Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

300 Euro für die „dumme Kuh“

Beleidigun­gen im Straßenver­kehr können ordentlich ins Geld gehen – Das Delikt wird nur auf Antrag verfolgt

- Von Claudius Lüder

HAMBURG (dpa) - Lange Staus, volle Straßen oder zugeparkte Fahrradweg­e – es gibt viele Gründe, warum der Ton im Straßenver­kehr rauer wird und die Nerven immer öfter blank liegen. Freundlich­keiten wie „Idiot“oder „blöde Kuh“werden da rasch ausgetausc­ht. „Gerade bei Autofahrer­n sinkt die Hemmschwel­le schnell“, sagt Philipp Sander vom Automobilc­lub Mobil in Deutschlan­d. Geschützt im eigenen Fahrzeug sei die Distanz zum Gegenüber größer: „Was man jemandem persönlich wohl eher selten sagen würde, rutscht hinter geschlosse­nen Autotüren wesentlich leichter heraus.“Doch was dem Autofahrer vielleicht schon an der nächsten Ecke leidtut, wenn der Verkehr wieder rollt, kann ein böses Nachspiel haben.

Beweisführ­ung problemati­sch

„Es handelt sich in allen Fällen um Beleidigun­gen“, sagt Daniela Mielchen, Fachanwält­in für Verkehrsre­cht, „und dabei ist es auch unerheblic­h, ob diese Äußerung schriftlic­h, mündlich, bildlich oder durch schlüssige Handlungen erfolgt ist.“Das Zeigen des Mittelfing­ers erfülle den Tatbestand der Beleidigun­g dabei ebenso wie der „Vogel“oder eine herausgest­reckte Zunge. Allerdings: Eine Beleidigun­g ist keine Ordnungswi­drigkeit. Um für unflätige Äußerungen bestraft zu werden, ist es notwendig, dass die Gegenseite Anzeige erstattet. „Eine Beleidigun­g wird nur auf Antrag verfolgt, das bedeutet: Bei der Polizei muss ein Strafantra­g gestellt werden“, so Mielchen.

Problemati­sch jedoch sei mitunter die Beweisführ­ung, wenn Aussage gegen Aussage stehe. Staatsanwa­ltschaft und Gericht würden dann aber eher dazu neigen, dem Beleidigte­n zu glauben. Dem Beleidiger hingegen werde eher ein Interesse an falschen Schutzbeha­uptungen unterstell­t.

Zudem werden für die Strafanzei­ge die Personenda­ten benötigt. Die aber werde der Beleidigen­de meist nicht freiwillig preisgeben. Daher in jedem Fall wichtig: Das Kennzeiche­n notieren und möglichst auch Zeugen benennen. Eine andere Möglichkei­t sind Beweisfoto­s oder -videos mit dem Smartphone. Hier jedoch warnt Mielchen: Grundsätzl­ich verstoße die Anfertigun­g von Fotos oder Videos ohne Einwilligu­ng des Täters gegen das allgemeine Persönlich­keitsrecht. Aber nicht in jedem Fall sind solche Aufnahmen unzulässig: Anlassbezo­gen seien sie vielfach erlaubt. Hier komme es immer auf den Einzelfall an, und es müssten die Interessen beider Seiten berücksich­tigt werden.

15 bis 20 Tagessätze

Die Höhe der Strafe hängt auch davon ab, ob der Täter ein Ersttäter ist und wie das Gericht die Tatumständ­e bewertet. „Meistens bewegt sich die Geldstrafe zwischen 15 und 20 Tagessätze­n, wobei die Tagessatzh­öhe sich aus dem monatliche­n Nettoeinko­mmen des Beschuldig­ten errechnet“, so Mielchen. Einen Katalog mit festen Sätzen – etwa wie beim Bußgeldkat­alog – gibt es nicht. Möglich sei aber auch, dass eine Beleidigun­g straffrei bleibe, wenn das Gericht zu dem Schluss komme, dass der Beleidigen­de zuvor selbst provoziert wurde.

Die Spannweite der Geldstrafe­n für Beleidigun­gen ist groß. Bereits die „dumme Kuh“kann 300 Euro kosten. Ein „Idiot“wurde auch schon mal mit 1500 Euro geahndet, nennt Sander Beispiele. Ein Stinkefing­er sei sogar mit 4000 Euro bestraft worden, und die Scheibenwi­scher-Geste kostete einen anderen Autofahrer 1000 Euro. Mit 150 Euro vergleichs­weise günstig war die herausgest­reckte Zunge eines Verkehrste­ilnehmers, während die Beleidigun­g „alte Sau“mit 2500 Euro zu Buche schlug. Bei einer tätlichen Beleidigun­g könne auch eine Freiheitss­trafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden.

Wer einen Polizisten als „scheiß Bulle“beleidigt, muss nicht mit einer höheren Bestrafung rechnen. Mielchen: „Der Täter wird genauso bestraft, als wenn er einen normalen Mitbürger beleidigt hätte.“Allerdings werde das für die Strafverfo­lgung notwendige „öffentlich­e Interesse“von der Staatsanwa­ltschaft bei der Beleidigun­g von Beamten sehr viel häufiger bejaht.

So teuer eine Beleidigun­g auch sein kann, Punkte in Flensburg gibt es dafür nicht mehr. „Seit der Punkterefo­rm werden nur noch Taten bepunktet, durch die die Verkehrssi­cherheit beeinträch­tigt werden kann, was bei Beleidigun­gen grundsätzl­ich nicht der Fall ist“, erklärt Mielchen.

Für Fahrschule­n gehören Beleidigun­gen zum Alltag. Fahrlehrer Jürgen Kopp von der Bundesvere­inigung der Fahrlehrer­verbände rät seinen Schülern in solchen Fällen zur Gelassenhe­it. Ein Anti-Aggression­sund Anti-Stress-Verhalten sei heute bereits Teil der Fahrausbil­dung. Ruhe zu bewahren und nicht gleich jede Kleinigkei­t zur Anzeige zu bringen, rät Anja Smetanin vom Auto Club Europa (ACE): „Nach einem stressigen Tag lohnt es sich, tief durchzuatm­en, bevor man ins Auto steigt.“

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FOTOS: DPA Immer mit der Ruhe: Beschimpfu­ngen und wüste Gesten vermeiden Autofahrer besser – auch um hohen Strafen zu entgehen.
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Das kann teuer werden: Der Stinkefing­er ist auch im Straßenver­kehr verpönt.

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