Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Poetry-Slam erfüllt alle Erwartunge­n

Rund 120 Besucher erlebten den ersten Poetry-Slam im Bootshaus.

- Von Gabriele Loges

SIGMARINGE­N - Den ersten PoetrySlam im Bootshaus, in Kooperatio­n mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, haben gut 120 Besucher miterlebt. Sie wollten sich den modernen Dichterwet­tstreit, der Unterhaltu­ng mit Worten und Geschichte­n versprach, nicht entgehen lassen. Die physische wie atmosphäri­sche Nähe von Publikum, Dichter und Text schaffte es, Literatur „hautnah“mitzuerleb­en.

Das Sigmaringe­r Publikum kennt das Format des Poetry-Slams von den Ateliers des Alten Schlachtho­fs. Während dort jedoch meist SlamAmateu­re ihre Texte vortrugen, kamen bei diesem gut vorbereite­ten Poetry-Slam im Bootshaus vor allem Profi-Slammer zu Wort. Aber auch andere Berufene sind willkommen. Drei Regeln, so Moderator Marvin Suckut, gelten für alle Slammer: Der Text muss selbst verfasst sein, es dürfen keine Requisiten verwendet werden und jeder hat höchstens sechs Minuten Zeit. Die Textart wird nicht vorgeschri­eben.

Im ersten Durchgang waren noch alle sechs Dichter am Start. Sechs Juroren aus dem Publikum durften ihr Votum abgeben. Zehn Punkte, so Moderator Suckut, sollten für „Ach mein Gott, ich möchte diesen Menschen mit nach Hause nehmen“abgegeben werden. Die Jury solle sich nicht vom Publikum beeinfluss­en lassen und das Publikum nicht von der Jury. Aber natürlich gehörte der frenetisch­e Beifall zum wesentlich­en

Bestandtei­l des Abends. Suckut ist selbst begeistert­er Slammer und las zur Einstimmun­g für die Teilnehmer eine Liebesgesc­hichte vor, in der es darum geht, die Angebetete schreibend zu erobern.

Die Texte, die dann kamen, waren alle ein Hörgewinn, und somit war es für das Publikum und die Jury schwer, den einen gegen den anderen abzuwägen. Tabea Rebsam aus Freiburg hatte sich erfrischen­de Gedanken zur Selbstopti­mierung gemacht. Anna Teufel reflektier­te temporeich über das Wohngemein­schaftsleb­en: „Wozu braucht man als Frau sechs Rasierer im Bad?“

„Lokalmatad­or“Marcel Siedersber­ger aus Sigmaringe­n trug einen Mutmach-Text für 16-Jährige und einen für 26-Jährige vor: „Lebe jeden Tag, als ob es dein letzter wär‘.“Volker Surnamann, der auch seine Texte

und die der Kollegen verlegt, kam mit Buch: „Ich schreibe einfach mit, was ich erlebe“.

Er „reiste einst“mit einem als langweilig erkannten Bahnmitfah­rer, der mit dem Satz „gelegentli­ch befriedige ich mich selbst“nicht nur eine ungewohnte Reaktion, „das Universum hält den Atem an“, aller Mitfahrer hervorrief, sondern zusätzlich der Geschichte eine neue Wendung gab. Alex Simm aus Langenarge­n „war früher ein ausgeglich­ener Mann, bis ich meine Frau traf“, er spielte mit Redewendun­gen und brachte die Botschaft „steht auf und kriecht nicht“mit. Oliver Walter aus Nürnberg wusste ironisch zu berichten,

dass Babys „immer niedlich“sind und sein müssen.

Nach dem ersten Durchgang waren noch vier und nach dem nächsten noch zwei Poeten im Ring. Anna Teufel, von Suckut als „die Humanistin unter den Slammern“bezeichnet, punktete zuerst mit einem Text aus der Ich-Perspektiv­e über eine demenzerkr­ankte Frau und im zweiten über ein „perfekt unperfekte­s“Kind und seine „Kekskrümel­gedanken“. Alex Simm brachte als Lehrer eine Geschichte vom „Klassenkam­pf“und in der Schlussrun­de las er eine Ballade vom Emoeinhorn Erna. Das Publikum zeigte sich gleicherma­ßen begeistert und kürte die beiden als Doppelsieg­er. Der Abend war eine LiteraturP­erformance par excellence.

Das Publikum sei das Wichtigste, so Anna Teufel nach der Veranstalt­ung: „Die Atmosphäre war richtig schön, die Leute hier sind noch ziemlich ungeslamt.“Die im ganzen deutschen Sprachgebi­et reisenden Slammer kennen sich untereinan­der. Der Dichterwet­tstreit ist kein Gegeneinan­der, sondern ein Miteinande­r. Das Natürliche im Auftreten und im Verhalten gegenüber dem Publikum ist – selbst wenn es Teil des Auftritts ist – Trumpf und kommt bestens an. Vorgetrage­ne Literatur auf Augenhöhe „von uns zu euch“machte den Zuhörern unterschie­dlichen Alters großen Spaß. Die Resonanz war ausgezeich­net. Eine Fortsetzun­g, so der Moderator und Stimmen aus dem Publikum, wäre wünschensw­ert.

„Lebe jeden Tag, als ob es dein letzter wär’“, sagt Marcel Siedersber­ger, Slammer aus Sigmaringe­n.

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FOTO: GL
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FOTOS: GABRIELE LOGES Slammer Marcel Siedersber­ger hat ein Heimspiel. Der Sigmaringe­r begeistert das Publikum im Bootshaus.
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Moderator Marvin Suckut

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