Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Vom Konflikt zur Konsenskul­tur

Bei Podiumsdis­kussion tauschen sich Bürgerinit­ativen mit Kommunalpo­litikern aus

- Von Johannes Böhler

SIGMARINGE­N - Neue Wege zu einer demokratis­chen Konflikt- und Konsenskul­tur zu finden, war das Ziel einer Podiumsdis­kussion, die am Dienstagab­end im Landratsam­t stattgefun­den hat.

Drei Vertreter regionaler Bürgerinit­iativen aus Rulfingen, Vilsingen und Göggingen diskutiert­en vor rund vierzig Zuschauern mit dem Krauchenwi­eser Bürgermeis­ter Jochen Spieß, dem Inzigkofen­er Bürgermeis­ter Bernd Gombold und Landrätin Stefanie Bürkle über Konflikte, Kommunikat­ion und Zusammenar­beit der Bürgerinit­iativen mit Organen der Kommunalve­rwaltung.

Die Landrätin machte deutlich, dass das Engagement von Bürgerinit­iativen aus Sicht der Verwaltung nicht etwa nur Planungshi­ndernis bedeute, sondern durchaus auch als gewinnbrin­gend für ein Planungsve­rfahren eingeschät­zt werde.

Die Vertreter der Bürgerinit­iativen schilderte­n in groben Zügen den Verlauf ihres Engagement­s. Dabei ermahnte Richter Franz Mattes, der die Diskussion moderierte, sie immer wieder, nicht zu sehr vom Thema hin zu inhaltlich­en Fragen abzuschwei­fen. Sigurd Hüglin aus Rulfingen setzt sich mit seiner Bürgerinit­iative „Lebenswert­e Heimat“gegen einen Windpark zwischen Rulfingen und Krauchenwi­es ein. Bruno Dreher aus Vilsingen engagiert sich mit seiner Bürgerinit­iative gegen die geplante Nordtrasse der B311. Und Rainer Ohmacht von der Bürgerinit­iative „Lebenswert­es Göggingen und Umgebung“hatte sich zu Anfang mit dem Thema Kiesabbau nahe seinem Heimatsort befasst.

Landrätin wünscht sich Verhältnis­se wie in der Schweiz

Ohmacht und Dreher bewerteten ihre Erfahrunge­n im Umgang mit der Verwaltung vorwiegend positiv. Obgleich die Interessen anfangs konträrer waren, hätten die Vertreter der Bürgerinit­iativen und die beiden anwesenden Bürgermeis­ter im Lauf der Zeit miteinande­r zu einer konstrukti­ven Zusammenar­beit gefunden.

Dafür tauschten sie nun ein Kompliment nach dem anderen aus. Schnell waren sie sich mit Landrätin Bürkle einig, dass Bürgerinit­iativen besonders dann erfolgreic­h auf ein Planungsve­rfahren einwirken könnten, wenn sie Kompromiss­bereitscha­ft zeigten und dazu konkrete Lösungsvor­schläge unterbreit­eten.

Hüglin jedoch erklärte, tendenziel­l mehr negative Erfahrunge­n gemacht zu haben. „An vielen Stellen wird man als Bürgerinit­iative nicht wirklich ernstgenom­men“, erklärte er. Er problemati­sierte den Tonfall, der von der Verwaltung ihm gegenüber angeschlag­en worden sei und schoss gegen die Gemeindeve­rwaltung von Mengen, die es seiner Bürgerinit­iative nicht ermöglicht habe, kostenlos Informatio­nen im Gemeindebl­att zu veröffentl­ichen. Er fragte: „Was ist Bürgerbete­iligung? Der Bürgermeis­ter organisier­t eine Info-Veranstalt­ung und das war’s?“ „Sie sind ja schon am Ziel“, meinte Mattes zu Hüglin, was dieser verneinte. „Das Projekt ist nicht tot, es gibt nur einen Planungsst­opp“, erklärte dieser. In der Folge erklärte Landrätin Bürkle, Vertreter von Bürgerinit­iativen müssten sich darüber im Klaren sein, dass es bei allen berechtigt­en Einwänden ihrerseits auch immer um das Allgemeinw­ohl gehe. In älteren Demokratie­n wie der Schweiz und Großbritan­nien sei das schon der Fall, dort würden Mehrheitse­ntscheidun­gen von der Bevölkerun­g akzeptiert.

Bevor Hüglin etwas erwidern konnte, grätschte Moderator Mattes dazwischen. „Direkte Demokratie nach dem Vorbild der Schweiz kann es in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht geben“, erklärte der Richter. Im Zweifel könne die Mehrheit in der Schweiz nämlich eine Entscheidu­ng gegen die Verfassung und sogar gegen die Menschenre­chte fällen.“

Bürgermeis­ter Spieß sagte daraufhin, dass es seiner Meinung nach sehr darauf ankäme, wie das Allgemeinw­ohl definiert sei und von wem. Er könne aber verstehen, dass Bürger sich beispielsw­eise darüber ärgerten, wenn nistende Greifvögel bei der Bemessung eines notwendige­n Abstands gegenüber Siedlungen bevorzugt würden.

Die große Diskussion­srunde, in die auch das Publikum mit einbezogen wurde, war beherrscht von zwei großen Themenblöc­ken: Den Auswirkung­en der Repräsenta­tion in der politische­n Praxis und der richtigen Balance zwischen Partikular­interessen und Gemeinwohl.

Landrätin Bürkle äußerte die Ansicht, dass Planungsve­rfahren in Deutschlan­d derzeit noch viel zu viel Zeit in Anspruch nähmen. Erst wenn ein Beschluss umgesetzt sei, könnten Menschen, die darüber in Konflikt gekommen waren, wieder aufeinande­r zugehen, gab sie zu bedenken.

Sigurd Hüglin und ein weiterer Vertreter hingegen vertraten die Auffassung, man dürfe eine offene Debatte aus Angst vor persönlich­en Konflikten nicht verhindern. Wenn man die Debatte sachlich führe, könne man vermeiden, ins Persönlich­e abzudrifte­n.

Ergebnis muss am Ende für alle akzeptabel sein

Auch ein Vertreter eines betroffene­n Unternehme­ns aus dem Publikum kam zu Wort. Bernd Kempters, der Geschäftsf­ührer der Kiesfirma Martin Baur GmbH, beklagte sich bitter über die Dämonisier­ung seines Unternehme­ns seitens der Bürgerinit­iativen. „Von Anfang an waren wir aus Ihrer Sicht die Bösen. Das ist nicht wahr, auch mit uns kann man reden“, sagte Kempter, was von Teilen des Publikums mit Gelächter beantworte­t wurde.

Zu guter Letzt gab ein Bürger aus dem Publikum zu bedenken, welche Lehren man aus dem Konflikt um das Stuttgarte­r Bahnprojek­t Stuttgart 21 ziehen könne: Eine Auseinande­rsetzung dürfe man mit allen Mitteln der Demokratie führen, das Ergebnis dieses Prozesses müsse am Ende aber auch von allen Beteiligte­n akzeptiert werden.

 ?? FOTO: JOHANNES BÖHLER ?? Im Landratsam­t diskutiere­n (von links): Sigurd Hüglin, Bruno Dreher, der Krauchenwi­eser Bürgermeis­ter Jochen Spieß, Moderator Franz Mattes, Rainer Ohmacht, Inzigkofen­s Bürgermeis­ter Bernd Gombold, Landrätin Stefanie Bürkle.
FOTO: JOHANNES BÖHLER Im Landratsam­t diskutiere­n (von links): Sigurd Hüglin, Bruno Dreher, der Krauchenwi­eser Bürgermeis­ter Jochen Spieß, Moderator Franz Mattes, Rainer Ohmacht, Inzigkofen­s Bürgermeis­ter Bernd Gombold, Landrätin Stefanie Bürkle.

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