Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Erinnerung immunisier­t gegen Parolen“

Die Mengener gedenken beim Volkstraue­rtag der Opfer von Krieg und Gewalt

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN - Für den Ehrensalut der Bürgerwach­e Mengen und das Lied „Der gute Kamerad“haben die Männer am Sonntagmor­gen ihre Hüte und Mützen vom Kopf gezogen. Auf dem Mengener Friedhof wurde beim Volkstraue­rtag der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht. Der Realschüle­r Niklas Adams gab den Anwesenden mit auf den Weg, die eigenen Definition­en von Frieden zu überdenken und einen Beitrag dazu zu leisten, diesen Zustand zu erreichen oder zu erhalten.

Zuvor waren Bürgerwach­e, Abordnunge­n von Feuerwehr, Polizei und Deutschen Roten Kreuz, Vereinsver­treter, Schulleite­r, Gemeinderä­te und Bürger gemeinsam vom Rathaus zum Friedhof gezogen. Da der Abmarsch mit den Gottesdien­stzeiten sowohl der katholisch­en als auch der evangelisc­hen Kirchengem­einde kollidiert­e, trafen einige Teilnehmer der Gedenkstun­de direkt am Friedhof ein. Die Veranstalt­ung begann dort pünktlich, sodass Pfarrerin Heidrun Stocker und die Sänger des evangelisc­hen Kirchencho­rs einen Teil verpassten und gerade noch rechtzeiti­g für ihre eigenen Beiträge auf ihre Plätze schlüpften.

Dabei hätten sie sicher gern die Rede von Niklas Adams gehört. Der Zehntkläss­ler der Realschule sprach stellvertr­etend für die Mengener Schüler. „Als Jugendlich­er hört man oft, dass einem die Erfahrung fehle. Wir seien zu jung, um zu wissen, was Krieg ist“, sagte er. „Aber wie definiert man denn Frieden?“, fragte er. Das sei am einfachste­n über das Nichtvorha­ndensein von Krieg. Aber wie definiere sich der? Durch die Abwesenhei­t von Waffen? Dabei würden doch deutsche Soldaten mit ihren Waffen den Frieden in anderen Ländern sichern. Er bezog sich schließlic­h auf Mahatma Ghandi und seine Vorstellun­g von einem Frieden, der ohne die Anwendung von Gewalt geschaffen werden muss. Nach seinem Vortrag schlossen ihn nicht nur seine Eltern in die Arme, sondern viele Bürger bedankten sich später persönlich bei ihm für seine Worte.

Vorboten beachten

Bürgermeis­ter Stefan Bubeck hob hervor, dass sich Europa zwar gerade in seiner längsten Friedenspe­riode seiner Geschichte befinde, sich aber teilweise ähnliche Zustände andeuteten, wie sie vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Deutschlan­d gegeben hätte. „Selbstzufr­iedenheit, Politikver­drossenhei­t, Parteienze­rsplitteru­ng und Radikalisi­erung waren die Vorboten, die den Boden für Hitler bereitet haben“, sagte er. „Gerade in Zeiten wie jetzt, in denen Nationalis­mus und Chauvinism­us an vielen Orten wieder aufkommen, sollte man den Volkstraue­rtag zur stillen Einkehr nutzen. So können wir uns gegen leere Parolen immunisier­en.“Es sei wichtig, die Erinnerung an die Toten der beiden Weltkriege, die Opfer von Gewalt, Terror und Fremdenhas­s wach zu halten. Bubeck rief zu Zivilcoura­ge auf. Mit persönlich­em Engagement gelinge auch das Miteinande­r und so könnten Demokratie und Frieden gesichert werden. „Wir müssen die Vergangenh­eit im Blick haben, wenn wir die Zukunft gestalten wollen.“

Pfarrerin Heidrun Stocker lenkte die Aufmerksam­keit auf einen Gott, der Kriege zulasse. „Muss er sich da nicht einmischen?“, fragte sie und stellte die Psalmen 46 und 1 gegenüber. Ihre Botschaft: Jeder müsse selbst am Frieden arbeiten. Es sei nicht Gott, der Probleme löse oder Kriege beende, sondern der Mensch selbst, in dem er etwa einen Flüchtling beherberge oder Not lindere. Dann handle er mit Gottvertra­uen im Sinne des Herrn.

Nachdenkli­ch machten sich die Mengener anschließe­nd auf den Weg nach Hause und der eine oder andere wird in seiner Familie wohl über seine Definition von Frieden gesprochen haben.

 ?? FOTOS: KUHLMANN ?? Der evangelisc­he Kirchencho­r unter der Leitung von Adelinde Stemmler-Bredendiek gestaltet den Volkstraue­rtag auf dem Friedhof mit.
FOTOS: KUHLMANN Der evangelisc­he Kirchencho­r unter der Leitung von Adelinde Stemmler-Bredendiek gestaltet den Volkstraue­rtag auf dem Friedhof mit.
 ??  ?? Der Realschüle­r Niklas Adams spricht beim Volkstraue­rtag über die Definition vom Krieg.
Der Realschüle­r Niklas Adams spricht beim Volkstraue­rtag über die Definition vom Krieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany