Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Erfolgreiche Schnapsidee
Wie zwei junge Männer aus Schwaben den „weltbesten Gin für Gin Tonic“erschaffen haben
SCHWAIKHEIM - Eine klare Flüssigkeit rinnt am Fuße eines Kupferkessels in ein kleines Fass. Sie sieht aus wie Wasser, zündet beim Kosten im Gaumen aber ein Geschmacksfeuerwerk aus Zitrusfrüchten, Kräutern und floralen Noten. Was hier mal fließt, mal tröpfelt, trägt den Namen Ginstr. Eineinhalb Jahre nachdem Markus Escher und Alexander Franke ihre erste Flasche selbst gebrannten Gin in den Händen hielten, bekamen sie dafür im August eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche: Die beiden Schwaben haben den „weltbesten Gin für Gin Tonic“erschaffen. Es ist die zweite Gin-Erfolgsgeschichte aus Baden-Württemberg.
Seit Generationen betreibt die Familie Escher in Schwaikheim, 20 Kilometer nordöstlich von Stuttgart, ein Weingut. Um Obst und den Trester der Weintrauben zu verarbeiten, hat Markus Eschers Opa einen Brennkessel gekauft, den er seinem Enkel vermacht hat. Nun stehen Escher, 27, und Franke, 34, in einer kleinen Lagerhalle des Weinguts und können die Ereignisse der vergangenen Monate noch immer kaum glauben. In einer Ecke des Raums steht Otto, so der Name des Kupferkessels. Otto erzeugt das Produkt, wonach sich Gin-Liebhaber aus aller Welt die Lippen lecken.
„Wir haben uns niemals vorgestellt, dass es unseren Gin in Bars geben könnte“, sagt Franke. Ist aber so – Ginstr gibt es inzwischen im Hotel Adlon in Berlin ebenso wie in Hongkong oder Madrid. Die renommierte International Wine and Spirit Competition (IWSC) in London hat den Gin aus dem Rems-Murr-Kreis weltweit ins Rampenlicht gerückt. Aus 600 eingereichten Gins hat eine Jury das Destillat im August zum „World’s Best Gin for Gin Tonic“gekürt.
Eine surreale Erfahrung
Das weckt Erinnerungen an 2011: Damals prämierte die Jury des IWSC den Schwarzwald-Gin Monkey 47 zum besten Gin weltweit. Die markante braune Flasche im Apothekenstil mit dem Affen auf dem Etikett wurde weltberühmt, ihr Inhalt ist inzwischen in – fast – aller Munde. Der Spirituosenkonzern Pernod Ricard übernahm 2016 einen Mehrheitsanteil an der Brennerei Black Forest Distillers, deren Herzstück die Marke Monkey 47 ist. Ein Vorbild war der berühmte Gin aus Baden-Württemberg für Franke und Escher aber nicht. „Es war für uns völlig surreal, in einem Atemzug mit Monkey 47 genannt zu werden“, sagt Franke. „Das ist so, als würde man einen Seifenkistenbauer fragen, ob sein Vorbild ein Mercedes ist.“
Erst langsam gewöhnen sich die beiden an den Gedanken, ein außergewöhnliches Produkt erschaffen zu haben. Sie hatten sich 2014 über Eschers Bruder Christian kennengelernt. Der Radiojournalist Franke arbeitete an einem Bericht über Christian Escher, weil der zu Deutschlands zweitbestem Jungwinzer des Jahres gekürt worden war. Sie plauderten über Gin und Frankes Vorliebe für das hochprozentige Getränk gemischt mit Tonic Water. Genau wie Eschers Bruder Markus. Eines Abends im Ciba Mato in Stuttgart sinnierten die neuen Gin-Freunde dann darüber, wie schön es wäre, wenn in den Regalen hinterm Tresen auch ein Gin stünde, den sie entwickelt hätten. Die Schnapsidee war geboren. „Die Bar gibt es heute nicht mehr, aber unseren Gin mittlerweile fast weltweit“, sagt Franke lächelnd.
Als Escher und Franke ihre ersten Destillierversuche starteten, war der internationale Gin-Hype bereits in vollem Gange. Der Wacholderschnaps war früher ein Arme-LeuteAlkohol, lange gab es nur wenig Auswahl. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren massiv verändert, wie Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Spirituosenindustrie und -importeure belegen. 2007 gingen im deutschen Einzelhandel 5,5 Millionen Flaschen Gin über die Theke. Umsatzvolumen: 34,7 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr waren es 10,6 Millionen Flaschen – fast doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Der Umsatz, der dadurch erzeugt wurde, stieg um ein Vielfaches auf fast 120 Millionen Euro. Das Image hat sich stark gewandelt – einen guten oder außergewöhnlichen Gin lassen sich Genießer etwas kosten. Eine Halbliterflasche Ginstr etwa bieten die Macher in ihrem Onlineshop für knapp 30 Euro an.
Zweieinhalb Jahre experimentierten Franke und Escher mit den Zutaten für ihren Gin. Sie ließen sich Zeit. „Wir hatten ja nie eine Deadline oder einen kommerziellen Traum. Das war komplett hobbymäßig“, sagt Franke. In der Stuttgarter Markthalle kauften sie 200 verschiedene Gewürze. Sie testeten Anis, Nelke und Zimt – und verwarfen alles wieder. Da sie beide eher auf fruchtige Gins und nicht so sehr auf solche stehen, in denen die Kräuternoten dominieren, waren Zitrusfrüchte gesetzt. Immer wieder kamen Zutaten hinzu, schieden andere aus. Sie experimentierten viel mit Ingredienzen, die in der Region wachsen. Auch Filderkraut war dabei. „Hat aber nicht geschmeckt“, sagt Escher.
46 Zutaten zum Glück
Am 9. Juni 2016, passend zum WeltGin-Tag, erklärten die Gin-Macher ihre Suche für beendet. Sie entschieden sich für 46 Zutaten – für Zesten von Orangen und Zitronen, für Rosmarin und Granatapfelkerne, für Kardamom und Lorbeerblätter. Alles kommt aus der Region oder von regionalen Händlern. Den Wacholder produzieren sie selbst zwischen den Weinbergen der Eschers. In einer Tonne geben diese sogenannten Botanicals ihren Geschmack an reinen, 96-prozentigen Alkohol ab. Escher nimmt ein Messer und rührt in dem Mazerat – so heißt das Gemisch. Wie lange der Prozess dauert, ist Betriebsgeheimnis. Escher bleibt vage: „zwischen einem und sieben Tagen“. Sie wollen ja schließlich, dass ihr Gin einzigartig bleibt.
Und sie wollen, dass er immer gleich schmeckt – nach jedem einzelnen, handgemachten Destilliervorgang. Qualitätskontrolleure sind Escher und Franke selbst. Sie testen nicht nur jede Charge, sondern behalten auch immer die erste Flasche eines jeden Brennvorgangs für die eigene Sammlung. Bis vor Kurzem haben die beiden jede Woche 711 Halbliterflaschen Gin produziert. Die Zahl ist kein Zufall: 0711 ist die Vorwahl für Stuttgart. Nicht nur beim Inhalt legen die beiden Wert auf Regionalität, alles an ihrem Produkt soll klar verortet sein. Der Name setzt sich zusammen aus Gin und dem offiziellen Kürzel für den Stuttgarter Flughafen: STR. Das Etikett schmücken goldene Schemen markanter Stuttgarter Gebäude – allen voran der Fernsehturm.
Am 16. Dezember 2016 hielten Escher und Franke ihre erste eigene Flasche selbst gebrannten Gin in den Händen. Aus dem Zwei-Mann-Hobby ist ein Unternehmen geworden, in dem sieben Menschen arbeiten, sechs davon Vollzeit. Spätestens seit der Auszeichnung zum besten Gin für Gin Tonic kommen die beiden kaum mehr nach mit ihrer GinstrProduktion. „Wir hatten ein Riesenproblem“, sagt Franke. „Wir sind mit Bestellungen überrannt worden.“Zu Hochzeiten betrug die Lieferzeit zehn Wochen – sehr zum Ärger der treuen Kunden. Escher und Franke war klar: Sie müssen wachsen, Otto und die 711 Flaschen pro Woche reichen nicht mehr aus. Seit zwei Wochen hat Otto nun einen Partner. Die Popularität sei sicher hilfreich gewesen, um schnell einen weiteren Brennkessel eingebaut zu bekommen, sagt Escher. Wichtig war ihnen, dass sich am Brennprozess nichts ändert. Brennkessel mit deutlich mehr Kapazität oder solche, die viel schneller brennen? Wollten die beiden nicht. Sondern einen gebrauchten Kupferkessel, der genauso ist wie Otto. Der denselben Ginstr hervorbringt wie Otto. Bei Arnold Holstein in Markdorf sind sie fündig geworden. Der Neue hat zwar noch keinen Namen, aber der Kessel ist bereits im Einsatz – und steigert die wöchentliche Produktion auf zweimal 711 Flaschen.
„Wir hatten ein Riesenproblem: Wir sind mit Bestellungen überrant worden.“Alexander Franke, Radiojournalist und Produzent von Gin
„Sauviel Arbeit“
„Es ist sauviel Arbeit“, sagt Franke, „aber es macht trotzdem noch viel Spaß.“So viel, dass sie bislang alle Angebote von Käufern oder Investoren abgelehnt haben. „Die Summen waren schon schön, aber das ist wie ein Baby für uns“, sagt Franke. Ein konkretes Ziel hätten sie nicht vor Augen. „Wir sind für die Hinterhofstory ja eigentlich jetzt schon zu weit.“
Ein Brennvorgang ist vorbei. Escher nimmt den Wasserschlauch und säubert das Innere des neuen Brennkessels – und dann beginnt die Magie von Neuem. Eimerweise schüttet Escher das Mazerat in den Kupferbauch, bis er voll ist. Klappe zu, die vierfache Destillation beginnt. Und aus einem Röhrchen am Fuße des Kessels rinnt wieder eine glasklare Flüssigkeit.