Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Hörende lernen die Gebärdensp­rache

Bildungswe­rk Meßkirch bietet an zwölf Tagen einen Sprachkurs an

- Von Susanne Grimm

MESSKIRCH - Mit einem Grundkurs in Gebärdensp­rache bietet das Bildungswe­rk Meßkirch einen Fremdsprac­henkurs der besonderen Art an. An insgesamt zwölf Abenden lernen hierbei die (hörenden) Teilnehmer, die Lautsprach­e mit Gebärden zu unterstütz­en, so ass die Kommunikat­ion mit schwerhöri­gen und gehörlosen Mitmensche­n erleichter­t beziehungs­weise überhaupt erst möglich wird.

„Warum soll ein Hörender nicht die Gebärdensp­rache erlernen?“Gerhard Heinzle stellt diese Frage in den Raum. „Immerhin ist die deutsche Gebärdensp­rache eine anerkannte Fremdsprac­he, die auch von Sprachwiss­enschaftle­rn als eigenständ­ige, vollwertig­e Sprache anerkannt ist.“Der Leiter des Kurses ist im Alter von fünf Jahren durch eine Krankheit ertaubt, weiß also, wie wichtig es ist, sich mit seinen Mitmensche­n verständig­en zu können. „Je mehr Menschen Grundkennt­nisse in der Gebärdensp­rache haben, umso leichter ist es für uns alle, sich mitzuteile­n“, sagte Heinzle. Er selbst kann aufgrund der in der Kindheit erlernten Lautsprach­e noch verbal kommunizie­ren.

Insbesonde­re bei Behördengä­ngen, Arztbesuch­en oder öffentlich­en Veranstalt­ungen vermissen gehörlose oder stark schwerhöri­ge Menschen die „barrierefr­eie“Kommunikat­ion. Wie nötig ein solcher Kurs ist, wissen Petra Kempter aus Thalheim und ihre Schwiegere­ltern Berthold und Annette Kempter aus Zoznegg, denn Petra Kempters zweijährig­er Sohn Finn wurde gehörlos geboren. Alle drei haben bereits Kurse bei Gerhard Heinzle absolviert, die der Gebärden-Lehrer seit zwei Jahren über das Bildungswe­rk Meßkirch anbietet. „Wir möchten an der Entwicklun­g unseres Enkels teilhaben und dazu gehört natürlich, dass wir miteinande­r kommunizie­ren können“, sagten die Großeltern.

„Alles muss mit zugewandte­m Gesicht passieren“

„Weil Finn nicht hören kann, haben wir uns alle entschloss­en, gemeinsam mit ihm die Gebärdensp­rache zu erlernen.“Mit einer bestimmten Geste vor dem Mund hat der kleine Bub bereits deutlich gemacht, was er von Heinzle möchte: Süßigkeite­n. Unter dem Gelächter der Anwesenden steckte ihm der Rulfinger einen Riegel Schokolade zu. Es sei nicht leicht, ein gehörloses Kind zu erziehen, sagte Finns Mama. „Alles muss mit zugewandte­m Gesicht passieren.“

Seien es Benennunge­n von Gegenständ­en und alltäglich­en Verrichtun­gen, aber auch Verbote, um den Kleinen vor Gefahren abzuhalten. „Ich kann nicht einfach rufen.“Jochen Metz war einer der ersten, der den Gebärdensp­rachkurs im Bildungswe­rk der Zimmernsta­dt besucht hat.

Der Meßkircher ist Vater seiner mittlerwei­le erwachsene­n Tochter Bianca, die sehr stark gehörgesch­ädigt ist. Das sportlich veranlagte Mädchen ist Mitglied der Radsportna­tionalmann­schaft der Gehörlosen und wurde darin sowohl deutscheal­s auch Europameis­terin. Die der Lautsprach­e mächtige junge Frau erlernte erst durch ihre gehörlosen Sportkamer­aden die Gebärdensp­rache. Damit auch ihre Eltern auf diese Art „mitreden“konnten, setzte sie sich dafür ein, dass über das Bildungswe­rk Meßkirch ein solcher Sprachkurs angeboten werden konnte. Heinzle und seine ebenfalls gehörlose Frau Maria sind sich mit Jochen Metz darüber einig, dass der Kreis Sigmaringe­n in puncto Gebärdensp­rache „unterentwi­ckelt“sei. Es wäre begrüßensw­ert, wenn mehr solcher Kurse im Kreis angeboten würden.

Das Tüpfelchen auf dem i wäre es aber, wenn Ämter und Institutio­nen Mitarbeite­r zu diesen Angeboten schicken würden, um sie zu Gebärdendo­lmetschern ausbilden zu lassen. „Auf den verschiede­nen Ämtern wissen deren Bedienstet­e oft nicht, wie man sich mit Gehörlosen verständig­t“, so Heinzle. „Wir wünschen uns, dass die Teilnehmer bei diesen Kursen Schlange stehen“, sagte der Kursleiter. Und Finns Großvater ergänzt: „Die Gebärdensp­rache als Fremdsprac­he zu erlernen ist es wirklich wert.“

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FOTO: SUSANNE GRIMM Petra Kempter und ihr zweijährig­er Sohn Finn lernen von Kursleiter Gerhard Heinzle in Gebärdensp­rache zu applaudier­en.

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