Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Erinnerung immunisiert gegen Parolen“
Die Mengener gedenken beim Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewalt
MENGEN - Für den Ehrensalut der Bürgerwache Mengen und das Lied „Der gute Kamerad“haben die Männer am Sonntagmorgen ihre Hüte und Mützen vom Kopf gezogen. Auf dem Mengener Friedhof wurde beim Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht. Der Realschüler Niklas Adams gab den Anwesenden mit auf den Weg, die eigenen Definitionen von Frieden zu überdenken und einen Beitrag dazu zu leisten, diesen Zustand zu erreichen oder zu erhalten.
Zuvor waren Bürgerwache, Abordnungen von Feuerwehr, Polizei und Deutschen Roten Kreuz, Vereinsvertreter, Schulleiter, Gemeinderäte und Bürger gemeinsam vom Rathaus zum Friedhof gezogen. Da der Abmarsch mit den Gottesdienstzeiten sowohl der katholischen als auch der evangelischen Kirchengemeinde kollidierte, trafen einige Teilnehmer der Gedenkstunde direkt am Friedhof ein. Die Veranstaltung begann dort pünktlich, sodass Pfarrerin Heidrun Stocker und die Sänger des evangelischen Kirchenchors einen Teil verpassten und gerade noch rechtzeitig für ihre eigenen Beiträge auf ihre Plätze schlüpften.
Dabei hätten sie sicher gern die Rede von Niklas Adams gehört. Der Zehntklässler der Realschule sprach stellvertretend für die Mengener Schüler. „Als Jugendlicher hört man oft, dass einem die Erfahrung fehle. Wir seien zu jung, um zu wissen, was Krieg ist“, sagte er. „Aber wie definiert man denn Frieden?“, fragte er. Das sei am einfachsten über das Nichtvorhandensein von Krieg. Aber wie definiere sich der? Durch die Abwesenheit von Waffen? Dabei würden doch deutsche Soldaten mit ihren Waffen den Frieden in anderen Ländern sichern. Er bezog sich schließlich auf Mahatma Ghandi und seine Vorstellung von einem Frieden, der ohne die Anwendung von Gewalt geschaffen werden muss. Nach seinem Vortrag schlossen ihn nicht nur seine Eltern in die Arme, sondern viele Bürger bedankten sich später persönlich bei ihm für seine Worte.
Vorboten beachten
Bürgermeister Stefan Bubeck hob hervor, dass sich Europa zwar gerade in seiner längsten Friedensperiode seiner Geschichte befinde, sich aber teilweise ähnliche Zustände andeuteten, wie sie vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Deutschland gegeben hätte. „Selbstzufriedenheit, Politikverdrossenheit, Parteienzersplitterung und Radikalisierung waren die Vorboten, die den Boden für Hitler bereitet haben“, sagte er. „Gerade in Zeiten wie jetzt, in denen Nationalismus und Chauvinismus an vielen Orten wieder aufkommen, sollte man den Volkstrauertag zur stillen Einkehr nutzen. So können wir uns gegen leere Parolen immunisieren.“Es sei wichtig, die Erinnerung an die Toten der beiden Weltkriege, die Opfer von Gewalt, Terror und Fremdenhass wach zu halten. Bubeck rief zu Zivilcourage auf. Mit persönlichem Engagement gelinge auch das Miteinander und so könnten Demokratie und Frieden gesichert werden. „Wir müssen die Vergangenheit im Blick haben, wenn wir die Zukunft gestalten wollen.“
Pfarrerin Heidrun Stocker lenkte die Aufmerksamkeit auf einen Gott, der Kriege zulasse. „Muss er sich da nicht einmischen?“, fragte sie und stellte die Psalmen 46 und 1 gegenüber. Ihre Botschaft: Jeder müsse selbst am Frieden arbeiten. Es sei nicht Gott, der Probleme löse oder Kriege beende, sondern der Mensch selbst, in dem er etwa einen Flüchtling beherberge oder Not lindere. Dann handle er mit Gottvertrauen im Sinne des Herrn.
Nachdenklich machten sich die Mengener anschließend auf den Weg nach Hause und der eine oder andere wird in seiner Familie wohl über seine Definition von Frieden gesprochen haben.