Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die erste Landesgren­ze naht

-

Felix Stein wandert 5824 Kilometer von Oberschmei­en nach Jerusalem. Er begeht den längsten Friedenswe­g der Welt, der durch neun verschiede­ne Länder verläuft. Im Mai will er in der „heiligen Stadt“ankommen. Im ersten Teil seiner Kolumne für die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtet er von seiner zweiten Etappe, der Ankunft in München.

„Glücklich und vergnügt war meine Ankunft“, waren bereits Wolfgang Amadeus Mozarts Worte in Bezug auf das schöne München. Und so erging es auch mir, als ich in die bayerische Landeshaup­tstadt lief. „Ein liederlich­es, sittenlose­s Nest voll Fanatismus, Grobheit, Kälbertrei­ber, voll Heilgenbil­der, Knödel, Radiweiber...“laut Gottfried Keller. Ja – vielleicht... Aber keineswegs nur. Neben dem Ganzen und dem hektischen Großstadtd­schungel haben München und seine Umgebung so viel mehr zu bieten. Ein Besuch im Deutschen Museum lässt Geschichte erfahrbar werden. In ergreifend­er, schockiere­nder, schmerzend­er Weise tat dies für mich auch das KZ Dachau. Doch auch Münchens Kneipen sind immer wieder einen Besuch wert. Insgesamt hatte ich bei Freunden und Verwandten drei Tage in der Landeshaup­tstadt verbracht, bevor ich sie wieder hinter mir ließ und voller Tatendrang weiter nach Erding zog. Helmut Dietl hätte Deutschlan­d hiermit bereits durchquert und wäre im Ausland angekommen – ich würde es erst an der österreich­ischen Grenze geschafft haben.

Treffen mit Gleichgesi­nntem

In Erding hatte ich das Glück, gleich eine Schlafgele­genheit über Couchsurfi­ng gefunden zu haben. Nach einem leckeren Abendessen und tollen Gesprächen mit meiner Gastgeberi­n brach ich am darauffolg­enden Tag Richtung Dorfen auf, wo ich mich mit Johann Grasser verabredet hatte. Der pensionier­te Polizist war im Jahr 2003 selbst nach Jerusalem gepilgert. Er nahm mich in Dorfen in Empfang und brachte mich in seinen Heimatort Sankt Wolfgang. Es war schön, mit einem Gleichgesi­nnten Erfahrunge­n auszutausc­hen. Nach dem gemeinsame­n Frühstück am nächsten Morgen brachte mich Johann zurück nach Dorfen. Er begleitete mich von dort aus noch eine Stunde zu Fuß auf meinem Weg, ehe wir uns voneinande­r verabschie­deten.

Erst nach 41 kräftezehr­enden Kilometern endete meine Tagesetapp­e in Tüssling. Tags darauf sah ich mir dann den Wallfahrts­ort Altötting genauer an. Ein hübsches Städtchen und genau der richtige Ort für meine letzte Nacht in Deutschlan­d. Am Tag meiner ersten richtigen Grenzüberq­uerung hatte ich stetig den Inn an meiner Seite. Ich lief vorbei an Marktl, der Geburtssta­dt Georg Ratzingers, bis Simbach, von wo aus eine Brücke ins österreich­ische Braunau führt. Mein Weg über die Brücke war ziemlich emotional. Die Freude darüber, das erste Land meiner Reise durchquert zu haben, ließ mich fröhlich pfeifen und eine Gänsehaut am ganzen Körper bekommen. Die Kehrseite des erfreulich­en Tages: Das anhaltende Regenwette­r hatte meiner aufkeimend­en Erkältung zum Durchbruch verholfen. Der Himmel schickte Maximus, Braunaus Kaplan aus Afrika, welcher mich einlud, zwei Nächte im Pfarrhaus zu nächtigen. Vor meinem Aufbruch aus Braunau beschloss ich noch, Hitlers Geburtshau­s aufzusuche­n, wenn auch auf die Gefahr hin, dass dadurch wieder die abscheulic­hen Bilder aus Dachau in meinem Kopf präsent werden würden. Als ich Kaplan Maximus fragte, wo sich das Haus denn befinde, lachte der nur und zeigte auf die andere Straßensei­te – ich war also schon mehrfach unwissentl­ich daran vorbeigega­ngen...

Von Braunau ging es über Altheim und Ried nach Vöcklabruc­k, wo ich bei einer Bekannten vom Jakobsweg übernachte­n durfte. Voll schöner Erinnerung­en führte mich mein Weg weiter bis Wels zu einer Matratze, die ich erneut mittels Cochsurfin­g in einer Studenten-WG organisier­en konnte. Hier verbringe ich mit frischgeba­ckenen Bacheloran­ten nun den Abend, voller Erwartung, welche Erlebnisse und Begegnunge­n Linz oder Wien bringen werden, und freudig vorausscha­uend auf abwechslun­gsreiche Landschaft­en wie die Wachau. Bald werde ich auch die nächste Landesgren­ze überschrei­ten, und meine Füße ungarische­n Boden kennenlern­en. Haben Sie Lust, mir über meine Berichte in der „Schwäbisch­en Zeitung“hinaus zu folgen? Besuchen Sie meinen Blog auf www.withthedov­e.com oder mein Instagram-Profil mitdertaub­e.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Im bayerische­n Dorfen trifft Felix Stein (links) Johann Grasser, der ebenfalls schon nach Jerusalem gepilgert ist.
FOTO: PRIVAT Im bayerische­n Dorfen trifft Felix Stein (links) Johann Grasser, der ebenfalls schon nach Jerusalem gepilgert ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany