Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Poetry-Slam erfüllt alle Erwartungen
Rund 120 Besucher erlebten den ersten Poetry-Slam im Bootshaus.
SIGMARINGEN - Den ersten PoetrySlam im Bootshaus, in Kooperation mit der „Schwäbischen Zeitung“, haben gut 120 Besucher miterlebt. Sie wollten sich den modernen Dichterwettstreit, der Unterhaltung mit Worten und Geschichten versprach, nicht entgehen lassen. Die physische wie atmosphärische Nähe von Publikum, Dichter und Text schaffte es, Literatur „hautnah“mitzuerleben.
Das Sigmaringer Publikum kennt das Format des Poetry-Slams von den Ateliers des Alten Schlachthofs. Während dort jedoch meist SlamAmateure ihre Texte vortrugen, kamen bei diesem gut vorbereiteten Poetry-Slam im Bootshaus vor allem Profi-Slammer zu Wort. Aber auch andere Berufene sind willkommen. Drei Regeln, so Moderator Marvin Suckut, gelten für alle Slammer: Der Text muss selbst verfasst sein, es dürfen keine Requisiten verwendet werden und jeder hat höchstens sechs Minuten Zeit. Die Textart wird nicht vorgeschrieben.
Im ersten Durchgang waren noch alle sechs Dichter am Start. Sechs Juroren aus dem Publikum durften ihr Votum abgeben. Zehn Punkte, so Moderator Suckut, sollten für „Ach mein Gott, ich möchte diesen Menschen mit nach Hause nehmen“abgegeben werden. Die Jury solle sich nicht vom Publikum beeinflussen lassen und das Publikum nicht von der Jury. Aber natürlich gehörte der frenetische Beifall zum wesentlichen
Bestandteil des Abends. Suckut ist selbst begeisterter Slammer und las zur Einstimmung für die Teilnehmer eine Liebesgeschichte vor, in der es darum geht, die Angebetete schreibend zu erobern.
Die Texte, die dann kamen, waren alle ein Hörgewinn, und somit war es für das Publikum und die Jury schwer, den einen gegen den anderen abzuwägen. Tabea Rebsam aus Freiburg hatte sich erfrischende Gedanken zur Selbstoptimierung gemacht. Anna Teufel reflektierte temporeich über das Wohngemeinschaftsleben: „Wozu braucht man als Frau sechs Rasierer im Bad?“
„Lokalmatador“Marcel Siedersberger aus Sigmaringen trug einen Mutmach-Text für 16-Jährige und einen für 26-Jährige vor: „Lebe jeden Tag, als ob es dein letzter wär‘.“Volker Surnamann, der auch seine Texte
und die der Kollegen verlegt, kam mit Buch: „Ich schreibe einfach mit, was ich erlebe“.
Er „reiste einst“mit einem als langweilig erkannten Bahnmitfahrer, der mit dem Satz „gelegentlich befriedige ich mich selbst“nicht nur eine ungewohnte Reaktion, „das Universum hält den Atem an“, aller Mitfahrer hervorrief, sondern zusätzlich der Geschichte eine neue Wendung gab. Alex Simm aus Langenargen „war früher ein ausgeglichener Mann, bis ich meine Frau traf“, er spielte mit Redewendungen und brachte die Botschaft „steht auf und kriecht nicht“mit. Oliver Walter aus Nürnberg wusste ironisch zu berichten,
dass Babys „immer niedlich“sind und sein müssen.
Nach dem ersten Durchgang waren noch vier und nach dem nächsten noch zwei Poeten im Ring. Anna Teufel, von Suckut als „die Humanistin unter den Slammern“bezeichnet, punktete zuerst mit einem Text aus der Ich-Perspektive über eine demenzerkrankte Frau und im zweiten über ein „perfekt unperfektes“Kind und seine „Kekskrümelgedanken“. Alex Simm brachte als Lehrer eine Geschichte vom „Klassenkampf“und in der Schlussrunde las er eine Ballade vom Emoeinhorn Erna. Das Publikum zeigte sich gleichermaßen begeistert und kürte die beiden als Doppelsieger. Der Abend war eine LiteraturPerformance par excellence.
Das Publikum sei das Wichtigste, so Anna Teufel nach der Veranstaltung: „Die Atmosphäre war richtig schön, die Leute hier sind noch ziemlich ungeslamt.“Die im ganzen deutschen Sprachgebiet reisenden Slammer kennen sich untereinander. Der Dichterwettstreit ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Das Natürliche im Auftreten und im Verhalten gegenüber dem Publikum ist – selbst wenn es Teil des Auftritts ist – Trumpf und kommt bestens an. Vorgetragene Literatur auf Augenhöhe „von uns zu euch“machte den Zuhörern unterschiedlichen Alters großen Spaß. Die Resonanz war ausgezeichnet. Eine Fortsetzung, so der Moderator und Stimmen aus dem Publikum, wäre wünschenswert.
„Lebe jeden Tag, als ob es dein letzter wär’“, sagt Marcel Siedersberger, Slammer aus Sigmaringen.