliche­n Veranstalt­ung.

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