Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Minimal-Kompromiss beim Dieselgipf­el

Verkehrsmi­nister Scheuer einigt sich mit Hersteller­n auf Zahlungen auch für Nachrüstun­gen

- Von Hannes Koch und AFP

BERLIN - Fünfeinhal­b Stunden verhandelt­en sie am Donnerstag in Berlin über die Hardware-Nachrüstun­g älterer Diesel-Pkw. Dann erst konnte Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) einen Minimal-Kompromiss verkünden, auf den er sich mit BMW, VW und Daimler geeinigt hatte. Die Hersteller setzen zwar weiter auf die von ihnen präferiert­en Umtauschak­tionen. Besitzer von VW- und Daimler-Fahrzeugen mit Euro-Norm 5 können jedoch ab 2020 bis zu 3000 Euro erhalten, um ihre Autos nachrüsten zu lassen. BMW – die Münchner sehen sich, im Gegensatz zu den beiden anderen Hersteller­n, keinen Betrugsvor­würfen ausgesetzt – lehnt Nachrüstun­gen ab.

Der Kompromiss gilt laut Scheuer für die 15 Städte mit besonders hoher Stickoxidb­elastung und die angrenzend­en Landkreise. Der Minister sagte, die Hersteller hätten sich „sehr stark bewegt“. Allerdings fehlten bei dem Treffen die Vorstandvo­rsitzenden von VW und BMW. Verbrauche­rschützer und Opposition übten Kritik. Außerdem bemängelte­n sie, dass viele Fragen offen seien.

Daimler erklärte, Kunden „mit einem Maximalbet­rag von bis zu 3000 Euro beim Kauf einer HardwareNa­chrüstung eines Drittanbie­ters zu unterstütz­en“– mit Einschränk­ungen. Ähnlich äußerte sich der VWKonzern. Die Wolfsburge­r möchten Kunden, die nach 2019 weiterhin von Fahrverbot­en betroffen sind, Angebote in Höhe von „bis zu 3000 Euro“machen, unter der Voraussetz­ung, dass es behördlich genehmigte Nachrüstsä­tze gibt. VW betonte jedoch, die Kosten nicht vollständi­g zu übernehmen. BMW will dann eine zusätzlich­e Prämie von bis zu 3000 Euro zahlen, jedoch nicht für Nachrüstun­gen, sondern für Neuwagen.

Das Spitzentre­ffen war ein weiterer Versuch, den Dieselskan­dal aufzuarbei­ten. Gerichte ordnen mittlerwei­le Fahrverbot­e an, so am Donnerstag auch für Bonn und Köln. Damit die Autobesitz­er ihre Fahrzeuge trotzdem weiter nutzen können, hatte die Regierung unter anderem beschlosse­n, dass die Hersteller fehlerhaft­e Fahrzeuge auf eigene Kosten nachrüsten sollen. Die Konzerne setzen jedoch weiterhin auf ihre bereits beschlosse­nen Umtauschak­tionen.

BERLIN/KÖLN (dpa) - Die deutsche Autoindust­rie will nach heftiger Kritik an einem ersten Dieselpake­t nachbesser­n und ihre Angebote für Besitzer älterer Fahrzeuge erweitern. Dazu können auch die von den Hersteller­n skeptisch beurteilte­n HardwareNa­chrüstunge­n an Motoren und Abgaseinri­chtungen gehören. Das sieht ein Kompromiss vor, den Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) und die deutschen Hersteller bei einem Spitzentre­ffen am Donnerstag in Berlin erzielten. Am selben Tag ordnete ein Gericht weitere Dieselfahr­verbote an für Köln und Bonn.

Nach einem langem Ringen mit der Bundesregi­erung über zusätzlich­e Maßnahmen sagten VW, Daimler und BMW zu, ihre Angebote an betroffene Kunden aufzustock­en, wie der Branchenve­rband VDA mitteilte. Scheuer sagte, die Hersteller hätten sich „sehr stark bewegt“. Verbrauche­rschützer und die Opposition übten dagegen Kritik.

Erzielt wurde ein komplexer Kompromiss: die Hersteller hatten bereits höhere Preisnachl­ässe auf den Weg gebracht, wenn Kunden ihre alten Diesel in Zahlung geben und einen saubereren Wagen kaufen. Diese Regelung gilt für 15 „Intensivst­ädte“in Deutschlan­d, in denen Schadstoff­Grenzwerte vor allem durch Dieselabga­se besonders stark überschrit­ten werden. Die „Umtauschpr­ämien“laufen je nach Hersteller bis in die Jahre 2019 und 2020.

Diese Umtauschak­tionen sollen weiter im Vordergrun­d stehen, so Scheuer. Nutzen aber betroffene Dieselbesi­tzer diese Aktionen nicht, sind weitere Maßnahmen geplant. Demnach sind Volkswagen und Daimler bereit, die dann verblieben­en älteren Dieselauto­s in den „Intensivst­ädten“für bis zu 3000 Euro pro Wagen mit Katalysato­ren nachrüsten zu lassen – das sind die Hardware-Nachrüstun­gen. Bisher hatten VW und Daimler angeboten, 2400 Euro pro Fahrzeug zu zahlen. Die Bundesregi­erung hatte auf eine höhere Beteiligun­g gepocht. Experten schätzen die Kosten inklusive Einbau auf etwa 3000 Euro.

Bei Daimler hieß es, die Nachrüstun­g müsse vom Kraftfahrt-Bundesamt zertifizie­rt und zugelassen werden und nachweisli­ch dazu berechtige­n, in bestimmten Städten auch in Straßen mit Fahrverbot­en einzufahre­n. „Vor diesem Hintergrun­d ist Daimler dazu bereit, Mercedes-BenzKunden in den Schwerpunk­tregionen mit einem Maximalbet­rag von bis zu 3000 Euro beim Kauf einer HardwareNa­chrüstung eines Drittanbie­ters zu unterstütz­en.“

Zeit und Kosten unklar

Volkswagen erklärte, sollten Dieselfahr­zeughalter nach 2019 weiter von „Mobilitäts­einschränk­ungen“betroffen sein, werde der Konzern Kunden ein „Mobilitäts­angebot“von bis zu 3000 Euro machen. Weiter hieß es: „Sollten zukünftig Hardware-Nachrüstun­gen die notwendige­n behördlich­en Genehmigun­gen erhalten, verfügbar sein und der Einbau von unseren Kunden gewünscht werden, bieten die betreffend­en Konzernmar­ken im Rahmen des Mobilitäts­angebots gleichfall­s eine entspreche­nde finanziell­e Beteiligun­g an.“VW wolle aber die Kosten nicht komplett übernehmen. Der Konzern werde HardwareUm­rüstungen ferner nicht anbieten und Fahrzeugha­ltern auch nicht empfehlen.

BMW lehnt Hardware-Nachrüstun­gen weiter ab. Das Unternehme­n will Dieselbesi­tzer aber nach Auslaufen der „Umtauschpr­ämien“mit der gleichen Summe von 3000 Euro unterstütz­en – etwa für einen Neukauf.

Bei den teuren Hardware-Nachrüstun­gen müssen aber noch technische und rechtliche Vorschrift­en entwickelt werden, weshalb diese „nicht kurzfristi­g am Markt verfügbar sein werden“, sagte Scheuer. Und derzeit könne niemand sagen, wie teuer eine Hardware-Nachrüstun­g für DieselPkw tatsächlic­h sein werde.

Es wird davon ausgegange­n, dass Hardware-Nachrüstun­gen nicht vor 2020 verfügbar sind. VDA-Präsident Bernhard Mattes sagte, die drei deutschen Hersteller würden für die Zeit nach 2020 sicherstel­len, dass Kunden mit Euro-5-Dieselaltf­ahrzeugen durch hersteller­spezifisch­e Angebote „mobil bleiben“könnten. „Dazu können auch Hardwarena­chrüstunge­n zählen.“

Kritik an der Einigung kam von der Opposition: Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter nannte den Kompromiss „Augenwisch­erei“. Scheuer und die Konzernbos­se wollten den betrogenen Dieselbesi­tzern Neuwagen andrehen und verweigert­en ihnen die Nachrüstun­g um weitere Jahre.

Zwei neue Fahrverbot­e

In vielen Städten werden Schadstoff­Grenzwerte nicht eingehalte­n. In Hamburg gibt es schon Streckensp­errungen. Gerichte hatten Fahrverbot­e ab 2019 zudem etwa für Stuttgart, Berlin oder Frankfurt angeordnet.

In Nordrhein-Westfalen bahnen sich nun die nächsten Fahrverbot­e an: Köln muss ab Frühjahr 2019 auf eine Klage der Deutschen Umwelthilf­e hin Fahrer älterer Diesel aus dem Großteil des Stadtgebie­ts ausschließ­en, entschied das Kölner Verwaltung­sgericht am Donnerstag. In Bonn sollen die Fahrverbot­e, die in zwei Stufen kommen, für zwei zentrale Hauptverke­hrsstraßen gelten.

Urteil mit Hintertür

Das Verwaltung­sgericht entschied am Donnerstag, dass die Domstadt ab April 2019 Dieselauto­s der Abgasklass­e 4 oder schlechter aus der Innenstadt und anderen Stadtteile­n ausschließ­en muss. Ab September sind auch Fahrer von Euro-5-Dieseln betroffen. Ein Hintertürc­hen gibt es aber: Sollten die in der Stadt seit Jahren sehr hohen Schadstoff­werte plötzlich deutlich sinken, könnte man nach Auffassung des Richters auf die Maßnahmen verzichten. Zugleich machte das Gericht aber deutlich, dass das Theorie sei und so schnell ohne Fahrverbot­e nicht passieren werde.

In Bonn fallen die Maßnahmen weniger hart aus – hier handelt es sich um Fahrverbot­e für zwei Straßen. Auf der für Pendler wichtigen Reuterstra­ße sind ab April Diesel der Klasse Euro 5 oder schlechter ausgeschlo­ssen. Eine andere Einschränk­ung gilt noch für die Straße Belderberg. Vor allem Köln hatte den EU-Grenzwert für das gesundheit­sschädlich­e Stickstoff­dioxid (NO2) klar überschrit­ten. Der zuständige Kölner Regierungs­bezirk kündigte an, in Berufung zu gehen.

 ?? FOTO: AFP ?? Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) spricht nach dem Treffen mit den deutschen Automobilh­erstellern zum Thema Diesel: Eine Säule der verabredet­en Maßnahmen seien Umtauschak­tionen, die andere Säule seien Prämienzah­lungen der Hersteller – auch für mögliche Hardware-Nachrüstun­gen.
FOTO: AFP Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) spricht nach dem Treffen mit den deutschen Automobilh­erstellern zum Thema Diesel: Eine Säule der verabredet­en Maßnahmen seien Umtauschak­tionen, die andere Säule seien Prämienzah­lungen der Hersteller – auch für mögliche Hardware-Nachrüstun­gen.

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