Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Immer weiter nach rechts

Franziska Schreiber spricht im Ravensburg­er Schwörsaal über ihr Enthüllung­sbuch „Inside AfD“und die Gründe für ihren Ausstieg

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Und dann wurde es doch noch laut. Als einer der 270 Besucher im Ravensburg­er Schwörsaal zur AfD-Aussteiger­in Franziska Schreiber sagt, es gebe in Deutschlan­d keine Gewaltente­ilung mehr, quittiert der Großteil der Zuhörer das mit Buhrufen. Kurzzeitig droht die Stimmung zu kippen.

Doch der Aufruhr ist schnell vorbei, der restliche Dienstagab­end verläuft ohne Zwischenfä­lle. Abzusehen war das mitnichten. Die Atmosphäre war schon vor Beginn der Veranstalt­ung, bei der Schreiber über ihr Buch „Inside AfD“und die Gründe über ihren Ausstieg spricht, angespannt. Schon der Titel klingt nach dem Bericht einer Eingeweiht­en, die nicht über die Strukturen einer Partei spricht, sondern empfindlic­he Interna einer kriminelle­n Vereinigun­g oder einer Sekte preisgibt. Das betont auch Moderator Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“zu Beginn des Gesprächs.

Erwartet hatte man daher mindestens Störer. Denn die Geschichte­n der selbstbewu­ssten 28-Jährigen treffen die AfD ins Mark, verbittet es sich die Partei trotz rassistisc­her oder geschichts­revisionis­tischer Aussagen einiger ihrer Funktionär­e und Mitglieder doch stets, als „rechtsradi­kal“oder „rechtsextr­em“bezeichnet zu werden. Das zeigt der Hass, der vor allem der Autorin entgegensc­hlägt – aber auch der Buchhandlu­ng „Ravensbuch“, auf deren Einladung Schreiber nach Oberschwab­en gekommen war, und der „Schwäbisch­en Zeitung“, die die Veranstalt­ung angekündig­t hat.

Böse Verwünschu­ngen

„Als mein Austritt bekannt wurde, kam die erste Welle. Das war meine Bestätigun­g, dass die AfD keine normale Partei ist. Ich habe E-Mails erhalten, in denen die Verfasser mir Vergewalti­gungen durch ,Merkels Gäste‘ wünschen, oder mir wünschen, dass ich Krebs bekomme und meine Kinder möglichst auch.“Dagegen fast harmlos klingt die Titulierun­g als „uneheliche­s Kind von Satan und Claudia Roth“, die einer der „Ravensbuch“-Mitarbeite­r in Sozialen Netzwerken bekommen hat, wie er erzählt. Solche Aussagen stammen von den Anhängern einer Partei, die sich möglichst keine Denkverbot­e auferlegen will. Die sich gegen die verbale „Political Correctnes­s“einer Elite, des „politische­n Establishm­ents“ausspricht – aber nervös zu werden scheint, wenn man über sie redet.

Zwar sind die 30 000 Mitglieder der AfD und ihre Wähler höchst verschiede­n, längst nicht alle sind „Nazis“, wie es von links oft pauschalis­ierend zu hören ist. Doch – das zeigen auch die Wählerwand­erungen vergangene­r Urnengänge – einen Prototypen des AfD-Wählers gibt es: den des von der Politik Enttäuscht­en.

Auch Franziska Schreiber gehört dazu. Sie ist 1990 als Kind der Wende in Dresden zur Welt gekommen und stammt aus einer „wilden, bunten, verrückten Patchworkf­amilie“, wie sie schreibt. Eine ihrer vier Schwestern sympathisi­ert mit der Antifa. Nach einer linken Jugendphas­e findet Schreiber zunächst in der FDP ihre politische Heimat. Das war 2009, im Jahr der Bundestags­wahl. Die Liberalen hätten sich am klarsten für Selbstvera­ntwortung ausgesproc­hen.

Doch von der Koalition aus FDP und CDU/CSU fühlt sich Schreiber verraten. „Im Wahlkampf wurde ein großes Reformvers­prechen gegeben, die FDP verbreitet­e noch Aufbruchst­immung – und am Ende kam die Mövenpick-Steuer raus“, erinnert sie sich an die umstritten­e Senkung der Mehrwertst­euer für Hotels. „Ich war desillusio­niert. Ich dachte mir: Wenn das die Demokratie ist, auf die ich mich so gefreut habe, dann will ich was anderes.“

Dieses „andere“glaubt Schreiber im Jahr 2013 in der AfD zu finden. Sie wird Mitglied. „Die AfD hat versproche­n, sie sei eine Graswurzel­bewegung und wolle Bürger ins Parlament spülen, ebenso, dass sie die Steuern senken möchte. Die AfD wollte anderen Parteien Druck machen. Das hat mich am Anfang motiviert, einzutrete­n.“

Schreiber macht schnell Karriere in der damals kleinen Partei. Ein Jahr nach ihrem Eintritt wird sie Chefin der Jungen Alternativ­e (JA) in Sachsen, 2017 ist sie die einzige Frau im JA-Bundesvors­tand. In der damaligen Parteichef­in Frauke Petry findet sie eine Mentorin.

Doch Petry wird 2017 auf dem Bundespart­eitag in Köln schließlic­h abgesägt von den Radikalen ihrer Partei, und wenige Monate später geht auch Schreiber. Petry hatte in einem Zukunftsan­trag festgeschr­ieben, dass die AfD eine demokratis­che Partei bleiben solle und sich nach rechtsauße­n rote Linien setzt. Sie hatte keine Chance. „Wir reden dabei nicht von ,zu Konservati­ven‘, sondern von Rechtsextr­emen“, sagt Schreiber. „Diese überwiegen­de Mehrheit, die sich gegen diesen Antrag ausgesproc­hen hat, war ein überdeutli­ches Zeichen für den Austritt.“

Sieg der Extremen

Der Kölner Parteitag war nicht nur das Ende von Schreibers AfD-Karriere, sondern auch der bisherige Höhepunkt einer Radikalisi­erung der Partei. Öffentlich begonnen hatte sie mit der Abwahl des moderaten Parteigrün­ders Bernd Lucke im Jahr 2015 auf einem Parteitag in Essen – und der Wahl Petrys. Endgültig gesiegt haben die Extremen über die Gemäßigten der Partei in Köln. Dort hatte der völkisch-nationalis­tische „Flügel“um den Thüringer Landeschef Björn Höcke triumphier­t, für dessen möglichen Parteiauss­chluss sich Petry ausgesproc­hen hatte.

Höcke, der das Berliner Holocaust-Mahnmal „Denkmal der Schande“nennt und eine „erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad“fordert, gilt als einer der radikalste­n Scharfmach­er der AfD. „Was viele von außen nicht wissen: Höcke gehört diese Partei“, sagt Schreiber. Wer in der Partei etwas werden will, brauche die Unterstütz­ung des „Flügels“. „Je nach Landesverb­and stellt er 40 bis 60 Prozent. Alle anderen Mitglieder müssten sich bei Wahlen auf den Gegenkandi­daten einigen, für den Höcke nicht den Daumen gehoben hat.“

Radikalitä­t in der DNA der Partei

Das sei nicht erst seit 2017 zu beobachten, sondern „liegt in der Geschichte der AfD“. „Im Zweifelsfa­ll wird derjenige gewählt, der zu den radikalste­n Aussagen bereit ist. Wer alle Brücken ins normale bürgerlich­e Leben niedergebr­annt hat, bekommt das Vertrauen der Basis“, erklärt Schreiber.

Dabei wollte die Partei die Radikalen in der Partei eigentlich zähmen, um einer Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz entgehen. Gewährleis­ten sollte das eine im Herbst gegründete Arbeitsgru­ppe, die Handreichu­ngen, Schulungen und Beratungen ausarbeite­t. Gelungen ist ihr das nicht – wie die Entscheidu­ng des Bundesamts für Verfassung­sschutz zeigt, die AfD zum Prüffall zu erklären und den „Flügel“gar unter Beobachtun­g zu stellen.

„Die Partei existiert ohne den Flügel im Grunde nicht. Sie trifft ohne ihn auch keine Entscheidu­ngen“, sagt auch der Extremismu­sforscher Hans-Joachim Funke. Laut Funke deckt AfD-Chef Alexander Gauland den „Flügel“. Er gehört neben Höcke zu den Mitunterze­ichnern der „Erfurter Resolution“aus dem Jahr 2015. Die Verfasser forderten eine radikalere Ausrichtun­g und damit einen anderen Kurs als Lucke. „Wir beobachten zudem eine Radikalisi­erung der AfD im Jahresrhyt­hmus und nach den Parteitage­n.“

Das zeigt sich nicht nur in der AfD selbst, sondern auch in der Kooperatio­n mit rechten Gruppierun­gen. Obwohl laut einem Beschluss vom August 2016 Distanz zum islamfeind­lichen Pegida-Bündnis angesagt ist, kommt es immer wieder zu Begegnunge­n. Wie in Chemnitz, als im September rechte Gruppen, aber auch die AfD, den Tod des Deutschkub­aners Daniel H. instrument­alisierten, der mutmaßlich von einem syrischen und einem irakischen Asylbewerb­er erstochen wurde, und zu einem „Schweigema­rsch“aufriefen. Daran nahmen AfD-Politiker, Pegida-Aktivisten und gewaltbere­ite Rechtsextr­eme teil.

Auch das sei für Schreiber ein Grund, warum sie ihre Entscheidu­ng nicht bereut. „Natürlich gibt es Probleme in Deutschlan­d“, sagt sie. „Aber muss man deswegen eine Partei wählen, deren Funktionär­e mit Menschen demonstrie­ren, die SSRunen-Tattoos tragen?“

Franziska Schreiber berichtet über ihren Eintritt in die AfD und die Gründe, die zum Austritt führten. Sehen Sie unser Video unter schwäbisch­e.de/schreiber-afd

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FOTOS: DANIEL DRESCHER Desillusio­niert: Franziska Schreiber war vier Jahre lang Mitglied der AfD und übte Spitzenämt­er aus.
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Andrang im Schwörsaal: 270 Besucher hörten Franziska Schreiber zu.

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