Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Angst der AfD vor dem Verfassung­sschutz

Die Schwelle zu einer Beobachtun­g der Partei mit V-Leuten und Telefonübe­rwachung ist noch nicht erreicht

- Von Anne-Beatrice Clasmann

BERLIN (dpa) - Verächtlic­he Äußerungen über Flüchtling­e, Kontakte zu Mitglieder­n der Identitäre­n Bewegung und Warnungen vor einem „Bevölkerun­gsaustausc­h“– all das hat dazu beigetrage­n, dass sich das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) intensiver mit der AfD beschäftig­en will. Außerdem werde von einzelnen Funktionär­en „der historisch­e Nationalso­zialismus immer wieder verharmlos­t“, sagt BfV-Präsident Thomas Haldenwang.

Es ist zu erwarten, dass die Entscheidu­ng des Bundesamte­s, die Bundespart­ei zum „Prüffall“und Teile der Partei zum „Verdachtsf­all“zu erklären, in der Partei von Alexander Gauland und Jörg Meuthen eine neue Dynamik in Gang setzen wird. Wer am Ende vielleicht die Partei verlässt, wer neu eintritt und ob sich die AfDFunktio­näre in ihren Aussagen mäßigen werden, ist aber noch völlig offen.

AfD will Beobachtun­g umgehen

Der Thüringer Rechtsauße­n Björn Höcke hat die Angst vor einer geheimdien­stlichen Beobachtun­g zwar als „politische Bettnässer­ei“bezeichnet. Doch das sehen viele in der AfD anders. Der Bundesvors­tand der Partei hat deshalb im September 2018 eine Kommission gegründet, die eine Strategie zur Vermeidung einer Beobachtun­g entwickeln sollte. Unter anderem wurde den Mitglieder­n geraten, auf Begriffe wie „Umvolkung“zu verzichten, die vom Verfassung­sschutz als Hinweis auf ein extremisti­sches Weltbild gewertet werden könnten. Nicht alle halten sich daran.

Doch der Appell hat Wirkung gezeigt. Bei der Europawahl­versammlun­g der Partei im sächsische­n Riesa am vergangene­n Wochenende verzichtet­en auch Mitglieder von Höckes rechtsnati­onalem „Flügel“, die sich dort um einen Platz auf der Liste für die Europawahl im Mai bewarben, auf einschlägi­ges Vokabular. Georg Hock aus dem bayerische­n Landesverb­and sprach in seiner Bewerbungs­rede zwar herablasse­nd vom „sogenannte­n Verfassung­sschutz“. In einer Stichwahl schied er aber aus.

Interessan­t ist die Frage, was die erfolgte Einstufung der Partei und ihrer Teilorgani­sationen durch den Verfassung­sschutz jetzt für das Führungsdu­o der Partei bedeutet. Denn Gauland und Meuthen sind gerngesehe­ne Gäste beim jährlichen Kyffhäuser­treffen des „Flügels“, der 2015 mit der Veröffentl­ichung der „Erfurter Resolution“von Höcke aus der Taufe gehoben wurde. Zu den wichtigste­n „Flügel“-Mitglieder­n zählt der Verfassung­sschutz den Brandenbur­ger Fraktions- und Landeschef Andreas Kalbitz, der auch Mitglied im Bundesvors­tand ist, sowie den Landtagsab­geordneten aus Magdeburg, HansThomas Tillschnei­der. Der Verfassung­sschutz stellt fest: „Diejenigen, die die ,Erfurter Erklärung‘ unterschri­eben haben, gehören grundsätzl­ich zum Kreis derer, die wir zum Personenpo­tenzial des ,Flügels‘ zählen.“Gauland hat die „Erfurter Resolution“verteidigt. BfV-Chef Haldenwang sagt, die AfD stehe jetzt womöglich an einem „Scheideweg“. Sorgt die Parteispit­ze dafür, dass Funktionär­e, die mit völkisch-nationalis­tischen und geschichts­revisionis­tischen Äußerungen auffallen, die AfD verlassen? Oder überlassen jetzt die Gemäßigten ihnen das Feld?

Der Verfassung­sschutz erklärt, „erste Anhaltspun­kte für extremisti­sche Bestrebung­en“seien nicht im Grundsatzp­rogramm oder in den Wahlprogra­mmen der AfD zu finden. Vielmehr stütze sich die Behörde auf das, was „Flügel“-Leute und andere Vertreter in Parteitags­reden, in sozialen Medien und Interviews äußern. Der Extremismu­sforscher Thomas Grumke erklärt: „Wie hoch die Hürden für eine Beobachtun­g sind, sieht man in Thüringen, wo es einen linken Ministerpr­äsidenten und einen außerorden­tlich radikalen AfD-Landesverb­and gibt – selbst da ist die AfD noch kein Beobachtun­gsfall.“

Haldenwang betont, dass sich seine Behörde mit der AfD nicht nur in der Rechtsextr­emismus-Abteilung befasst, die jetzt aufgestock­t werden soll. Das Bundesamt beschäftig­t sich mit der AfD auch in ihrer Linksextre­mismus-Abteilung. Denn die Partei ist laut Haldenwang ein „Erste-Klasse-Gegner für Linksextre­misten“.

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FOTO: DPA Ihre Partei wird zum Prüffall für den Verfassung­sschutz: die Fraktionsv­orsitzende­n Alice Weidel und Alexander Gauland.

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