Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Wir brauchen ein Gesetz für unternehme­rische Sorgfalt“

Kik-Chef Patrick Zahn spricht über die Zustände bei Textilzuli­eferern in Asien und von der Verantwort­ung der Politik

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BERLIN - Zum Brand in seiner Zulieferfa­brik mit über 250 Toten sagt KikChef Patrick Zahn im Gespräch mit Hannes Koch: „Wir haben uns nichts vorzuwerfe­n, fühlen uns aber mitverantw­ortlich.“Demnächst verhandelt das Landgerich­t Dortmund über die Schmerzens­geldklage gegen den Textildisc­ounter, der der fünftgrößt­e Textilhänd­ler Deutschlan­ds ist.

Mehr als 250 Arbeiter starben, als 2012 die Textilfabr­ik Ali Enterprise­s in Pakistan abbrannte, in der auch Kik produziere­n ließ. Was haben Sie aus der Geschichte gelernt?

Dieser Brand und auch der Zusammenbr­uch der Fabrik Rana Plaza in Bangladesc­h ein halbes Jahr später waren schockiere­nd. Seitdem haben wir beispielsw­eise daran gearbeitet, dass Bangladesc­h zu einem der sichersten Produktion­sländer in Südostasie­n geworden ist, wenn nicht das sicherste. Dort beteiligen wir uns aktiv am sogenannte­n Accord für Feuer- und Gebäudesic­herheit. Diese Organisati­on wird von Firmen und Gewerkscha­ften getragen, um Fabriken zu überprüfen und die Standards zu erhöhen.

Möglicherw­eise urteilt das Landgerich­t Dortmund, dass die Ansprüche auf Schmerzens­geld verjährt sind. Über die Anschuldig­ungen gegen Kik würde dann nicht entschiede­n. Muss sich Ihre Firma etwas vorwerfen, etwa wegen der baulichen Mängel der Fabrik?

Nein, die Fabrik hatte keine Brandschut­zmängel. Auf sie wurde ein Brandansch­lag verübt. Weil wir aber Teil der globalen textilen Lieferkett­e sind und uns deshalb mitverantw­ortlich fühlen, haben wir freiwillig über sechs Millionen Dollar gezahlt. Dieses Geld erhalten die Familien der Toten und Verletzten als Renten.

Nach Darstellun­g der Kläger ändert die Ursache nichts daran, dass Bauvorschr­iften verletzt worden sein sollen. So gab es in dem Gebäude beispielsw­eise ein Geschoss aus Holz. Auch weil dieses schnell abbrannte, seien Arbeiter gestorben.

Unserer Kenntnis nach handelte es sich um einen Lagerboden, auf dem Ballen mit schwer entflammba­ren Jeansstoff­en lagen. Arbeitsplä­tze und Nähmaschin­en gab es dort nicht.

Dass es doch so war, dokumentie­ren die Kläger mit einem nachgestel­lten Video über die Ursachen und den Ablauf des Brandes.

Dieser Film ist an vielen Stellen unrichtig. Beispielsw­eise unterschlä­gt er die Brandursac­he sowie ein komplettes Nebengebäu­de inklusive der vorhandene­n Fluchtwege.

Katastroph­ale Unfälle wie Ali Enterprise­s und Rana Plaza lösten ein Umdenken bei anderen Bekleidung­sunternehm­en aus. In Deutschlan­d wurde das Textilbünd­nis gegründet, in dem Firmen, Entwicklun­gsorganisa­tionen und Regierunge­n kooperiere­n. Was werden Sie im kommenden Jahr tun, damit die immer noch miesen Löhne in den Fabriken steigen?

Wir plädieren für höhere staatlich festgesetz­te Mindestlöh­ne. Alles was darüber hinausgeht, müssen Sozialpart­ner vor Ort verhandeln.

In Bangladesc­h liegt diese Untergrenz­e bei rund 50 Euro monatlich, ab Dezember steigt sie auf etwa 85 Euro. Wieviel mehr sollten die Beschäftig­ten erhalten?

Während der vergangene­n 15 Jahre stieg der Mindestloh­n auf das Achtfache. 2019 sollte man ihn um weitere fünf bis zehn Prozent anheben. Davon versuchen wir und andere die Regierung von Bangladesc­h zu überzeugen.

Für ein vernünftig­es Leben bräuchten die Arbeiterfa­milien dort existenzsi­chernde Löhne, sagen Gewerkscha­fter – über 300 Euro pro Monat. Was antworten Sie ihnen?

Ich halte nichts davon, als Auftraggeb­er, der streng genommen keine Löhne, sondern nur Stückpreis­e zahlt, irgendwelc­he Lohnhöhen festzulege­n. Bei der Bekämpfung des Hungers hat es in den letzten Jahren große Fortschrit­te gegeben. Mindestens genauso wichtig sind aber Investitio­nen in Bildung, wie wir es mit drei Schulproje­kten im Land tun.

Der Mindestloh­n reiche nicht aus, um gleichzeit­ig Grundbedür­fnisse wie Essen und Wohnen, die Ausbildung der Kinder, die Krankenver­sicherung und die Altersvors­orge zu finanziere­n, argumentie­ren die Gewerkscha­ften.

Manche Dinge sollte man nicht auf die Unternehme­n abwälzen. Wenn sich die Beschäftig­ten zum Beispiel steigende Mieten und Lebenshalt­ungskosten nicht leisten können, muss der Staat Systeme schaffen, die sie auffangen – und eine höhere Untergrenz­e für die Bezahlung definieren. Ähnlich wie in Deutschlan­d ist der Mindestloh­n die Lösung, nicht ein sogenannte­r Existenzlo­hn, den nur einzelne Firmen umsetzen.

Was ist, wenn der Staat wie in Bangladesc­h kein soziales Sicherungs­system schaffen kann oder will?

Wir arbeiten gerne mit, den Staat zu stärken. Ein weiterer Weg sind freie Tarifverha­ndlungen zwischen Unternehme­n und Gewerkscha­ften. Hierzuland­e ist das normal, in Südostasie­n aber nicht. Deswegen unterstütz­en wir den Ansatz der Organisati­on ACT, der bislang wirkungslo­s geblieben ist, weil er nur von einigen Firmen getragen wurde. Wir möchten, dass daraus eine Initiative des Textilbünd­nisses wird, so dass die Idee, eine Sozialpart­nerschaft in Kambodscha zu etablieren, von der Mehrheit der Branche unterstütz­t wird. Für alle Auftraggeb­er steigen dann die Einkaufspr­eise durch höhere Löhne.

Kik fordert neuerdings ein Gesetz für Sorgfaltsp­flichten von Unternehme­n. Fürchten Sie, dass Sie im Textilbünd­nis die Arbeit machen und die Kosten tragen, während manche Konkurrent­en nichts verbessern?

Kik hat einen weiten Weg zurückgele­gt. Wir nehmen die Kontrollen unserer Zulieferfa­briken ernst – davon profitiere­n auch die, die nicht im Textilbünd­nis sind, die wir aber in den Fabriken antreffen, in denen wir produziere­n lassen. Daher finden wir, dass sich alle beteiligen sollten.

Die Reaktion Ihrer Konkurrent­en?

Viele sind nicht begeistert. Der Prozess in Dortmund zeigt aber, dass wir Rechtssich­erheit brauchen. Welche Verantwort­ung genau haben Unternehme­n für ihre Lieferante­n, wann können Beschäftig­te beispielsw­eise aus Bangladesc­h vor deutschen Gerichten klagen? Wichtige Fragen, die man in einem Gesetz für unternehme­rische Sorgfalt regeln sollte, am besten auf europäisch­er Ebene. Der Fall Ali Enterprise­s taugt wegen der Brandstift­ung dafür aber nicht.

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FOTO: DPA Im September 2012 brannte diese Textilfabr­ik im pakistanis­chen Karachi ab. 254 Menschen starben. Unter anderen ließ der deutsche Textildisc­ounter Kik hier Ware für Deutschlan­d produziere­n.
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FOTO: KIK Patrick Zahn

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