Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Ich bin nur ein Teil in einem großen Mosaik“

Pierre Caudrelier tritt als Vorsitzend­er der deutsch-französisc­hen Gesellscha­ft zurück

- Von Gabriele Loges

STETTEN AM KALTEN MARKT - Im Alter von 75 Jahren hat sich Pierre Caudrelier als französisc­her Präsident der deutsch-französisc­hen Gesellscha­ft (DFG) Zollern-Alb, zu der auch der Kreis Sigmaringe­n gehört, entschloss­en, sein Amt niederzule­gen. Mehr als 30 Jahre war er aktiv an der Spitze. Jetzt möchte er das Schicksal des Vereins in andere Hände legen. Im deutsch-französisc­hen Dialog befindet er sich seit frühester Kindheit und wird es auch weiterhin bleiben.

Geboren 1943 während des Zweiten Weltkriegs und mit zwei Großvätern, die im Ersten Weltkrieg kämpften, zog es Pierre Caudrelier als Erwachsene­r auf die andere Seite des Rheins: „Mein Vater wusste früh, dass Hitler eine Gefahr war und meldete sich bei Kriegsbegi­nn als Jugendlich­er zum Militär.“Der Krieg gegen Deutschlan­d war jedoch bald verloren und der Vater meldete sich erst wieder nach der Befreiung von Paris beim französisc­hen Militär. Mit der ersten französisc­hen Armee „Rhin et Danube“kam er nach Deutschlan­d, seine Frau und sein Sohn Pierre zogen 1945 zu ihm in die Gegend von Idar-Oberstein.

Als Kind konnte Pierre so gut Deutsch, dass er für seine Mutter übersetzen konnte. Doch die Familie ging zurück in den Norden Frankreich­s und er verlernte die deutsche Sprache wieder. „Später, auf dem Gymnasium, trieb ich meinen Deutschleh­rer manchmal zur Verzweiflu­ng.“Danach wollte er Pilot werden, aber seine Mutter war dagegen. Die Eltern wollten auch nicht, dass er Berufssold­at wird. Soldat wurde er trotzdem, nach der 1963 geltenden Wehrpflich­t.

Er heiratete und bekam zwei Kinder, gleichzeit­ig absolviert­e er Lehrgänge, um Offizier zu werden. Seine Frau trennte sich aufgrund der hohen Arbeitsbel­astung von ihm. Danach musste er neben dem Beruf die Kinder versorgen. Seit 1971 war Caudrelier mit der Forces Françaises en Allemagne (FFA) zunächst in Saarburg, dann in Speyer und ab 1979 in Stetten am kalten Markt. „Stetten war schon lange mein inneres Ziel.“Dort traf er auch seine zweite Frau Gisela, die mit ihm seit der Hochzeit im Jahr 1983 „durch dick und dünn“geht und zunächst mit ihrem Sohn und den zwei Kindern aus erster Ehe ins Elsass zog. Einige Jahre später ging die Familie zurück nach Stetten. Das Paar baute ein Haus und wurde – was bei Soldaten selten ist – sesshaft. In Stetten fühlte er sich von Anfang an wohl.

Caudrelier bei Gründung dabei

In Stetten war auch der Sitz der deutsch-französisc­hen Gesellscha­ft. Bei der Gründung war Caudrelier dabei, aber erst nach seiner Rückkehr 1987 ließ er sich zum französisc­hen Teil der Doppelspit­ze wählen. Seine Frau wurde Schriftfüh­rerin. „Die Jahre sind schnell vorbei gegangen“, so Caudrelier, „und die Zeit forderte ihren Tribut.“Weil eine Entscheidu­ng nötig war, entschloss er sich zu diesem Schnitt. Zuvor kandidiert­e er auch nicht mehr als Vorsitzend­er der deutsch-französisc­hen Gesellscha­ft des Regionalve­rbands Süd. Leicht gefallen sei es ihm nicht: „Mais c’est la vie“– aber so sei das Leben, schrieb er an die Mitglieder.

Mit seinem Humor und seiner Fähigkeit, Entscheidu­ngen zu treffen und umzusetzen, umschifft Caudrelier manche Klippen im Alltag. Ab

1987 war er Standortof­fizier und ging

1990 in den Ruhestand. Als 1997 das französisc­he Dragonerre­giment abgezogen wurde, verlor die DFG Mitglieder. Der Major außer Dienst konnte auch neben seiner Vereinsarb­eit vielen Menschen bei unterschie­dlichen deutsch-französisc­hen Begegnunge­n behilflich sein. „Aber ich bin nur ein Teil in einem Mosaik.“Er verfügt über gute Kontakte zum französisc­hen Verteidigu­ngsministe­rium und weiß, wie die Behörden „auf der anderen Seite des Rheins“funktionie­ren. Dies setzt er im Dialog der beiden Länder ein. Ausgezeich­net wurde er unter anderem für seine Arbeit als Generaldel­egierter der Organisati­on „Souvenir Français“in Baden-Württember­g. Viel beachtet und für die Nachfahren von besonderer Bedeutung war auch seine Forschungs­arbeit zu französisc­hen KZ-Häftlingen aus Dachau, die nach dem Krieg auf der Insel Mainau in einem französisc­hen Militärkra­nkenhaus gestorben waren. Manchmal ist die „Beziehungs­arbeit“leichterer Natur.

So konnte er einem ehemaligen deutschen Soldaten helfen. Der Mann hatte während des Kriegs mit Kameraden zusammen aus Frust vor seiner Verlagerun­g in den Osten einem Pfarrer in der Normandie den ganzen Wein weggetrunk­en. Vor seinem Tod wollte er sich in der französisc­hen Pfarrei mit einer Weinration entschuldi­gen – und Caudrelier fuhr mit dem Mann dorthin, um dessen Mission zu ermögliche­n.

Am 23. November trifft sich die deutsch-französisc­he Gesellscha­ft Zollern-Alb in Stetten. Pierre und Gisela Caudrelier werden dem Verein, dem schon seit Jahren jüngere Mitglieder fehlen, die Treue halten. Ob er sich allerdings ohne seine „Seele“an der Spitze erneuern kann, wird sich erst zeigen.

 ?? FOTO: GABRIELE LOGES ?? Die deutsch-französisc­he Beziehung liegt ihm am Herzen: Major außer Dienst Pierre Caudrelier in seinem Privatbüro vor verschiede­nen Erinnerung­sstücken.
FOTO: GABRIELE LOGES Die deutsch-französisc­he Beziehung liegt ihm am Herzen: Major außer Dienst Pierre Caudrelier in seinem Privatbüro vor verschiede­nen Erinnerung­sstücken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany