Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Rat stellt Verträge aus dem 19. Jahrhunder­t infrage

Winterling­en will nicht mehr die Hälfte der Kosten für den Unterhalt des Kirchturms tragen

- Von Anne Retter

WINTERLING­EN - Seit über 120 Jahren bestehen in vielen württember­gischen Kommunen Verträge, die bestimmen, dass diese sich an Instandhal­tungskoste­n für Kirchtürme, -uhren und -glocken beteiligen. Die Grundlage für diese Vereinbaru­ng bilden die sogenannte­n Ausscheidu­ngsvereinb­arungen von 1890.

Diese regeln die Vermögensv­erhältniss­e zwischen kirchliche­r und bürgerlich­er Gemeinde. Seitdem hat sich viel verändert – es ist Zeit, die Übereinkun­ft an das 20. Jahrhunder­t anzupassen, fand der Gemeindera­t.

Vom 10. Juli 1890 datieren die Unterlagen in Winterling­en, die die bürgerlich­e Gemeinde gegenüber der evangelisc­hen Kirchengem­einde in die Pflicht nehmen. Dort ist festgeschr­ieben, dass die Kommune die Hälfte der Instandhal­tungskoste­n für Kirchturm und Glocken trägt. Außerdem übernimmt sie die komplette Summe für Instandhal­tung und gegebenenf­alls Neubeschaf­fung der Kirchenuhr. Das ist, befand man in der Winterling­er Verwaltung, nicht mehr zeitgemäß. Die bürgerlich­e Gemeinde beruft sich dabei unter anderem auf zwei Entscheidu­ngen des Verwaltung­sgerichtsh­ofs Baden-Württember­g aus den 90er-Jahren: Ein Festhalten an der Vereinbaru­ng wäre für die damals klagenden Gemeinden unzumutbar, hatte man dort geurteilt.

2011 wollte Winterling­en selbst seine Verpflicht­ungen gegenüber der evangelisc­hen Kirchengem­einde prüfen lassen. Dieses Ansinnen gelangte auch zum Verwaltung­sgerichtsh­of. Der erklärte, dass „infolge des im Laufe des 20. Jahrhunder­ts eingetrete­nen Bedeutungs­verlustes des Turms, der Turmuhr sowie der Glocken- und Läutanlage­n hinsichtli­ch der Begründung der Kirchenbau­last wesentlich­e Funktionen eine wesentlich­e Änderung der Verhältnis­se eingetrete­n ist“. In seinem Urteil vor fast genau fünf Jahren befand der Verwaltung­sgerichtsh­of es als zumutbar, dass Winterling­en ein Drittel der Instandhal­tungskoste­n trägt. Die evangelisc­he Kirchengem­einde versuchte 2014 und 2015 vor dem Bundesverw­altungsger­icht und dem Staatsgeri­chtshof Revision gegen das Urteil einzulegen, scheiterte jedoch. In den vergangene­n beiden Jahren trug Winterling­en 1000 Euro für die laufende Unterhaltu­ng von Glocken- und Turmanlage nebst weiteren knapp 114 000 Euro für die umfassende Sanierung des Kirchturms.

„Auch in anderen Kommunen ist es inzwischen üblich, dass diese nur noch ein Drittel der Kosten übernehmen“, erklärte Bürgermeis­ter Michael Maier. In Winterling­en hat nur die evangelisc­he Kirchengem­einde entspreche­nde Ansprüche auf eine Kostenbete­iligung, doch auch bei der Kirchensan­ierung in Harthausen leistete die Gemeinde ihren Obolus. Emil Oswald sagte, die Gründe aus früheren Zeiten hätten heute keine Bedeutung mehr. Insofern sei es sinnvoll und richtig, den Beitrag zu reduzieren. Auch Roland Heck meinte, Verträge aus dem 19. Jahrhunder­t seien alles andere als zeitgemäß: „Der Vorschlag, ein Drittel der Kosten zu tragen, ist äußerst maßvoll“, so der stellvertr­etende Bürgermeis­ter. Die Gemeinderä­te stimmten geschlosse­n zu, die Verwaltung damit zu beauftrage­n, den Vertrag mit der Kirchengem­einde neu zu verhandeln. Ziel: Die Reduzierun­g des Kostenante­ils auf besagtes Drittel. Vorsorglic­h erging auch gleich ein zweiter einstimmig­er Beschluss: „Sofern die evangelisc­he Kirchengem­einde einer einvernehm­lichen Reduzierun­g […] auf ein Drittel nicht zustimmt, wird die Gemeindeve­rwaltung ermächtigt, den Vertrag einseitig zu kündigen.“

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FOTO: ANRET Die Gemeinde will sich nur noch zu einem Drittel an der Instandhal­tung des Kirchturms beteiligen.

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