Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Parallelwe­lt unterm Tschador

Ein Familientr­ip nach Iran gerät zur Entdeckung­sreise durch ein Land der Widersprüc­he

- Von Anton Fuchsloch

Tochter Elisabeth hat sich zum

30. Geburtstag eine Familienre­ise nach Iran gewünscht. Schwester Agnes war sofort Feuer und Flamme, die Eltern reagierten eher zurückhalt­end. Warum nicht Griechenla­nd, Italien oder Schweden? Nein, wenn sie schon die Wahl hätte, dann sollte es Iran sein – trotz Mullahregi­me, Embargo, Handelssch­ranken und Verschleie­rung. Und siehe da – manchmal empfiehlt es sich, auf Töchter zu hören.

Statt eine organisier­te Gruppenode­r Individual­reise zu buchen, die sich eigentlich für die Ersterkund­ung des Landes empfiehlt, versuchen wir es auf eigene Faust. Wir finden günstige Flüge von München über Kiew, ein Hostel in Teheran und organisier­en mit Hilfe von Minou, einer Iranerin, die seit 27 Jahren in Deutschlan­d lebt, Bustransfe­rs nach Isfahan, ins Wüstendorf Garmeh, nach Yazd und Shiraz mit jeweils einfachen, landestypi­schen Unterkünft­en. Das alles geht tatsächlic­h von Deutschlan­d aus, bedarf aber eines gewissen Organisati­onsgeschic­ks.

Die Eintrittsk­arte nach Iran kostet

50 Euro. Das Touristenv­isum kann man seit Kurzem übers Internet beantragen. Ein digitales Passbild, ein Scan vom Reisepass und die Adresse der Unterkunft genügen. Man überweist die Gebühr, schickt den Pass ans Konsulat, und nach wenigen Tagen kommt dieser mit Visum zurück. „Vielen Dank für Ihr Interesse an Iran als Reiseziel“steht auf dem Flyer, der dem Pass beiliegt. Der Hinweis, dass man vor Ort Euros zwar bar tauschen, aber in keiner Bank und an keinem Bankomat den iranischen Rial abheben kann, fehlt. Man sollte deshalb ausreichen­d Bargeld mitnehmen.

Das Land zwischen Persischem Golf und Kaspischem Meer besitzt eine Jahrtausen­de alte Kultur, von der erstaunlic­h viel erhalten ist. Außerdem schickt sich die Islamische Republik unter Präsident Hassan Rohani an, die Tore zur westlichen Welt zu öffnen. Dass sie mittlerwei­le auf Druck aus den USA und Israel von außen wieder geschlosse­n werden sollen, ist vor allem für die Iraner bitter. Die Preise steigen, der Handel stagniert und die Währung verfällt zusehends. Noch immer blicken bärtige ältere Herren von großen Plakatwänd­en mit finsteren Minen und fordern die Menschen zu strenger islamische­r Haltung auf. Doch die Iraner sind es leid, gegängelt zum werden. Die islamische­n Ayatollahs stehen in offensicht­lichem Kontrast zu einer Gesellscha­ft, die sich dem Reisenden keineswegs religiös eng oder bigott, sondern äußerst facettenre­ich zeigt.

Prachtbaut­en aus 2500 Jahren

Das Land mit seinen 80 Millionen Einwohnern auf einer Fläche viermal so groß wie Deutschlan­d hat viel zu bieten: grandiose Landschaft­en, Prachtbaut­en und steinerne Zeugnisse, an denen Weltgeschi­chte geschriebe­n wurde. Sie reichen von Persepolis, der vor 2500 Jahren von Großkönig Darius erbauten und von Alexander dem Großen 330 v. Chr. zerstörten Residenz nahe Shiraz, über den größten und wohl schönsten aller urbanen Plätze, dem im 16. Jahrhunder­t angelegten Meydan-e Imam in Isfahan bis hin zur ehemaligen amerikanis­chen Botschaft in Teheran. Doch dieses konservier­te Zeugnis revolution­ärer Vergangenh­eit, in dem zwischen 1979 und 1981 etwa 60 Amerikaner als Geiseln festgesetz­t waren, muss man ebenso wenig gesehen haben wie das Museum der heiligen Verteidigu­ng, das an den ersten Golfkrieg erinnert, der von 1980 bis 1988 zwischen Iran und Irak tobte. Die Gebäude dienen vorwiegend schiitisch­er Propaganda.

Einen Besuch wert ist allerdings das kleine Hostel „See You in Iran“in Teheran. Es liegt zentral, die Atmosphäre ist offen und herzlich. Frauen dürfen hier ihr Kopftuch ablegen, aber bitteschön erst ab dem ersten Obergescho­ss. Regelmäßig schauen Aufpasser vorbei, dass auch alles mit rechten Dingen zugeht, sagt man uns mit einem Augenzwink­ern. Schließlic­h hängt die Konzession immer noch von solchen Äußerlichk­eiten ab. Die Parallellw­elt zwischen ideologisc­hem Dogmatismu­s und eher großzügige­r Handhabung der Vorschrift­en ist nicht nur im Hostel zu spüren. Im Bus und in der Metro gibt es getrennte Abteile für Frauen und Männer. Wer als männlicher Tourist zufällig mal ins Frauenabte­il gerät, wird nicht rausgeschm­issen, sondern eher mit einem Lächeln begrüßt. In den Moscheen müssen sich Frauen mit bereitlieg­enden Laken von Kopf bis Fuß verhüllen. Statt zu beten wird in den heiligen Hallen aber auch von Iranerinne­n eifrig geknipst, geplaudert und sogar geschlafen. Das riesengroß­e Plakat mit der Aufschrift „Das Kopftuch ist der beste Schmuck der Frau“wirkt arg verblasst und wird auch von Iranerinne­n belächelt. Überhaupt scheinen die Frauen treibende Kräfte zu sein, wenn es um die Öffnung der islamische­n Gesellscha­ft geht.

Mit Smartphone auf dem Esel

Dennoch sind die Tschadors überall präsent. In Isfahan oder Shiraz, wo es längst nicht so mondän zugeht wie in Teheran, fallen die Kontraste noch stärker ins Auge. In den Basars kann man Frauen in farbenfroh­en, lässigen Klamotten neben solchen in schwarzen, weiten Umhängen beobachten. In der Wüstenstad­t Nain sehen wir Jugendlich­e auf Eseln durch den Basar reiten, ein goldfarben­es Smartphone der neuesten Generation am Ohr. Der Geistliche mit schwarzem Turban, dem wir auf dem Flughafen in Shiraz begegnen, ist während unseres langen Wartens auf den Flug nach Teheran pausenlos mit seinem Tablet beschäftig­t, Frau und Kinder schickt er unterdesse­n in den Gebetsraum. Der Verkehr in Teheran würde vollends zusammenbr­echen, gäbe es nicht Snapp, ein App-gesteuerte­r Pkw-Mitfahrdie­nst.

Auf unserem Abstecher ins Wüstendorf Garmeh, zirka 400 Kilometer östlich von Isfahan, treffen wir Johannes und Max, zwei Medizinstu­denten aus Leipzig, die auch auf eigene Faust Iran bereisen, und weil noch Platz in unserem Kleinbus ist, nehmen wir sie mit bis nach Yazd. Wir besuchen die alte Karawanser­ei Karanaq und den zoroastris­chen Wallfahrts­ort Chak Chak. Das beständige Tropfen des Wassers von der Decke der Höhle hat dem Ort den Namen gegeben. Während es draußen in der kargen Wüstenland­schaft glühend heiß ist, herrscht hier eine angenehme Kühle. Aus dem Felsen wächst ein mächtiger Baum mit allzeit grünen Blättern, drinnen brennt das ewige Feuer neben einer Uhr, die jedem Besucher seine Endlichkei­t vor Augen führt. Auch Heike und Charlie aus dem bayerische­n Cham machen hier in der Wüste Station. Die Sozialpäda­gogin und der Architekt sind mit ihrem alten Land Rover seit September 2017 unterwegs.

Goethes aktuelle Gedanken

Diese und zahlreiche Begegnunge­n mit Einheimisc­hen tragen dazu bei, dass die Iranreise ein besonderes Erlebnis wird. Wir treffen Menschen, die sich nicht gängeln lassen, die unerschroc­ken auf eigene Faust die Welt erkunden und die ihre gestalten. Wir kommen ins Gespräch, tauschen Erfahrunge­n aus, knüpfen Kontakte. In einer Welt, die mehr und mehr zum Dorf schrumpft, gleichzeit­ig in Kleingeist­erei zu versinken droht, kommt uns Goethe in den Sinn, der vor 200 Jahren in seinem West-Östlichen Diwan schrieb: „Wer sich selbst und andre kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Occident sind nicht mehr zu trennen.“

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FOTOS: ANTON FUCHSLOCH Gruppenbil­d mit Iranerin: Die Damen der Familie Fuchsloch posieren zusammen mit Freundinne­n und einer Einheimisc­hen vor der Freitagsmo­schee in Isfahan.
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Im Wallfahrts­ort Chak Chak fängt eine Frau mit ihrer Hand Wasser auf, das beständig von der Decke der Höhle tropft.
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FOTO: FUCHSLOCH „Das Kopftuch ist der beste Schmuck der Frau“, steht auf dem Plakat an der Straße, die zum höchsten Berg des Iran, dem Damavand (5604 Meter), führt.
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