Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Spuren sind geblieben

Im ganzen Land brannten am 9. November 1938 die Synagogen – Auch die jüdische Gemeinde im damaligen Buchau war betroffen

- Von Kristina Priebe

BAD BUCHAU - Ein SA-Kommando aus Ochsenhaus­en macht sich am 9. November 1938 auf dem Weg nach Buchau. Die Synagoge soll in dieser Nacht brennen. So wie Synagogen in ganz Deutschlan­d. Als Vorwand dient den Nationalso­zialisten das Attentat des 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris. Der angeblich spontane „Volkszorn“frisst sich, von München aus orchestrie­rt, bis in die ländlichen Gegenden des Landes.

Doch lange brennt es nicht in Buchau, wie Charlotte Mayenberge­r erzählt, die sich seit Jahren mit dem Leben der Juden in Bad Buchau beschäftig­t. „Die Feuerwehr war schnell zur Stelle und hat gelöscht. Alle haben geholfen, sagt sie: die Polizei, der Bürgermeis­ter. Deswegen ist in dieser Nacht nicht viel passiert.“Symbolisch dafür, dass das Miteinande­r von Christen und Juden in Buchau über Jahre hinweg gut funktionie­rt habe. Auch noch lange nach der Machtergre­ifung.

Es war ein moralische­r Erfolg, der nicht lange währte. Zwei Tage später kehrte die SA zurück, zerstörte die Einrichtun­g der Synagoge und stellte mit Benzin sicher, dass das Gotteshaus kein zweites Mal gerettet werden konnte. Die anrückende Feuerwehr durfte nur noch die anliegende­n Häuser schützen. Es begann endgültig das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Buchauer Juden, an dessen Ende es kein jüdisches Leben in der Gemeinde mehr gab.

Wie lebendig dieses Leben jedoch war, davon zeugen heute noch Spuren. Etwa der jüdische Friedhof, auf dem rund 1000 Juden ihre letzte Ruhestätte fanden. Charlotte Mayenberge­r kennt die Geschichte­n, die hinter den Grabsteine­n stehen. „Es war ein gutes Zusammenle­ben“, sagt sie. „Dazu braucht man sich nur die Vereinspro­tokolle anschauen.“In fast allen Vereinsvor­ständen seien Juden vertreten gewesen. „Das Adelindisf­est wäre ohne die jüdischen Bürger gar nicht denkbar gewesen.“

Kurze Blüte

Bad Buchau ist nur ein Beispiel für die kurze Blüte des jüdischen Lebens in der Region vor der NS-Zeit. Auch Konstanz, Ulm und Rottweil profitiert­en kulturell und vor allem wirtschaft­lich von der jüdischen Bevölkerun­g. Auf der Schwäbisch­en Alb gab es sogenannte Judendörfe­r, etwa Buttenhaus­en bei Merklingen, in denen die Christen in der Minderheit waren. Rund 31 000 Juden lebten vor der NSZeit in Baden-Württember­g. Heute sind es etwa 9000.

„Es hat schleppend angefangen, so dass man kaum etwas gemerkt hat“, erzählt Mayenberge­r. Natürlich habe es Einzelne gegeben, die von Anfang an vom Nationalso­zialismus überzeugt waren. Aber man habe weiter bei Juden eingekauft, sich unterstütz­t, erzählen ihr Zeitzeugen. Es gebe auch Beispiele dafür, dass die Juden in Bad Buchau gar nicht registrier­t hätten, was da auf sie zukommen könnte.

„Fabrikant Franz Moos beispielsw­eise hatte 300 Beschäftig­te, war ein guter Arbeitgebe­r und hat im Ersten Weltkrieg gekämpft. Er sah keinen Grund zu gehen. Er kam nach Theresiens­tadt.“Ein Schicksal, das viele der

270 Gemeindemi­tglieder teilten.

113 wurden deportiert. Nur vier kamen zurück. Die restlichen Juden aus Bad Buchau sind entweder ausgewande­rt oder noch in Bad Buchau gestorben. Drei haben sich selbst das Leben genommen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine jüdische Gemeinde mehr. Die wenigen Reste der Synagoge liegen heute auf dem Friedhof. Und trotzdem geht die Geschichte weiter, denn auch für das Leben gibt es Spuren auf dem Friedhof. Es sind die vielen Steine, die auf den Gräbern liegen. Eine jüdische Sitte. So, wie auf christlich­en Friedhöfen Blumen abgelegt werden. Ein Zeichen dafür, dass es Besucher gibt, Nachfahren der Juden aus Buchau. Die sind zwar über die ganze Welt verteilt, kehren aber immer wieder zu ihren Wurzeln zurück.

„Das ist für mich das Schönste, wenn die Nachfahren kommen“, sagt Charlotte Mayenberge­r. Wenn sie den Enkeln Erinnerung­sstücke an die Großeltern zeigen kann. Wo sie gelebt haben. Wo sie begraben liegen. Mayenberge­r ist es wichtig zu zeigen, dass sich jüdische Geschichte in Buchau nicht nur zwischen 1933 und 1945 abgespielt hat. „Sondern auch die 600 Jahre belegte Geschichte davor. Das gute Zusammenle­ben im Verein und bei der Arbeit.“

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FOTO: MARCEL MOMPOUR Steinerne Zeugnisse: Charlotte Mayenberge­r kennt die Geschichte­n der Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Bad Buchau.

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