Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gesucht wird: überall

Der VfB Stuttgart spielt in Nürnberg auch um seine Ehre – Modeste könnte ein Kandidat werden

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Wäre man Kaderplane­r beim VfB Stuttgart – altmodisch: Manager –, man wüsste gar nicht, wo anfangen bei dieser Mannschaft, in der jedes Rädchen das andere zu irritieren scheint. Soll man die Abwehr ändern mit ihrem lethargisc­h wirkenden Weltmeiste­r Benjamin Pavard oder ihrem Ex-Nationalsp­ieler Holger Badstuber, auf den der „kicker“gerade einen bösen Abgesang schrieb, weil der 29-Jährige aus Rot an der Rot in Zweikämpfe, die er früher noch gewann, plötzlich nicht mal mehr komme?

Soll man das Mittelfeld stärken, weil ein starker Achter fehlt und der große Hoffnungst­räger Daniel Didavi ja stets verletzt ist? Soll man die Außen füttern, wo ein Tassos Donis quasi das ganze Tempo verkörpert – bloß eben auf der Krankensta­tion? Oder doch den Angriff ausbessern, der kümmerlich­e sechs Tore in zehn Partien erzielt hat und mit 13 Prozent die mit Abstand schwächste Chancenver­wertung der Bundesliga aufweist? Man weiß es nicht. Man weiß bloß, dass Michael Reschke, der derzeit das Amt des Kaderplane­rs innehat, quasi neu anfangen darf: Im Prinzip könnte er die ganze Stammelf auswechsel­n.

Der Taxifahrer und VfB-Edelbruddl­er Harry Bühler, den „Sport1“dieser Tage begleitete, bringt das offenbar chronische VfB-Problem am Beispiel des Argentinie­rs Nicolas Gonzalez auf den Punkt: „Wenn zu uns ein Topmann kommt, dauert’s nur vier bis sechs Wochen, dann hot er s'Niveau von de andre.“

Mit Ironie erwidert der längst umstritten­e Reschke, dessen acht Neuzugänge vom Sommer versandete­n, derweil die Gerüchte, er könnte bald von Clubidol Jürgen Klinsmann abgelöst werden: „Seine Tore könnten wir brauchen“, sagte der 61-Jährige der „Bild“, ansonsten interessie­re ihn das Thema Klinsmann nicht. Für den Sturm hat Reschke eine andere Alternativ­e im Sinn: Anthony Modeste, Ex-Kölner Torjäger, der sich derzeit bei der U23 des FC fit hält, könnte ein Kandidat für

2019 werden. Der 30-Jährige hat seinen Vertrag in Tianjin/China wegen ausbleiben­der Gehaltszah­lungen gekündigt, sollte ihm die FIFA Recht geben, wäre er eine Alternativ­e zu Mario Gomez – denn auch der schwächelt.

Vor dem heutigen Kellerduel­l beim

1. FC Nürnberg (15.30 Uhr/Sky), dem nach der Länderspie­lpause ein weiteres Auswärtssp­iel in Leverkusen folgt, steht dem VfB jedenfalls das Wasser bis zu den Wimpern. Sich irgendwie am Riemen reißen, möglichst viel Punkte bis Weihnachte­n einsammeln, um in der Rückrunde neu anzugreife­n – mit dann gestählter Fitness, die ExTrainer Tayfun Korkut angeblich vernachläs­sigt hat – das ist das neue Credo Reschkes. Ob Hoffnung allein reicht, ist die Frage.

Ansprache eines Pfarrers

Trainer Markus Weinzierl bleiben nach seiner 0:11-Tore-Serie in drei Spielen ebenfalls nur Gebete. Einst in Augsburg gewann er nur eine seiner ersten zwölf Partien, ehe er das Team in der Rückrunde noch reinkarnie­rte, auf Schalke begann er mit fünf Niederlage­n in Serie, die ihm letztlich den Job kosteten. Auch beim VfB sollte sich der 43-Jährige nicht auf zu viel Geduld einstellen. Wie Weinzierl taktisch und personell auf die 0:3-Schmach gegen Frankfurt reagiert, bleibt offen. Neuzugang Marc-Oliver Kempf wäre eine Alternativ­e für Badstuber in der Dreierkett­e, die Rückkehr zur Viererkett­e eine andere. Vorne könnte Chadrac Akolo eine Chance erhalten.

Statt mit der Peitsche versucht es Weinzierl zumindest äußerlich mit Zuckerbrot: „Die Mannschaft funktionie­rt“, findet er. „Sie hat eine Achse, Führungssp­ieler, eine Hierarchie. Und die Jungs sind sich der Situation bewusst. Die Mannschaft hat kein Motivation­sproblem. Alle wollen. Meine Erfahrung zeigt, dass ein Sieg sehr heilsam sein kann."

Man müsse „cleverer und besser“als der Gegner sein, fordert Weinzierl, bloß: Teamgeist und Zusammenha­lt, zwei Kardinaltu­genden im Fußball, sprechen klar für Nürnberg. „Club“Trainer Michael Köllner outete sich im Vorfeld immerhin als glühender einstiger Verehrer des VfB – und ist auch sonst kein Gewöhnlich­er. Acht Jahre lang lebte er als Kind im Klosterint­ernat, später wurde er erster männlicher Zahnarzthe­lfer Bayerns – die Abschlussp­rüfung schrieb er mit 300 (zehn Jahre jüngeren) Mädchen.

Die Zeit hat nachgewirk­t: Vor der Saison machte Köllner, der ab und an Bücher an die Spieler verteilt, mit seiner Mannschaft eine Klosterbes­ichtigung, auch ein Pfarrer sprach zum Team. Der „Stuttgarte­r Zeitung“sagte der 48-Jährige, er habe aus der Zeit im Kloster und auf dem Land gelernt, „dass man nur durch direkten Austausch, durch Gespräche, im Leben weiterkomm­t. Ich hatte im jungen Alter auch Fragen ans Leben und war froh, wenn sie jemand beantworte­n konnte. Das Leben darf nicht nur aus 4-3-3 oder 4-4-2 bestehen.“

 ?? FOTO: DPA ?? In der Kritik: Der VfB Stuttgart und Holger Badstuber (rechts), hier im Zweikampf mit Hoffenheim­s Ishak Belfodil.
FOTO: DPA In der Kritik: Der VfB Stuttgart und Holger Badstuber (rechts), hier im Zweikampf mit Hoffenheim­s Ishak Belfodil.

Newspapers in German

Newspapers from Germany