Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Laser statt Schredder

Neue Methode erkennt männliche Küken vor dem Schlüpfen – Erste Eier im Handel

- Von Erich Reimann

BERLIN (dpa) - Egal, ob es um die Tötung von männlicher Küken am ersten Lebenstag oder um die betäubungs­lose Kastration von Ferkeln geht: Der Umgang mit Schweinen, Rindern und Hühnern in der Massentier­haltung verdirbt immer mehr Verbrauche­rn den Appetit. Das spüren auch die deutschen Lebensmitt­elhändler. Sie versuchen – werbeträch­tig – Abhilfe zu schaffen und lassen dabei die Politik oft alt aussehen.

Das jüngste Beispiel: Rewe. Der Handelsrie­se hat sich aktiv in den Kampf gegen das millionenf­ache Kükentöten eingeschal­tet. Der Hintergrun­d: Jedes Jahr werden in Deutschlan­d rund 45 Millionen männliche Küken am ersten Lebenstag im besten Fall vergast – im schlimmste­n geschredde­rt. Denn ihre Aufzucht ist unwirtscha­ftlich. Sie legen keine Eier und setzen nur schlecht Fleisch an.

Um die Massentötu­ng zu beenden, gründete Rewe zusammen mit holländisc­hen Bruttechni­k-Experten die Gemeinscha­ftsfirma Seleggt. Das Ziel: Eine an der Universitä­t Leipzig entwickelt­e Technik, um die Geschlecht­sbestimmun­g schon im Brutei marktreif zu machen. Mit einem Laser wird dabei ein winziges Loch in die Schale gebrannt. So kann dem Ei Flüssigkei­t entnommen und auf Geschlecht­shormone getestet werden. Ausgebrüte­t werden nur noch Eier, aus denen Hennen schlüpfen. Die übrigen werden zu Tierfutter verarbeite­t – zu einem Zeitpunkt, an dem die Hühnerembr­yos Rewe zufolge noch kein Schmerzemp­finden haben.

Am Donnerstag brachte Rewe in Berlin die ersten „Eier ohne Kükentötun­g“auf den Markt. Bis Ende kommenden Jahres sollen sie in allen deutschen Rewe-Läden und den Filialen des konzerneig­enen Discounter­s Penny angeboten werden. Der Sechserpac­k koste zehn Cent mehr als ein Sechsepack Freilandei­er, kündigte Rewe an. „Unser Ziel ist es das Kükentöten in Deutschlan­d völlig abzuschaff­en“, betonte der für das Projekt zuständige Rewe-Manager und Seleggt-Geschäftsf­ührer Ludger Breloh. Das Unternehme­n wolle die Technik deshalb „den Brütereien kostenneut­ral zur Verfügung stellen“. Indes besteht bei der Technik noch hier und da Verbesseru­ngsbedarf, um die Methode serienreif zu machen. Deshalb werde es wohl noch „einige Jahre“dauern, bis das Kükentöten wirklich Vergangenh­eit sei.

Zunächst freiwillig

„Sobald allen das Verfahren zur Verfügung steht und alle Brütereien mit der Methode arbeiten, gibt es keinen Grund und keine Rechtferti­gung mehr für das Kükentöten“, betonte Agrarminis­terin Julia Klöckner (CDU). Es stehe aber noch nicht fest, ob die Betriebe zur Nutzung der neuen Methode verpflicht­et würden. Zunächst will die Ministerin auf eine „freiwillig­e Verpflicht­ung“setzen.

Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um hat die Entwicklun­g neuer Technologi­en zur Früherkenn­ung des Geschlecht­s von Küken in den vergangene­n Jahren mit Millionen gefördert. In anderen Fällen warten die Handelsrie­sen längst nicht mehr auf Vorgaben aus Berlin oder Brüssel. Die Bundesregi­erung etwa verschob erst vor wenigen Tagen das ursprüngli­ch für Januar geplante Verbot der Kastration von Ferkeln ohne Betäubung um zwei Jahre. Der schmerzhaf­te Eingriff soll vermeiden, dass Fleisch von Ebern einen strengen Geruch oder Beigeschma­ck bekommt. Ohne eine Fristverlä­ngerung drohten kleinen Höfen unlösbare Probleme, sagte die Unionspoli­tikerin Gitta Connemann.

Doch viele Handelsket­ten sind nicht so geduldig. Lidl akzeptiert nach eigenen Angaben seit 2014 kein Frischflei­sch von betäubungs­los kastrierte­n Tieren mehr. Aldi duldet die Praxis bei seinen Lieferante­n seit 2017 mit wenigen Ausnahmen nicht mehr. Auch bei Rewe hat nach Unternehme­nsangaben „die Mehrheit der Zulieferbe­triebe“Wege gefunden, auf die betäubungs­lose Kastration der Tiere zu verzichten.

Und auch bei der Einführung von Haltungske­nnzeichnun­gen preschen die Handelsket­ten voran. Während Berlin zögert, begann Lidl im Frühjahr bei Frischflei­sch und Geflügel mit der Einführung einer vierstufig­en Kennzeichn­ung, die auf den ersten Blick Auskunft über die Haltungsbe­dingungen der Tiere gibt. Der Kunde hat so die Wahl, ob er für das Tierwohl etwas tiefer in die Tasche greift oder nicht. Wenig später folgten Aldi, Netto, Penny, Kaufland und im Oktober Rewe.

Die Handelsket­ten haben gute Gründe für ihren Einsatz. „Die Verbrauche­r erwarten mehr Engagement des Einzelhand­els beim Thema Tierschutz. Denn sie wollen beim Einkauf kein schlechtes Gewissen haben“, erklärt der Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaft­shochschul­e WHU.

Lob und Kritik der Tierschütz­er

Bei Tierschütz­ern finden die Bemühungen der großen Einzelhand­elsketten durchaus Anerkennun­g. „Wir sind natürlich froh, wenn einzelne Handelsket­ten die Initiative ergreifen und für mehr Tierschutz bei ihren Lieferante­n sorgen“, betont Claudia Salzborn vom Deutschen Tierschutz­bund. Dennoch schränkt die Agrarexper­tin ein: „Grundsätzl­ich wären uns gesetzlich­e Regelungen lieber, an die sich dann wirklich alle halten müssen.“

Die Tierschütz­er stört ohnehin weiter die Preispolit­ik der Händler. „Tierschutz kostet Geld. Die Händler müssen hier wegkommen von ihrer Billigment­alität und dem Versuch, die Preise immer weiter zu drücken“, fordert Salzborn. „Den Preis für Billigange­bote zahlt in der Landwirtsc­haft am Ende immer das Tier.“

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FOTO: IMAGO Welches dieser vier Hühnerküke­n männlich oder weiblich ist, ist die entscheide­nde Frage: Bislang ließ sich das Geschlecht erst nach dem Schlüpfen bestimmen. Da sich die Aufzucht männlicher Küken nicht lohnt, werden sie millionenf­ach vergast oder geschredde­rt. Das kann jetzt verhindert werden – dank einer neuen Technik.

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