Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Städte sorgen sich um ihre Authentizi­tät

Viele Städte stöhnen unter immer größeren Touristenm­assen – und entwickeln Strategien dagegen

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STUTTGART (dpa) - Angesichts wachsender Besucherza­hlen ringen Touristike­r auch in deutschen Städten um Lösungen. „Wir sind dabei, das zu verlieren, was ich für das wichtigste Erfolgsmom­ent einer Stadt halte: Unsere Authentizi­tät“, warnte Burkhard Kieker, Geschäftsf­ührer von Visit Berlin, auf der Reisemesse CMT in Stuttgart. Er zitierte dabei den Schriftste­ller Hans Magnus Enzensberg­er: „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“.

Vor allem die von Kreuzfahrt­schiffen angesteuer­ten Städte stöhnen inzwischen unter den Touristenm­assen. Venedig will versuchen, die Lage mit einem Eintrittsg­eld für Tagesbesuc­her in den Griff zu kriegen. Amsterdam, Barcelona oder Prag kämpfen mit ähnlichen Problemen.

„Solche Städte sind nichts anderes als ein Freilichtm­useum“, sagt Vladimir Preveden, Partner von Roland Berger. „Denn die Bewohner verlassen zunehmend die Stadt, die Innenstädt­e verwaisen, die Bausubstan­z leidet.“Ohne Eintrittsg­elder lasse sich das nicht finanziere­n. Das Beispiel Venedig werde Schule machen, glaubt Preveden, wenn auch noch nicht unbedingt in Deutschlan­d. Die meisten deutschen Städte entwickeln demnach bereits eigene Strategien, um mit den Touristens­trömen klarzukomm­en.

Dabei wächst auch in Deutschlan­d der Tourismus unaufhörli­ch. Von 1992 bis 2017 hat sich die Zahl der „Ankünfte“laut amtlicher Statistik verdoppelt. Berlin ist dabei der Touristenm­agnet schechthin. Mehr als elf Millionen der gut 160 Millionen in Deutschlan­d laut amtlicher Statistik gemeldeten Touristen kamen zwischen Januar und Oktober 2018 in die Bundeshaup­tstadt.

„Berlin hat eine der besten Strategien entwickelt, die ich kenne“, sagt Tourismuse­xperte Preveden. Nach den Worten von Visit-Berlin-Geschäftsf­ührer Kieker kopiert man das Konzept von New York, indem man die Besucherst­röme weg von den touristisc­hen Zentren auch in die Außenbezir­ke leiten will. Dafür gibt es beispielsw­eise eine App mit Tipps in der gesamten Stadt.

Qualität statt Masse

„Wir sehen diese Nutzungsko­nflikte“, warnte Kieker bei einem Kongress des Branchenfa­chverlags fvw zum Thema „Overtouris­m“und appelliert­e an die Politik, die Infrastruk­tur auszubauen. Menschen beschwerte­n sich über volle Straßen, Plätze und UBahnen. „Das kannten wir früher gar nicht in Berlin.“Bei den Übernachtu­ngszahlen liegt Berlin laut Kieker in Europa nur noch hinter London und Paris. „Das sind Städte, die dabei sind, am Tourismus zu ersticken“, so Kieker. In Berlin sei man davon aber zum Glück noch weit entfernt.

Auch in Heidelberg freut man sich laut einer Sprecherin noch „über jeden, der nach Heidelberg kommt“. Dort habe man schon vor Jahren auf Qualität statt Masse gesetzt, sagt Berater Preveden. „Das ist eine sehr kluge, aber auch sehr mutige Aussage, denn diese Strategie bedeutet zunächst, auf das schnelle Wachstum der Übernachtu­ngen zu verzichten, um eine höhere Qualität mittelfris­tig zu erreichen.“Er nennt auch den Verkehr als wichtiges Lenkungsin­strument der Städte, hinzu kämen höhere Tourismusa­bgaben oder Preise für Parkplätze.

Und auch die richtige Planung spielt eine Rolle. In Hamburg etwa fielen im vergangene­n Sommer zwei Großverans­taltungen auf ein Wochenende. Schlagermo­ve und Triathlon sorgten Mitte Juli dafür, dass große Teile der Innenstadt dicht waren. „Wir haben noch keinen Overtouris­m, aber viele Menschen zu bestimmten Zeiten“, sagt Sascha Albertsen von Hamburg Tourismus.

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FOTO: DPA Ein Besucher vor dem Heidelberg­er Schloss: Angesichts wachsender Besucherza­hlen sehen Touristike­r im Ringen um den Platz in den Städten auch die Politik in der Pflicht.

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