Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wenn Rente und Beihilfe kaum ausreichen
Michaela Fechter von der Sozialberatung berichtet von einem Fall
der Existenzsicherung. Auch im Jugendmigrationsdienst, für junge Erwachsene bis 27 Jahre gedacht, wo 151 Fälle 2017 registriert wurden, beziehen 120 davon Leistungen oder erhalten Wohn- oder Kindergeldzuschlag. In der Beratungsstelle häusliche Gewalt suchten 2017 91 Frauen Hilfe auf, davon bezogen 41 Frauen staatliche Transferleistungen.
Die Zahlen der Hilfesuchenden seien im Vergleich zum Vorjahr zwar weitestgehend konstant geblieben, dennoch möchte die Liga auf die prekäre Situation aufmerksam machen. Besonders ist laut Karl-Arthur Unger, dass der Prozentsatz der Hilfesuchenden, der auf eine prekäre finanzielle Situation hindeute, durchweg bei allen Caritas-Beratungsangeboten recht groß sei.
„Jemand, der Arbeitslosengeld oder Grundsicherung bekommt, hat zwar das Notwendigste, wie Miete, aber wir zweifeln daran, dass es reicht, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“, sagt Karl-Arthur Unger. Sozialhilfeempfänger würden an der Schwelle zur Armut leben. Er apelliert an die Politik, nicht diejenigen zu vergessen, die am Existenzminimum leben würden. SIGMARINGEN (sz) - Armut ist lange nicht mehr ein Thema, das nur Alleinerziehende oder Arbeitslose betrifft: Die Facetten von Armut nehmen stetig zu und werden komplexer, das berichtet Michaela Fechter von der Sozial- und Lebensberatung Sigmaringen bei der diakonischen Bezirksstelle Balingen. Wachsend sei die Zahl der Rentner, die an der Armutsgrenze leben würden. Selbst Rente und Grundsicherung brächten immer mehr Rentner an die Armutsgrenze.
Seit vielen Jahren komme eine 74 Jahre alte Witwe in die Beratungsstelle: Sie hat zwei erwachsene Kinder, ist gelernte Altenpflegerin und arbeitete viele Jahrzehnte in der Altenhilfe. Die Jahre der Geburt und Betreuung ihrer Söhne und die zwölf Jahre lange Pflege ihres mittlerweile verstorbenen Mannes ermöglichten ihr keine Vollzeittätigkeit, erzählt Fechter. Aufgrund ihrer „Muttertätigkeit“und der Pflege ihres Mannes im häuslichen Umfeld habe die Frau nun erhebliche Abzüge in ihrer Rente. Weil sie kein Geld für den Bus habe, laufe sie immer zu Fuß, bei jeder Witterung, die fünf Kilometer in der Beratungsstelle. „Die erhaltene Beihilfe will sie lieber in Kartoffeln und Gemüse im Tafelladen investieren“, so Fechter. Alle Versorgungsansprüche sind beantragt, sie reichen der 74-Jährigen aber nur bedingt.
Diakonie bezeihungsweise Wohlfahrt hätten mit der zunehmenden Altersarmut auch konkret in den Einzelfällen vielschichtige Aufgaben. Primär gehe es darum, akute Not abzuwenden. In äußersten Ausnahmefälle kann die Diakonie mit Beihilfen reagieren und lindern, so wie beispielsweise die Reparaturkosten einen kaputten Waschmaschine tragen. Mit den Regelsätzen ist maximal die untere Bedarfsgrenze gedeckt, alle „außerregulären“Zusatzkosten brächten den Rentner in eine Krisensituation. „Wünsche, die für viele von uns selbstverständlich im Alltag erfüllt werden, sind für diese Menschen nicht zu erfüllen. Sie müssen an jedem Eck sparen und so kann der Keks zum Kaffee schon zum Luxusgut werden“, sagt Fechter. Neben der Linderung der Akutsituation sei die Sozialberatung gefragt, zu prüfen, ob alle Ansprüche beantragt seien, und zu sehen, wo es eventuell noch Verbesserungen geben könne. Darunter falle natürlich auch,zu schauen ob jemand alle ihm zustehende Ansprüche erhalte, aber auch, wie er mit diesen Leistungen haushalte – ob Einsparungsmöglichkeiten vorhanden sind. „Diesen Fall hatte ich aber noch nie in Bezug auf Altersarmut“, sagt Michaela Fechter.
Laut Fechter wird es für Menschen in Armut zunehmend schwerer, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Die Regelsätze müssen dringend erhöht werden. Es müssen politische Veränderungen stattfinden, da die Wohlfahrt nur ganz kleine Teile der Armut, in Ausnahmefällen, auffangen kann“, fordert Michaela Fechter.