Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Immer weiter nach rechts
Franziska Schreiber spricht im Ravensburger Schwörsaal über ihr Enthüllungsbuch „Inside AfD“und die Gründe für ihren Ausstieg
RAVENSBURG - Und dann wurde es doch noch laut. Als einer der 270 Besucher im Ravensburger Schwörsaal zur AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber sagt, es gebe in Deutschland keine Gewaltenteilung mehr, quittiert der Großteil der Zuhörer das mit Buhrufen. Kurzzeitig droht die Stimmung zu kippen.
Doch der Aufruhr ist schnell vorbei, der restliche Dienstagabend verläuft ohne Zwischenfälle. Abzusehen war das mitnichten. Die Atmosphäre war schon vor Beginn der Veranstaltung, bei der Schreiber über ihr Buch „Inside AfD“und die Gründe über ihren Ausstieg spricht, angespannt. Schon der Titel klingt nach dem Bericht einer Eingeweihten, die nicht über die Strukturen einer Partei spricht, sondern empfindliche Interna einer kriminellen Vereinigung oder einer Sekte preisgibt. Das betont auch Moderator Hendrik Groth, Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“zu Beginn des Gesprächs.
Erwartet hatte man daher mindestens Störer. Denn die Geschichten der selbstbewussten 28-Jährigen treffen die AfD ins Mark, verbittet es sich die Partei trotz rassistischer oder geschichtsrevisionistischer Aussagen einiger ihrer Funktionäre und Mitglieder doch stets, als „rechtsradikal“oder „rechtsextrem“bezeichnet zu werden. Das zeigt der Hass, der vor allem der Autorin entgegenschlägt – aber auch der Buchhandlung „Ravensbuch“, auf deren Einladung Schreiber nach Oberschwaben gekommen war, und der „Schwäbischen Zeitung“, die die Veranstaltung angekündigt hat.
Böse Verwünschungen
„Als mein Austritt bekannt wurde, kam die erste Welle. Das war meine Bestätigung, dass die AfD keine normale Partei ist. Ich habe E-Mails erhalten, in denen die Verfasser mir Vergewaltigungen durch ,Merkels Gäste‘ wünschen, oder mir wünschen, dass ich Krebs bekomme und meine Kinder möglichst auch.“Dagegen fast harmlos klingt die Titulierung als „uneheliches Kind von Satan und Claudia Roth“, die einer der „Ravensbuch“-Mitarbeiter in Sozialen Netzwerken bekommen hat, wie er erzählt. Solche Aussagen stammen von den Anhängern einer Partei, die sich möglichst keine Denkverbote auferlegen will. Die sich gegen die verbale „Political Correctness“einer Elite, des „politischen Establishments“ausspricht – aber nervös zu werden scheint, wenn man über sie redet.
Zwar sind die 30 000 Mitglieder der AfD und ihre Wähler höchst verschieden, längst nicht alle sind „Nazis“, wie es von links oft pauschalisierend zu hören ist. Doch – das zeigen auch die Wählerwanderungen vergangener Urnengänge – einen Prototypen des AfD-Wählers gibt es: den des von der Politik Enttäuschten.
Auch Franziska Schreiber gehört dazu. Sie ist 1990 als Kind der Wende in Dresden zur Welt gekommen und stammt aus einer „wilden, bunten, verrückten Patchworkfamilie“, wie sie schreibt. Eine ihrer vier Schwestern sympathisiert mit der Antifa. Nach einer linken Jugendphase findet Schreiber zunächst in der FDP ihre politische Heimat. Das war 2009, im Jahr der Bundestagswahl. Die Liberalen hätten sich am klarsten für Selbstverantwortung ausgesprochen.
Doch von der Koalition aus FDP und CDU/CSU fühlt sich Schreiber verraten. „Im Wahlkampf wurde ein großes Reformversprechen gegeben, die FDP verbreitete noch Aufbruchstimmung – und am Ende kam die Mövenpick-Steuer raus“, erinnert sie sich an die umstrittene Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels. „Ich war desillusioniert. Ich dachte mir: Wenn das die Demokratie ist, auf die ich mich so gefreut habe, dann will ich was anderes.“
Dieses „andere“glaubt Schreiber im Jahr 2013 in der AfD zu finden. Sie wird Mitglied. „Die AfD hat versprochen, sie sei eine Graswurzelbewegung und wolle Bürger ins Parlament spülen, ebenso, dass sie die Steuern senken möchte. Die AfD wollte anderen Parteien Druck machen. Das hat mich am Anfang motiviert, einzutreten.“
Schreiber macht schnell Karriere in der damals kleinen Partei. Ein Jahr nach ihrem Eintritt wird sie Chefin der Jungen Alternative (JA) in Sachsen, 2017 ist sie die einzige Frau im JA-Bundesvorstand. In der damaligen Parteichefin Frauke Petry findet sie eine Mentorin.
Doch Petry wird 2017 auf dem Bundesparteitag in Köln schließlich abgesägt von den Radikalen ihrer Partei, und wenige Monate später geht auch Schreiber. Petry hatte in einem Zukunftsantrag festgeschrieben, dass die AfD eine demokratische Partei bleiben solle und sich nach rechtsaußen rote Linien setzt. Sie hatte keine Chance. „Wir reden dabei nicht von ,zu Konservativen‘, sondern von Rechtsextremen“, sagt Schreiber. „Diese überwiegende Mehrheit, die sich gegen diesen Antrag ausgesprochen hat, war ein überdeutliches Zeichen für den Austritt.“
Sieg der Extremen
Der Kölner Parteitag war nicht nur das Ende von Schreibers AfD-Karriere, sondern auch der bisherige Höhepunkt einer Radikalisierung der Partei. Öffentlich begonnen hatte sie mit der Abwahl des moderaten Parteigründers Bernd Lucke im Jahr 2015 auf einem Parteitag in Essen – und der Wahl Petrys. Endgültig gesiegt haben die Extremen über die Gemäßigten der Partei in Köln. Dort hatte der völkisch-nationalistische „Flügel“um den Thüringer Landeschef Björn Höcke triumphiert, für dessen möglichen Parteiausschluss sich Petry ausgesprochen hatte.
Höcke, der das Berliner Holocaust-Mahnmal „Denkmal der Schande“nennt und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“fordert, gilt als einer der radikalsten Scharfmacher der AfD. „Was viele von außen nicht wissen: Höcke gehört diese Partei“, sagt Schreiber. Wer in der Partei etwas werden will, brauche die Unterstützung des „Flügels“. „Je nach Landesverband stellt er 40 bis 60 Prozent. Alle anderen Mitglieder müssten sich bei Wahlen auf den Gegenkandidaten einigen, für den Höcke nicht den Daumen gehoben hat.“
Radikalität in der DNA der Partei
Das sei nicht erst seit 2017 zu beobachten, sondern „liegt in der Geschichte der AfD“. „Im Zweifelsfall wird derjenige gewählt, der zu den radikalsten Aussagen bereit ist. Wer alle Brücken ins normale bürgerliche Leben niedergebrannt hat, bekommt das Vertrauen der Basis“, erklärt Schreiber.
Dabei wollte die Partei die Radikalen in der Partei eigentlich zähmen, um einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen. Gewährleisten sollte das eine im Herbst gegründete Arbeitsgruppe, die Handreichungen, Schulungen und Beratungen ausarbeitet. Gelungen ist ihr das nicht – wie die Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz zeigt, die AfD zum Prüffall zu erklären und den „Flügel“gar unter Beobachtung zu stellen.
„Die Partei existiert ohne den Flügel im Grunde nicht. Sie trifft ohne ihn auch keine Entscheidungen“, sagt auch der Extremismusforscher Hans-Joachim Funke. Laut Funke deckt AfD-Chef Alexander Gauland den „Flügel“. Er gehört neben Höcke zu den Mitunterzeichnern der „Erfurter Resolution“aus dem Jahr 2015. Die Verfasser forderten eine radikalere Ausrichtung und damit einen anderen Kurs als Lucke. „Wir beobachten zudem eine Radikalisierung der AfD im Jahresrhythmus und nach den Parteitagen.“
Das zeigt sich nicht nur in der AfD selbst, sondern auch in der Kooperation mit rechten Gruppierungen. Obwohl laut einem Beschluss vom August 2016 Distanz zum islamfeindlichen Pegida-Bündnis angesagt ist, kommt es immer wieder zu Begegnungen. Wie in Chemnitz, als im September rechte Gruppen, aber auch die AfD, den Tod des Deutschkubaners Daniel H. instrumentalisierten, der mutmaßlich von einem syrischen und einem irakischen Asylbewerber erstochen wurde, und zu einem „Schweigemarsch“aufriefen. Daran nahmen AfD-Politiker, Pegida-Aktivisten und gewaltbereite Rechtsextreme teil.
Auch das sei für Schreiber ein Grund, warum sie ihre Entscheidung nicht bereut. „Natürlich gibt es Probleme in Deutschland“, sagt sie. „Aber muss man deswegen eine Partei wählen, deren Funktionäre mit Menschen demonstrieren, die SSRunen-Tattoos tragen?“
Franziska Schreiber berichtet über ihren Eintritt in die AfD und die Gründe, die zum Austritt führten. Sehen Sie unser Video unter schwäbische.de/schreiber-afd