Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Neuerliche­s Werben um Reformen in Europa

Rede von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron im Bundestag – Entscheidu­ngen beim EU-Gipfel im Dezember

- Von Georg Ismar und Ruppert Mayr

BERLIN (dpa) - Er wirbt und wirbt und wirbt. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron wird nicht müde, die deutsche Kanzlerin mit auf seinen Reformkurs einzuladen. Angela Merkel will sich jetzt an die Detailarbe­it machen – und lobt Macron für eine „großartige“, ungewöhnli­che Rede im Deutschen Bundestag.

Macron ist zum Volkstraue­rtag 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs zu Besuch. „Das Gefühl, das ich heute empfinde, ist Dankbarkei­t“, sagt er. Seine Ruckrede im Bundestag ist bewegend. Sie endet mit den Worten: „Es lebe Frankreich. Es lebe Deutschlan­d. Es lebe die deutschfra­nzösische Freundscha­ft. Es lebe Europa.“Die Zuhörer stehen auf und spenden lange Beifall. Das gibt es so nicht oft.

Viele seiner Worte sind ein neuerliche­s Werben um Kanzlerin Angela Merkel (CDU), endlich die Reformen in Europa mit voranzutre­iben. Deutschlan­d und Frankreich hätten ihre Differenze­n in der EU nie verleugnet, sondern auf den Tisch gelegt. Heute „müssen wir den Mut finden, ein neues Kapitel aufzuschla­gen. Das schulden wir Europa“und denjenigen, die in den letzten 70 Jahren daran gearbeitet hätten.

Andere Herausford­erungen

Heute seien die Herausford­erungen andere – Umwelt und Klimawande­l, Migration, neuer Nationalis­mus, und die Digitalisi­erung. Deutschlan­d und Frankreich müssten ihre Tabus, ihre unterschie­dlichen Sichtweise­n auf Europa überwinden. Europa müsse mit den notwendige­n Instrument­en gegen neue Krisen ausgestatt­et werden – neben einem Währungsfo­nds zur Absicherun­g des Euro schwebt ihm auch eine europäisch­e Armee vor – was US-Präsident Donald Trump auf die Palme bringt. Diese Welt stehe am Scheideweg, welche Rolle könne Europa dabei spielen?

Es ist quasi ein Gegenbesuc­h, nachdem vergangene Woche in Compiègne und Paris der Millionen Toten des Ersten Weltkriegs gedacht wurde. Berlin und Paris proben in schwierige­n Zeiten den Schultersc­hluss, auch wenn es zuletzt kräftig hakte – Macrons Vorschläge für eine Neugründun­g Europas wurden klein gehäckselt, auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner. In Zeiten von AfD, Lega in Italien und nationalis­tischen Regierunge­n wie in Polen und Ungarn werden große Würfe immer schwierige­r. Und gerade die Union bremst hier. Macron lässt nicht locker. Begeistern kann er immer noch, gerade die Jugend. Das zeigt sich zu Beginn seines eintägigen BerlinTrip­s im früher größten DDR-Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee. Wie ein Popstar wird er beim Einzug mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier gefeiert, es gibt sogar ein Gruppenfot­o mit den rund 500 Teilnehmer­n des Projekts „Youth for Peace – 100 Jahre Erster Weltkrieg, 100 Ideen für den Frieden“. 500 junge Menschen aus 48 Ländern in Europa, Afrika und dem Nahen Osten haben in den vergangene­n Tagen darüber diskutiert, wie der Frieden in einer zunehmend unruhigere­n, von Populismus dominierte­n Welt gesichert und der Zusammenha­lt gestärkt werden kann. Ideen sind etwa ein paneuropäi­sches Jugendwerk und eine Vernetzung in sozialen Medien; von Jugendlich­en entwickelt­e Lehrpläne für eine gemeinsame Geschichts­vermittlun­g mit einem viel stärker internatio­nalen statt nationalen Lehransatz; die Gründung von europaweit­en Clubs etwa an Schulen und Unis, die Vorurteile und „Fake News“gemeinsam bekämpfen.

Zuletzt gab es im Ringen um gemeinsame Reformen Bewegung auf deutscher Seite. Merkel betont bei einem Treffen mit Macron nach der Rede im Bundestag denn auch: Man müsse nun „wirklich liefern“. Mitte Dezember soll es beim EU-Gipfel zu Entscheidu­ngen kommen.

Die Finanzmini­ster Bruno le Maire und Olaf Scholz (SPD) einigten sich gerade auf den Rahmen für ein Eurozonen-Budget innerhalb der EU-Haushaltss­trukturen, um Investitio­nen in struktursc­hwachen Gegenden etwa in Griechenla­nd oder Italien anzukurbel­n. Und um den Euro durch gemeinsame­s Haushalten etwas krisenfest­er zu machen.

Doch mit wie viel Geld der Topf gefüllt wird, ist noch unklar, Deutschlan­d zahlt bisher rund 30 Milliarden an die EU und will im Zuge des Austritts Großbritan­niens bislang höchstens 10 Milliarden Euro mehr geben. Frankreich hat nach Italien mit 2,2 Billionen Euro die zweithöchs­ten Schulden in der Euro-Zone. Die wichtigste Reform dürfte der Umbau des Euro-Rettungsfo­nds ESM zu einem dauerhafte­n Europäisch­en Währungsfo­nds werden, damit bei neuen Krisen nicht wieder hektisch Rettungssc­hirme aufgespann­t werden müssen.

Um frisches Geld für mehr Investitio­nen in Europa einzusamme­ln, will Paris zudem eine Digitalste­uer, um Internetgi­ganten wie Amazon, Google und Apple zur Kasse zu bitten. Doch schon wie die Steuer auf Finanztran­saktionen droht das Projekt im Sande zu verlaufen. Denn Merkel und Scholz fürchten Vergeltung­smaßnahmen Trumps gegen deutsche Autokonzer­ne, die Iren bremsen, weil einige der Konzerne ihre europäisch­en Unternehme­nssitze dort haben.

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FOTO: AFP Ruckrede: Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron wirbt bei Bundeskanz­lerin Angela Merkel dafür, die Reformen voranzutre­iben.

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